Erstellt am: 16. 1. 2016 - 11:54 Uhr
Gruppentherapie ohne Dame
Ein konventioneller Hollywoodfilm hätte die erste Szene von "Louder than Bombs" wohl ans Ende gesetzt, als hoffnungsfrohe Botschaft vom Kreislauf des Lebens: die kleine Hand der neugeborenen Isabelle schließt sich um den Finger ihres Vaters, des jungen Hochschulprofessors Jonah (Jesse Eisenberg). Das Kind ist nach seiner Großmutter Isabelle Reed benannt, einer berühmten Kriegsfotografin, die drei Jahre zuvor bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist.
Almost no relation: Der norwegische Regisseur Joachim Trier ist nur entfernt mit dem Dänen Lars von Trier verwandt.
In Joachim Triers bedachtsam aufgebautem Familienstück dient die Geburt des Babys aber nicht als emotionaler Kleister, der die Familie nach einem schweren Schicksalsschlag wieder eint, sondern stellt nur den Ausgangspunkt für die Analyse eines komplexen Beziehungsgeflechts dar.
Eine Ausstellung mit Isabelles Fotos ist geplant; das bedeutet, dass - echte und metaphorische - Kisten wieder aufgemacht werden müssen. Der Familie ist bewusst: man wird vielleicht Dinge erfahren, die man nicht so genau wissen will. Und wie das so ist mit Geheimnissen, irgendwie schleichen sie sich in Beziehungen ein und vergiften diese trotz bester Absichten aller Beteiligten.
Memento Films
Vielleicht ist der jüngere Sohn Conrad, ohnehin gerade in der schwierigsten pubertären Phase, wütend auf seinen Vater, weil der den Tod der Mutter nicht verhindern konnte - vielleicht spürt er aber auch, dass man ihm etwas verheimlicht. Er kommuniziert kaum mehr mit seinem Vater Gene (Gabriel Byrne), der sich angesichts der Feindseligkeit seines Sohnes machtlos fühlt. Jegliche Friedensangebote ("I’m making tacos!") werden schroff abgelehnt; die neue Beziehung des Vaters - ausgerechnet zu Conrads Lehrerin - wird verschwiegen, um den Teenager nicht weiter zu belasten; ein weiteres Geheimnis, das auf die Stimmung im Hause Reed drückt. Jonah, der Ältere, ist bereits erwachsen, erfolgreich und hat seine eigene Familie gegründet, und doch: kaum kommt er zurück nach Hause, fängt sein scheinbar so solides Leben an, beängstigend schnell auseinander zu bröckeln.
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Nach den Anschlägen von Paris am 13. November 2015 wurde der Titel des Films in Frankreich auf "Back Home" geändert.
Isabelle Huppert ist eine interessante Wahl für die Rolle der Kriegsfotografin, der mehr ab- als anwesenden Mutter. Ein anderer Film hätte vielleicht ihre mütterlichen Gefühle stärker betont, um sie menschlicher erscheinen zu lassen; Jennifer Garner oder Angelina Jolie hätten sie tough aber verletzlich dargestellt, die Zerrissenheit zwischen dem gefährlichen Beruf und der Familie herausgearbeitet. Isabelle Huppert legt die Rolle ganz anders an; in der ihr eigenen Distanziertheit und Kühle hat sie immer etwas Außerirdisches, als würde sie diese Welt und die seltsamen Wesen, die in ihr leben, mit einer Art wohlwollendem, aber letztlich klinischem Interesse beobachten.
Isabelle Reed ist nicht gefühllos, aber praktisch und unsentimental. Sie ist die Frau, die rausgeht und die Welt zu reparieren versucht, während der Mann mit den Kindern zu Hause die Stellung hält. Hier müssen mal die Männer die zwischenmenschlichen Scherben aufklauben, die eine mit wichtigeren Dingen als persönlichen Beziehungen beschäftigte Frau hinterlässt.
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Spannend auch, den sonst oft so bedrohlichen Gabriel Byrne in einer derart hilflosen Rolle zu sehen; man hat direkt Mitleid, wenn sein still grollender Teenagersohn ihn ständig gegen eine Mauer laufen lässt, und möchte das Gfrast ein bisschen schütteln. Aber natürlich ist das Gfrast selber ein Leidtragender, einer, der bis zur Erstickung beschützt wird und der sich nur nach einem Stückchen Wahrheit sehnt - und danach, sein wahres Ich der hübschen Cheerleader-Klassenkollegin zu offenbaren. Währenddessen spielt Jesse Eisenberg den älteren Sohn mit seiner üblichen nervösen Fahrigkeit; nicht unähnlich der Mutter besteht Jonah darauf, alles im Griff zu haben, während ihm alles entgleitet.
Ganz entkommt "Louder than Bombs" einem Silberstreifen-am-Horizont-Ende nicht, aber das ist schon okay so. Die Protagonisten haben genug mitgemacht, man gönnt ihnen ein wenig Erholung und hofft, dass die Reeds doch irgendwie Frieden finden.