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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

15. 1. 2016 - 15:55

The daily Blumenau. Friday Edition, 15-01-16.

Deutsche können Serien. Wenn vorerst auch nur mit inhaltlicher Starthilfe.

#tvseries

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
2016 wieder regelmäßig.

Davon, dass neue internationale Standards auch den deutschsprachigen Raum zu einer Qualitätssteigerung im Bereich Fernsehserie zwingen, wird seit bereits einiger Zeit ausgegangen. Vor allem das finanzmächtige Deutschland kam nicht mit (auch nicht mit dem kleinen Serienwunderland Österreich, Stichwort Schalko/Vorstadtweiber). Das ändert sich gerade, auch wenn man die Vorbilder brauchbarer bundesdeutscher Serien noch dick durchschimmern sieht.

Das Serienwunder TV Serie

Der Impact des seit Jahren regierenden Serienwunders bestimmt unseren täglichen Drama-Bedarf nachhaltig (und deutlicher als alle Konkurrenz-Formen). Und auch wenn heute Abend die seit Jahren führende Scripted-Reality-Serie wieder einmal zwei Wochen lang ihre hypnotische Macht ausüben wird - hoffnungsvolle Trends werden anderswo gesetzt.

Die ARD hat eben innerhalb von drei Tagen einen Sechs-Teiler weggespielt, der sich mit Machtpolitik beschäftigt und sich an House of Cards oder Borgen orientiert, ohne in einen Dominik Graf'schen Opulenz-Western zu kippen.

Und das ZDF hat aktuell einen "immer samstags"-Fünfteiler am Start, der sein Grundmotiv bei Breaking Bad geborgt hat und trotz der Comedy-Bekanntheit seines Stars (Bastian Pastewka) eher an Peckinpahs Straw Dogs als an Mainstream-Ironie andockt.

Und RTL hat mit der zeitgeschichtlichen Reihe Deutschland 83 im letzten Herbst zwar deutlich an seinem Publikum vorbeigesendet, will aber - dank etlicher Preise und Erfolgen im Ausland - eine zweite Staffel nachschießen.

Die Stadt und die Macht

Klar, der Alltag im Machtpolitik-Business ist in dieser Berlin-Wahl-Kurzserie nur unzureichend eingefangen. aber: in welcher Wucht sich permanent überlappender Handlungsstränge das tatsächlich abläuft, lässt sich selbst in ausgefuchsten Szenarios der Sorte West Wing/House of Cards nur unzulässig verknappend darstellen.

Insofern ist der linear erzählte Aufstieg der engangierten, partiell idealistischen und strategisch durchaus begabten (ein wenig an der Borgen-Figur Nyborg angelehnten) Jung-Politikerin durchaus realistisch angelegt. Weil dazu genug an Familien-Untiefen, Eliten-Verstrickung und Korruptions-Skandalen kommt, um ein sattes Sittenbild zu erschaffen.

Anna Loos in Die Stadt und die Macht

ARD

Die Stadt und die Macht

Wäre Die Stadt und die Macht in fünf Jahren in eine bereits funktionierende Qualitäts-Serienkultur hineinproduziert worden, dann wäre wohl nicht der ein wenig zu klischeehaft mit Problem überhäufte und allzusehr an Stars wie Christine Neubauer orientierte Anna Loos-Charakter der Anker gewesen, sondern die originellste Figur eines geschickt charakterisierten Ensembles, der Thomas Bernhard-dauerzitierende Wahlkampfleiter Schorsch Lassnitz, dem der unterschätzte Martin Brambach Leben jenseits vieler Klischees einhaucht.

Die sechs durchaus kurzweiligen Teile (schöne Titel-Sequenz übrigens) sind in der ARD-Mediathek nachzusehen.

Morgen hör ich auf

Auch mit einer prima Titel-Sequenz (da hat man bereits internationalen Standard erreicht) aber vom Spin her noch interessanter ist der ZDF-Fünfteiler mit Bastian Pastewka als Geldfälscher in Nöten.

Morgen hör ich auf gehorcht zwar dem Breaking Bad-Grundprinzip (in finanzielle Troubles geratener Familienvater stolpert in kriminelle Karriere), entwickelt aber schnell eine sehr eigene Stimmung und lässt sich in Punkto Tempo, Dynamik und Cliffhängerei auf keine branchenüblichen Klischees ein.

Bastian Pastewka in "Morgen hör ich auf"

ZDF

Morgen hör ich auf

Das wichtigste vermeidet, ja konterkariert Morgen hör ich auf innerhalb der ersten Minute: die "Das-wird-sicher-lustig"-Erwartungshaltung an die pummelige Knallcharge Pastewka zerbröselt sofort. Die witzigen Lines hat da bestenfalls der (vom wie immer unpackbaren Georg Friedrich gespielte) Kleinkriminelle Damir: Familie Lehmann (Pastewka, seine herbe Filmfrau Susanne Wolff und zwei Teenager-Kinder, die die Brut von Ray Donovan alt aussehen lassen) sind Gefangene ihres Tuns, ernsthafte Charaktere. Keine Satire, keine Ironie, kein Augenrollen/Zwinkern, keinerlei Pastewka-Pastewka.

Nur noch die ein wenig zu intensiv eingesetzten Vorab-Flashes (die in Breaking Bad viel sublimer, wie kleine Traum-Snippets von Vorahnungen eingesetzt wurden) zeugen noch von einer sehr prinzipiellen Unsicherheit in der populären Erzählkultur der so dringend nötigen Basis für Qualitätsserien.

Und das alles lässt sich schon nach 2 von 5 Teilen sagen, auch weil noch ungeheures Entwicklungs-Potential in dieser Geschichte lauert. Samstag 21.45 Uhr kommt Teil 3, die beiden schon gelaufenen lassen sich in der ZDF-Mediathek nachschauen.

Der neue Versuch ein Lagerfeuer zu entzünden

Von den erwähnten kleinen Unsicherheiten und der Tatsache abgesehen, dass man sich ohne konkretes Vorbild noch nicht so richtig rantraut: es beginnt sich also womöglich auch in Deutsch-Fernsehland die Erkenntnis durchzusetzen, dass die epische (und auch komplexe) Erzählweise, die die Produktionen des Serienwunders sich herausnehmen, die womöglich einzige Abwehrchance gegen das Abwandern eines großen Publikumsteils zu Spezialanbietern darstellt. Und Potential dafür hat lagerfeuerbildend zu sein.

Dass sie nebenbei auch Medienkompetenz bzw. politische Bildung vermitteln können und somit einen zutiefst öffentlich-rechtlichen Auftrag erfüllen, kommt als icing on the cake dazu.