Erstellt am: 16. 1. 2016 - 12:35 Uhr
So viel, wie der Titel verspricht
Es muss einen skeptisch machen, wenn man bemerkt, dass man nur wenig verraten darf, um ein Buch zu empfehlen. Denn wenn der Inhalt derart dominant ist, dann ist das doch ein untrügliches Zeichen für Unausgeglichenheit. Oder doch nicht? Um es kurz zu machen: je weiter ich vorgedrungen bin in diesen Roman, je mehr passiert ist, desto ratloser wurde ich.
Verlag rowohlt Berlin
Daher ein paar Klarheiten über "Null bis unendlich": der Roman hat drei gleichberechtigte Hauptfiguren und alle drei sind besonders, von Lena Gorelik in kantiger Präzision gezeichnet. Die Zeiten im Roman wechseln etwas irritierend zwischen Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit. Man darf sich vom plumpen Cober-Bild nicht abschrecken lassen.
Der Roman beginnt in der Schule, ein gewisser Nils Liebe hält alle Mitschülerinnen und Mitschüler für dumm und blöd. Bis Sanela auftaucht, sie findet er auf "verstörend vertraute Weise" fremd. Sanela ist ein Flüchtlingskind. Gerade aus dem zerfallenden Jugoslawien geflohen, lebt sie bei ihrer Tante und ihrem Onkel. Sie findet Nils Liebe nicht blöd, was ihr egal ist. Ein Bollwerk von einem Ego, packt Sanela Nils Liebe in den Zug, gibt ihm Schnaps und fährt mit ihm zurück ins Kriegsgebiet. Um das Grab ihres Vaters zu finden.
"Nils Liebe versteht, dass er so gar nichts versteht, weder über das Leben noch über das Mädchen, das ihn gerade durch das Leben führt. Er hat Heimweh, zum ersten Mal in seinem Leben. Eines aber weiß er sicher: In diesem Krieg ein einzelnes, bestimmtes Grab zu finden ist ein Ding der Unmöglichkeit. Selbst für sie. Aber er wird es ihr sicher nicht sagen."
Die Liebe zwischen Nils und Sanela wird das Buch genauso bestimmen wie die lebenslange Suche nach einem Umgang mit der Erinnerung und das Spiel mit der deutschen Sprache. Es werden Post-its mit kleinen Sätzen geklebt, es werden Momente verschenkt, es wird zum ersten Mal ein Satz mit "man" gebildet, als es ums Sterben geht. Man hat - wie schon in Lena Goreliks Roman "Die Listensammlerin" - das Gefühl, es sei ein plaudernder Tonfall, so leicht kommt die Sprache daher. Es sind tatsächlich sprachliche Essenzen, die einem nicht nebenbei aus dem Mund fallen, kurze, klare Sätze und immer ist das Nicht-Dialogische, das Beobachtende am schönsten zu lesen.
Letztlich, und um die Ratlosigkeit zu beenden, lebt "Null bis unendlich" nicht so stark von seiner Handlung wie es den Anschein hat. Es gibt viel, sehr viel davon und Vieles von dem Vielen wiederholt sich auch, aber überraschend ist, wie es Lena Gorelik dennoch gelingt, ihre Figuren mit sprachlichem Humor und Scharfsinn leichtfüßig durch die überbordende Geschichte tanzen zu lassen.