Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "#ausnahmslos gegen sexuelle Gewalt"

Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

12. 1. 2016 - 16:22

#ausnahmslos gegen sexuelle Gewalt

Nach Köln veröffentlichen Feminist_innen ein Statement gegen die Vereinnahmung ihrer Anliegen durch rechte Populist_innen.

Die Silvesternacht in Köln und die zahlreichen Übergriffe gegenüber Frauen, die dort passiert sind, beschäftigen uns noch immer. Täglich neue Berichte, letzte Nacht gab es etwa rechte Ausschreitungen in Leipzig und Dresden.

Eine Gruppe von 23 Feminist_innen hat sich jetzt zusammengeschlossen und unter dem Titel #ausnahmslos ein Statement verfasst, in dem sie sich dagegen wehren, dass feministische Anliegen von rechten Populist_innen instrumentalisiert werden. Auf der Website der Initiative kann man Forderungen lesen, die von besserer Schulung von Polizeibeamt_innen bei der Behandlung von sexuellen Übergriffen reichen bis zur Nachbesserung des Strafgesetzbuchs in Sachen sexueller Gewalt.

#ausnahmslos

ausnahmslos.org

Der Hashtag #ausnahmlos ist seit drei Tagen in den Twitter-Trends. Zu den Unterstützer_innen zählen unter anderem Angela Davis, Laurie Penny, die Musikerin Inga Humpe und die deutsche Familienminstierin Manuela Schwesig. Aus Österreich zählen zu den Unterstützer_innen Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek, die Grüne Frauensprecherin Berivan Aslan oder Sandra Frauenberger, Wiener Frauenstadträtin.

Wir haben Katrin Gottschalk und Hengameh Yaghoobifarah vom missy-Magazin getroffen - die beide Mit-Verfasserinnen von #ausnahmslos sind - und sie zur Bedeutung des Hashtags, zum neuentdeckten Faible der Rechten für feministische Anliegen und ihre Vorbehalte gegenüber der Berichterstattung rund um die Ereignisse in Köln befragt.

Was bedeutet der Hashtag #ausnahmelslos?

Katrin Gottschalk: Der Hashtag ist die Essenz eines Statements von 23 Feminist_innen, die sich nach den Ereignissen in Köln zusammengetan haben, um zu sagen: Sexualisierte Gewalt gibt es das ganze Jahr über. Was in Köln geschehen ist, soll nicht relativiert werden. Aber wir wollen darauf hinweisen, dass sexuelle Gewalt immer ein Thema ist. Außerdem geht es darum, dass viele rechte Populist_innen Köln benutzen, um plötzlich Frauenrechte für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. #ausnahmlslos soll dem entgegenstehen. Wir sprechen das ganze Jahr über solche Vorfälle, nicht nur wenn es um Männer geht, die als „anders“ wahrgenommen werden.

Hengameh und Katrin

FM4 Irmi Wutscher

Hengameh und Katrin

Was war für euch der auslösende Moment, euch zusammenzuschließen und etwas zu veröffentlichen?

Hengameh Yaghoobifarah: Kübra Gümüşay, Anne Wizorek und Emine Aslan haben verschiedene Feminist_innen angeschrieben. Eben weil die Medienberichterstattung so rassistisch und undifferenziert war. Es wurde ja auch den Betroffenen gegenüber nicht sensibel berichtet, sondern es wurde über Körperöffnungen und wie die penetriert wurden geschrieben. Wir wollen zeigen, dass wir immer ein Problem mit sexualisierter Gewalt haben.

Ihr habt zahlreiche prominente Namen auf eurer Liste. Wer sind die Initiator_innen?

KG: Es sind 23 Feminist_innen, hauptsächlich aus Deutschland, die sich an dem Statement beteiligen. Und dann gibt es die Liste der Erstunterzeichner_innen, da sind zum Beispiel Angela Davis und Laurie Penny dabei, aber auch die Deutsche Familienministerin Manuela Schwesig. Das ist sehr schnell passiert. Die E-Mail ging am Samstag raus und bis Sonntag hatten wir über 300 Unterschriften von Menschen, die Erstunterzeichner_in sein wollten.

Der Hashtag ist seit Tagen in den Twitter-Trends. Meine Timeline ist voll davon. Warum glaubt ihr funktioniert der so gut?

HY: Ich glaube, Hashtags, die Betroffene von Gewalt ansprechen, werden oft viral. Weil Gespräche über das Thema oft mit Stigma oder Verharmlosung einhergehen oder das Thema wenig beachtet wird. Ich denke auch, dass die Anzahl der Anzeigen jetzt in Köln so hoch ist, weil die Betroffenen das Gefühl haben, diesmal wird ihnen endlich geglaubt. Im Gegensatz zu anderen Großereignissen, wo es auch Übergriffe gibt, man aber oft nur Dunkelziffern weiß.

KG: Köln ist ein gefundenes Fressen für die Medien. Man hat hier ja auch ein klassisches Bild: die unschuldige, wehrlose, weiße Frau, die vor dem Zugriff des fremden Mannes geschützt werden muss. Das transportiert ja auch ein gewisses Frauenbild. Ein Teil unseres Statements dreht sich um die Medienberichterstattung. Es hatte ja sogar die Süddeutsche Zeitung ein Cover mit einer weißen Frau, der eine schwarze Hand in den Schritt fasst. Auch der Fokus hatte ein ähnliches Bild.

HY: Wir fordern von den Medien, dass sie nuanciert und differenziert über sexuelle Gewalt berichten und dass sie vorsichtiger in der Bildsprache sind. Dafür müssten Redaktionen vielleicht diverser aufgestellt sein, dass dort nicht zum Großteil weiße, heterosexuelle Männer sitzen.

Mittlerweile gibt es regelmäßig Randale von rechten Gruppierungen, heute Nacht zum Beispiel in Leipzig. Glaubt ihr, dass sich gerade die Stimmung in Sachen Flüchtlingen und Hilfsbereitschaft dreht?

KG: Ich habe schon das Gefühl, dass sich was dreht, da spielen natürlich auch die Anschläge von Paris mit hinein und dass zu Silvester der Münchner Bahnhof wegen Angst vor einem Anschlag gesperrt war. Es kommt gerade sehr viel zusammen. Und es ist sehr besorgniserregend. Als Feministin wird man, wenn so etwas passiert, immer aufgefordert, sich zu deklarieren: Ja wo ist denn jetzt der Aufschrei? Wo ist euer Statement? Natürlich sind wir gegen sexualisierte Gewalt. Immer.

Wenn man kein Statement abgibt, läuft man Gefahr, sexuelle Gewalt herunterzuspielen? Ist man da als Feministin in einer Zwickmühle?

KG: Vielen Feminist_innen ist diese Instrumentalisierung sehr bewusst, sie haben geschrieben: Schaut euch doch mal das Oktoberfest an, da liegt die Dunkelziffer bei 200 Vergewaltigungen jedes Jahr. Das stimmt, aber da ist man sofort in dieser Relativierungsschiene drin. Und ich finde es schon sehr wichtig, anzuerkennen, dass das ein unfassbares Ausmaß an Übergriffen ist, was da in Köln passiert ist. Es ist eine sehr besondere Situation und bedarf einer großen Aufmerksamkeit. Aber wer benutzt dann wieder die Statements für die eigenen Zwecke? Deswegen haben wir unsere eigene Aussendung, in der wir sagen: Ja es ist schlimm, aber es ist eben immer schlimm.

HY: Es wird auch so getan, als würden Gewaltstrukturen wie sexualisierte Gewalt nach Deutschland importiert und als hätten sie vorher hier nicht existiert. Was natürlich Quatsch ist.

Wie wichtig war es euch in diesem Zusammenhang, dass die Initiator_innen und Unterstützer_innen sehr divers sind?

KG: So traurig der Anlass für das Statement ist, so schön ist, was am Ende dabei herauskommt: Ein breites Bündnis von Feminist_innen. Dieses Bündnis zeigt eine Vielfalt in der feministischen Landschaft, dass nicht alles zerfasert ist, was dem Feminismus ja auch oft vorgeworfen wird. Dass alles zerdacht ist und man sich auf nichts mehr einigen kann. Das Statement zeigt: Doch, wir können uns auf etwas einigen. Und zwar, gegen Rassismus und gegen Sexismus.

Am Dienstag in FM4 Auf Laut: "Wir wollen uns nicht mehr schämen"

Elisabeth Scharang diskutiert ab 21 Uhr in FM4 Auf Laut über die Alltäglichkeit von sexueller Gewalt und Übergriffen gegen Frauen. Die Diskussion über sexuelle Gewalt wird schnell vor den Karren anderer politischer Agenden gespannt. So auch nach den zahlreichen sexuellen Angriffen auf Frauen in der Silvesternacht. In FM4 Auf Laut legen wir den Focus auf die Fragen, warum sexuelle Übergriffe auf Frauen alltäglich sind, ob das, was an Silvester in Köln geschehen ist, verwandt oder nicht verwandt ist mit dem, was andernorts an sexuellen Gewalttaten begangen werden und was Demütigung, Scham und sexuelle Gewalt zu einem fatalen Dreieck spannt.

Im Studio zu Gast ist die Autorin und feministische Aktivistin Helga Pregesbauer, die sich mit Sexualitätsgeschichte, Schwerpunkte: Sexarbeit, Vergewaltigung und Rape Culture beschäftigt. Außerdem zu Gast: Claudia Schneider vom Verein EfEU. Die Kulturwissenschaftlerin beschäftigt sich mit feministischen Erziehungsmodellen und stellt das sex/gender System in Frage. Sie hat Erfahrung mit dem Gendertraining von Burschen und Mädchen und der Ursachenforschung von Unterdrückung, Abwertung und Gewalt gegen Frauen und "untypische" Männer.

Die Nummer ins Studio zum Mitdiskutieren: 0800 226 996 (ab 21 Uhr)