Erstellt am: 11. 1. 2016 - 19:18 Uhr
Menschensafari an der Grenze
Die Grenzen entlang der Balkanroute und insbesondere in Mazedonien werden immer dichter für diejenigen die nicht in Europa erwünscht sind. Für die Grenzkontrollen in Mazedonien sind seit kurzem auch Beamte aus Serbien, Ungarn, Slowenien und Kroatien im Einsatz. Unterstützung wird auch aus Tschechien und der Slowakei erwartet. Polen und Österreich überlegen ebenfalls, Polizeikräfte zu schicken.
Rund 700.000 Flüchtlinge überquerten im letzten Jahr die griechisch-mazedonische Grenze, mehr als 12.000 waren es bereits 2016. Diejenigen, die nicht durch dürfen, sind wieder mal auf Schlepper angewiesen - wie vor der Öffnung des inoffiziellen Flüchtlingsübergangs im Sommer im griechischen Grenzort Idomeni. Immer wieder sind sie mit der Gewalt der Polizeikräfte konfrontiert, oder mit gewalttätigen Praktiken von Schleppern und der gefährlichen Mafia der Region. Ehrenamtliche Helfer in Idomeni haben schockierende Aussagen von Schutzsuchen registriert, die nach Griechenland abgeschoben wurden.
Unter anderem geht es um Flüchtlinge, die am 7. Januar von den Helfern interviewt wurden. Davor hatten sie illegal die griechisch-mazedonische Grenze überquert und am des Fluss Axios zwei Leichen gesehen, denen die Augen fehlten und die im Bereich der Brust und der Nieren geöffnet worden waren. Es ist die zweite Aussage über einen ähnlichen Fall innerhalb eines Monats, so die Helfer.
In einem anderen Fall kehrte eine Gruppe von jungen Marokkanern am Heiligabend verletzt ins Transitcamp in Idomeni zurück. "Wir waren im Wald als sie [Anm.d. R. Polizei] uns entdeckt haben. Sie fingen an, auf uns zu schlagen und auf uns zu schießen. Einer von uns wurde am Fuß getroffen. Wir wissen nicht, was aus ihm geworden ist", so ein Augenzeuge. "Jeden Tag, ein paar Meter außerhalb unserer Grenzen, missbrauchen Polizei und Armee des Nachbarlandes Flüchtlinge und tolerieren Banditentum, Vergewaltigungen, Entführungen und Organentfernungen durch organisierte Banden. Eine Safari von Menschen einer anderen Kategorie findet gleich neben uns statt und dies sollte uns nicht gleichgültig sein", schreiben die Helfer in einer Erklärung.
Diejenigen, die nach Griechenland abgeschoben werden, werden meistens von der Polizei gezwungen, mit Bussen nach Athen zurückzukehren. "Sie sagten uns, entweder ihr zahlt die 20 Euro für die Busfahrt, oder ihr landet im Gefängnis" - so eine 20-jährige Somalierin, die erschöpft vor der ehemaligen Sporteinrichtung in Elliniko bei Athen steht. Das riesige Hockey-Stadium dient als ein provisorisches Aufnahmelager. Insgesamt 500 Personen können hier untergebracht werden. Es sind meistens Schutzsuchende aus Iran, Marokko, Algerien, Pakistan, Somalia, Eritrea und Jemen. Die meisten versuchen, wieder zu Kräften zu kommen, um ihre Reise nach Mitteleuropa neu zu planen. Andere wollen Asyl in Griechenland beantragen oder an einen Relocation-Programm teilnehmen. Wieder andere entscheiden sich, in ihre Heimat zurückzukehren.
Chrissi Wilkens
Die junge Somalierin ist vor ein paar Tage von der Grenze zurückgekehrt - nach einem gescheiterten Versuch, mit Hilfe von Schleppern die griechisch-mazedonische Grenze zu überqueren. Fünf Tage lang ist sie in einer Gruppe von weiteren Flüchtlingen mitgelaufen. Sie überquerten Berge und Flüsse, bis sie kurz vor der mazedonisch-serbischen Grenze von der Polizei erwischt und nach Griechenland zurückgeschickt wurden. Das Gefühl, wieder vom Nullpunkt aus zu starten, ist unerträglich für jemand, der dringend einen sicheren Ort sucht, sagt sie. “Es ist furchtbar für uns Flüchtlinge - aber auch andere verzweifelte Menschen, die die Grenze überqueren wollen. Wir sind gezwungen, Schlepper aufzusuchen, um diesen riskanten Weg zu gehen. Die Menschen erleiden sehr viel, manche haben dabei ihre Beine gebrochen."
Neben ihr steht eine Frau mit Krücken. Sie wurde schwer verletzt, als der Schlepper bei der Überquerung eines Flusses sie ans andere Ufer geschoben hatte. Die Frauen wollen so schnell wie möglich weg vom Lager. Das Essen ist nicht gut, und Wasser müssen sie meistens von der Toilette trinken, erzählen sie enttäuscht.
Ein paar Kilometer weiter, im Transitlager Elaionas, versuchen Flüchtlinge aus Sierra Leone Informationen zu bekommen, wie sie Asyl in Griechenland beantragen können. Sie versuchten mehrmals erfolglos via Skype bei der Asylbehörde einen Termin auszumachen. Wegen mangelnden Personals läuft die Anmeldung und Registrierung in der einst vielversprechenden neuen Asylbehörde fast ausschließlich per Skype. Einmal pro Woche, Mittwoch von 11 bis 13 Uhr, können die Flüchtlinge, die Englisch oder Französisch sprechen, ihr Glück versuchen. “Wir haben doch kein Internet und haben kein Geld, um dafür zu zahlen. Es ist doch die Pflicht des Staates, uns den Zugang zum Asyl zu gewährleisten”, sagt A. aus Sierra Leone. Selbst mit der Hilfe von NGOs ist es zurzeit schwierig, an die Reihe zu kommen, erklärt eine Helferin. "Es sind einfach zu viele Anfragen, nachdem die Grenzen für bestimmte Nationalitäten geschlossen sind", sagt sie.
Chrissi Wilkens
Die Zuständigen im Lager wollen in den kommenden Tagen durch einen PC den Flüchtlingen ermöglichen, auch innerhalb des Lagers per Skype die Asylbehörde zu erreichen. J., ein 36-jähriger Flüchtling aus Uganda, interessiert sich zurzeit nicht für diese Option. Er sitzt skeptisch mit einem Freund am Hof des Lagers. Er erzählt, wie gewalttätig die mazedonische Polizei mit ihm umgegangen ist, als er dreimal versuchte, durch die Berge die griechisch-mazedonische Grenze zu überqueren. "Bei den ersten zwei Versuchen, als ich erwischt worden bin, wurde ich ohne Gewalt zurück nach Griechenland gebracht. Das dritte Mal wurde ich von der mazedonischen Polizei geschlagen. Sie haben es wahrscheinlich deswegen gemacht, damit sie mich bestrafen und ich es nicht wieder versuche", sagt er.
Mahmoud Abdelrasoul, ein junger Arzt mit sudanesischen Wurzeln, der verantwortlich für das Lager in Elaionas ist, hat seit der Schließung der Grenze mehrmals Flüchtlinge und ganze Familien gesehen, die völlig erschöpft oder verletzt von der Grenzen zurückgekommen sind. "Sie befinden sich danach in einer ausweglosen Situation. Sie haben viel Zeit und Geld bei diesen Versuchen vergeudet". Auch wenn sie es bis nach Mazedonien oder Serbien schaffen, gibt es weitere 4-5 Stellen entlang der Balkanroute, wo diejenigen, die nicht dürfen, lokalisiert werden können und nach Griechenland abgeschoben werden. "Es gibt Flüchtlinge, die es drei-, viermal versucht haben - es nicht schafften, und sich entschieden, in ihre Heimat zurückzukehren, weil sie verstanden haben, dass es schwierig und zeitaufwändig ist", so Abdelrasoul.
Trotz der Abschreckung durch die Grenzpolizei wollen mehrere Flüchtlinge weiterhin versuchen, die Grenze zu überqueren. Auch der 36-jährige Ugander. In sein Land zurückkehren kann er nicht. In Griechenland zu bleiben und dort Asyl zu beantragen, ist für ihn keine Lösung, weil er davon überzeugt ist, dass der griechische Staat keine ausreichende Unterstützung gewährleisten kann. Die meisten Flüchtlinge, die in Griechenland Schutz suchen und Asyl beantragen, haben - solange ihr Antrag bearbeitet wird - keinen Zugang zu einer Unterbringung und grundlegenden Dienstleistungen, wie sie vom EU-Recht und auch vom griechischen Gesetz vorgesehen sind.
"Bei einer durchschnittlichen Anzahl von jährlich 10.000 Asylanträge in den letzten drei Jahren, gibt es nicht mehr als 1.150 Plätze für die Asylbewerber", so Kalliopi Stefanaki, Leiterin der Abteilung für den Schutz der Flüchtlinge im Büro des UN-Flüchtlingsrats in Griechenland. Das UNHCR wird sukzessive 20.000 Pension- und Hotelzimmer anmieten, um besonders Schutzbedürftige und Asylsuchende und Relocations-Fälle unterzubringen. Noch am Jahresende warnte UNHCR jedoch andere europäische Länder davor, Schutzsuchende nach Griechenland zurückzubringen. Unter andrem wegen der mangelnden Strukturen, der Probleme beim Zugang zu der Asylbehörde, Menschenrechtsverletzungen und rassistischer Gewalt.
Chrissi Wilkens
J. sieht keine andere Option, als Griechenland zu verlassen und sich weiter über die Balkanroute in Richtung Mitteleuropa durchzukämpfen. “Ich versuche andere Wege zu finden, um meine Reise fortzusetzen. Ich sehe, dass wegen der Krise Griechenland selbst viele Probleme hat. Es ist sehr schwierig, an einem Ort zu bleiben, wo du keine Unterstützung bekommen kannst, keine Arbeit finden kannst.” Auch die Möglichkeit, an einem Relocation-Programm teilzunehmen, ist für viele Flüchtlinge keine Option, weil es zurzeit nur für bestimmte Nationalitäten vorgesehen ist und sie oft auch über den Ablauf so eines Verfahrens nicht gut informiert sind. Aber auch, weil sie in den Medien gelesen haben, dass diese
europäischen Maßnahmen bis jetzt nicht erfolgreich verlaufen sind.
Auf dem Viktoria-Platz in Athen versucht Abdul ein paar warme Klamotten zu finden. Er kommt aus Algerien. Seit fast drei Wochen schläft er zusammen mit anderen Schutzsuchenden auf dem Platz in Schlafsäcken. Sie versuchen dabei, mehrere Kleidungsstücke anzuziehen, um die Kälte aushalten zu können. Freiwillige versorgen sie mit Essen und versuchen, ihnen medizinische Hilfe zu geben. Sie haben Angst, dass sie, wenn sie in ein Aufnahmelager gehen, im Haftlager landen und abgeschoben werden, wie es anderen Männern aus dem Maghreb gegangen ist, seitdem die Grenzen geschlossen wurden.
Abdul versuchte vor ein paar Tagen, mit gefälschten Papieren die Grenze zu überschreiten, ohne Erfolg. Die Polizei in Mazedonien entscheidet willkürlich, wer durch darf und wer nicht, klagt der junge Mann. "Oft muss man auch Schmiergeld geben", sagt er. Er will eine Arbeit in Griechenland finden und warten, bis der harte Winter auf dem Balkan vorbei ist und dann alleine oder mit Hilfe von Schleppern versuchen, wieder über die griechisch-mazedonische Grenze Mitteleuropa zu erreichen. "Wir suchen nach Frieden, einen Ort, wo wir ein menschenwürdiges Leben durchführen können."