Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Das gute, wilde Leben"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

10. 1. 2016 - 16:36

Das gute, wilde Leben

Der Song zum Sonntag: Savages - "Adore"

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  • Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken

Der besonders alte Hut bzw. die ganz alte Lederhose im Rock'n'Roll ist der abgelutschte Mythos vom hochrasanten Leben und dem dementsprechend frühen Sterben. Für immer jung bleiben, YOLO und No Future – der hinterbliebenen Restmenschheit ein ewig fesches Bildnis seiner selbst zurücklassen, als hübscher Leichnam, weil man sich doch recht zeitig von dieser Welt verabschiedet und so aus der unbequemen Pflicht des Alterns gestohlen hat.

Blinkender Fatalismus und sexy Risiko, es geht sich dann aber doch nicht ganz für alle und jeden aus, als Jim Morrison, Kurt Cobain oder James Dean in der Heroinbadewanne zu ertrinken. Was man dann alles so noch hier in dieser Existenz anrichten und erleben kann, ist eh besser - man muss nicht ständig den brandgefährlichen Selbstzerstörer geben.

Savages

Savages

Das englisch-französische Quartett Savages bekennt sich zum Leben, zum Verlangen, zur Lust und zum Brennen. Das kommende, zweite Album wird "Adore Life" heißen, die aktuelle Single heißt "Adore" und das alles ist kein blindnaiver Optimismus in Zuckerwatte.

Die Savages sind mit ihrem ersten sehr guten Album als strenge Nachlassverwalterinnen von Postpunk in Schwarz, Weiß und Steingrau bekannt geworden, die sich vornehmlich an der dunklen Seite der Nacht interessiert zeigen. Nach dem die ersten beiden veröffentlichten Songs von "Adore Life" derbe Noiseattacken in selbst für die Savages fast unerhörter Intensität gewesen sind, ist der Song "Adore" weit zutraulicher. Nur an der Oberfläche. Die Aufschürfung, die Zerfurchung, die Pein entstehen durch die Zerdehnung, die unheilvoll heranschleichende Steigerung, die Repetition. "Is it human to adore life?" fragt Sängerin Jehnny Beth am Ende jeder Strophe. Sie hat die Antwort: "I adore life".

Das Stück erzählt vom unbedingten Wunsch, das Leben zu greifen, das Fleisch, den Saft. Begehren, ungesunde Sehnsüchte und Bedürfnisse, die Enttäuschung, das Gefühl einer diffusen Schande, ein scharfes Messer im Herzen, ein kaltes Bettlaken. Nach drei Minuten bricht "Adore" in fünf Sekunden Stille ein, um noch einmal der richtigen Zeile den Boden zu bereiten: "I adore life".

Man muss es bloß einmal laut vor sich hin sagen. Gegen Ende geht der Song in einer Lärmwolke auf, um dann unvermittelt abzureißen. Reinigung, Heilung, Absolution, ein neuer Schmerz.