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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

9. 1. 2016 - 16:33

"Mein Kampf" auf der Bühne

Diesen Freitag erschien die kommentierte Ausgabe von Hitlers "Mein Kampf". Das Berliner Kollektiv Rimini Protokoll zeigt dazu am Hebbel-Theater ein Stück.

Diesen Freitag erschien die kommentierte Ausgabe von Hitlers "Mein Kampf" erstmals seit siebzig Jahren auf dem deutschen Buchmarkt, und zwar in einer kommentierten Ausgabe, herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin (IfZ).

Rimini Protokoll

Das Berliner Kollektiv erprobt seit 20 Jahren neue Formen des Dokumentartheaters. So erklärte die Gruppe eine Daimler-Hauptversammlung zum Theaterstück oder lässt Zuschauer zu Delegierten einer "Welt-Klimakonferenz" werden. Bei den Recherche-Projekten von Rimini Protokoll agieren Nicht-Schauspieler auf der Bühne, Menschen, die ihr Wissen als "Experten des Alltags" einbringen. Rimini Protokoll war 2007 in Stuttgart an der Reihe "Endstation Stammheim" beteiligt. Seit 2013 ist "Qualitätskontrolle" unterwegs, der Monolog einer vom Hals an abwärts gelähmten Frau. In allen Stücken, so Experten, gehe es um eine "Neudefinition des dokumentarischen Theaters".

Passend zur Wiederveröffentlichung des Bestsellers zeigte die Theatergruppe Rimini Protokoll am Donnerstag Abend im Berliner Hebbeltheater das Stück "Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2". Nach der Uraufführung in Weimar war das Stück schon in Graz, München, Zürich und Mannheim zu sehen.

Die Inszenierung erzählt von der internationalen Popularität des berüchtigten Buches, und wie immer bei den Stücken des Rimini Protokoll stehen keine Schauspieler, sondern Experten und Expertinnen zum Thema auf der Bühne. Auch für ihre theatralischen Recherchen zu "Mein Kampf" haben die Theatermacher Menschen auf die Bühne geholt, die eine besondere Beziehung zum Thema haben.

Bild aus "Mein Kampf" von Rimini Protokoll

Rimini Protokoll

Bei "Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2" sind es RechtswissenschaftlerInnen aus Deutschland und Israel, ein Buchbinder der berühmten Anna-Amalia Bibliothek in Weimar, ein blinder Vorleser und Radioredakteur und der Rapper Volkan T., der als einer der Wegbereiter des türkischen Hip Hop in Deutschland gilt.

Die Juristin Sybille Flügge hat eine ganz eigene Beziehung zu dem Buch. Als Fünfzehnjährige hatte sie Hitlers "Mein Kampf" nicht nur gelesen, sondern eine eigene Fassung zusammengekürzt, säuberlich abgetippt, mit einem hübsch gezeichneten Deckblatt versehen und ihren Eltern unter den Weihnachtsbaum gelegt. Und das im Haushalt eines Pfarrers, der in seiner Gemeinde als der "rote Rufus" galt. Später studierte sie Jura, ging in die Wissenschaft, ist heute Professorin mit dem Spezialgebiet "Recht der Frau" - und nun eben auch Schauspielerin.

Bild aus "Mein Kampf" von Rimini Protokoll

Rimini Protokoll

Der Theaterabend des Rimini Protokoll ist die bebilderte Erzählung einer Recherche, die das Ensemble gemeinsam unternommen hat. Diese Recherche trägt - allen Bedenken und Berührungsängsten zum Trotz - eine Fülle von Fakten zusammen über ein Buch, das bis zum Kriegsende eine Auflage von 12,5 Millionen erzielt hatte. Hitler war auch Bestsellerautor, der durch seine frühe Kampfschrift zum Tantiemen-Millionär wurde.

Für die Inszenierung wurden "Mein Kampf"-Ausgaben aus der ganzen Welt gesammelt, und das Sammeln gestaltete sich als gar nicht schwierig. In Indien wird das Buch auf der Straße verkauft, in Japan bekommt man ein Hitler-Kit samt Hitler-Manga. "Mein Kampf" kann man in den USA, im Libanon, in Indonesien und Marokko ohne Probleme erwerben. Es gibt "Mein Kampf" in Leder, "Mein Kampf" im Internet, "Mein Kampf" auf türkisch und hebräisch. In Deutschland blüht ein Handel mit antiquarischen Ausgaben.

"Mein Kampf":

1925/26 erstmals veröffentlicht und bis zum Ende des NS-Regimes in einer Millionenauflage vertrieben, haftet Adolf Hitlers Hetzschrift "Mein Kampf" seit Jahrzehnten die Aura des ‘verbotenen Buches’ an. Mit dem 31. Dezember 2015 laufen die vom Freistaat Bayern verwalteten Urheberrechte aus – und damit das Instrument, mit dem Neudrucke bislang unterbunden wurden. Die Debatte, ob und in welcher Form das Buch neu veröffentlicht werden darf, hat längst begonnen – obwohl es antiquarisch erhältlich, umsonst und als E-Book im Internet verfügbar ist, und noch kein Staatsanwalt jemals ermittelt hat. Was wird durch das symbolische Verbot verhindert? Was steht überhaupt darin? Geht in Zeiten verstärkter rechter und neofaschistischer Tendenzen in Deutschland und Europa von dem Buch eine politische Gefahr aus?

Die trockene Materie, die vielen Daten und Zahlen zur "braunen Bibel" werden dramaturgisch durch Hitlersche Stilblüten und unterhaltsame Fragespielchen, durch Hip Hop-Videos von Volcan T. aufgelockert. Die inhaltliche Beschäftigung macht klar: Im Raum des Verbotenen wird dieses Buch überbewertet. Es geht um eine Entmystifizierung der "braunen Bibel". Wissenschaftler, die an der kommentierten Ausgabe gearbeitet haben, kommen per Video zu Wort. Zur Entmystifizierung gehört auch die Erkenntnis, dass "Mein Kampf" gar nicht so unlesbar und schlecht geschrieben ist - es hat eben den Stil der völkischen Literatur dieser Zeit. Auch die antisemitischen Stellen, so der Experte, wären in vielen anderen frei zugänglichen Büchern viel extremer.

Bild aus "Mein Kampf" von Rimini Protokoll

Rimini Protokoll

Überwindung kostete es die Wissenschaftler dennoch, sich mit einem Pamphlet zu befassen, das die spätere Shoah ideologisch begründet hat. Immer wieder werden in "Mein Kampf" Demokratie und Parlamentarismus in Frage gestellt - da ergeben sich auch Bezüge zu heute.Wenn Pegida über die Lügenpresse hetzt, ist man nicht weit entfernt von den "sozialdemokratischen Winkelredakteuren" oder der "Schmutz- und Schundpresse", von der in "Mein Kampf" die Rede ist.

Der Abend im Hebbeltheater hatte auch Längen. Kein Wunder, denn die Leere, die sich phasenweise breit macht, liegt im Werk selbst begründet. Und oft genug erinnert Hitlers Grundgestus - die Rechtfertigungsschrift eines Gescheiterten - fatal an all die Weltverschwörungs-Theoretiker heutiger Tage, die auf Facebook oder sonst wo ihre Hass-Predigten verbreiten.

Aber der Abend lohnte sich trotzdem - weil er sich auf eine dokumentarische und coole Art an ein Tabuthema wagte. Das Publikum belohnte die Recherche- und Darstellungs-Leistung mit langem und anhaltendem Beifall.

Bild aus "Mein Kampf" von Rimini Protokoll

Rimini Protokoll