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Pia Reiser

Filmflimmern

11. 1. 2016 - 09:03

Gehemmt im Seidenhemd

Betuliche Oscar-Konfektionsware ist "The Danish Girl", die Geschichte der Transgender-Pionierin Lili Elbe. Entfesselt ist hier nur Eddie Redmaynes Mimik.

Sechsundzwanzig Gesichtsmuskeln hat der Mensch und Eddie Redmayne hat keine Angst, sie zu benutzen. Manchmal alle gleichzeitig. Aber beginnen wir am Anfang von Tom Hoopers "The Danish Girl", da herrscht noch noble Zurückhaltung in Redmaynes Mimik. Er spielt den dänischen Landschaftsmaler Einar Wegener, der allerdings nicht für seine Kunst in die Geschichte eingehen wird. In den 1930er Jahren wird an Wegener, der sich dann Lili Elbe nennen wird, eine der ersten geschlechtsangleichenden Operationen vorgenommen.

Wegener ist verheiratet mit Gerda (Alicia Vikander), die ebenfalls Künstlerin ist, die ersten Szenen des Films skizzieren mit Leichtigkeit die Beziehung zwischen Einar und Gerda: Da ist Liebe, kein Zweifel, da ist aber auch eine tiefe Freundschaft, ein Interesse für die Kunst des Anderen, eine tiefe Vertrautheit, ein großes Verständnis. Diese ersten paar Szenen sind vor allem dank Vikanders strahlender Präsenz und geerdetem Spiel - sie hat eine direkte Unmittelbarkeit und Frische, als wär sie grad barfuss durch eine taunasse Wiese gelaufen, das kann sonst nur Kate Winslet - erstaunlich ungezwungen. Noch hat der Film eine rotwangige Lebendigkeit, die sich allerdings bald in eine noble, aber blutleere Blässe verwandeln wird.

Eddie Redmayne in "The Danish Girl"

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Fast flapsig unangestrent schwingt sich "The Danish Girl" auch noch zu einem Ausflug auf die Meta-Ebene auf und lässt Gerda - lässig mit Zigarettenspitz im Mund - nicht ohne Triumph einem Mann, der für ein Porträt Modell sitzt, erklären, dass sie eh versteht, dass es für ihn schwierig ist "to submit to the female gaze". Mit dem Begriff erinnert Gerda uns an Laura Mulveys Definition des bestimmenden male gaze im Kino und den dicklichen Herren vor ihr, dass sie als Frau Blicken auf eine andere Art und Weise ausgesetzt ist als er. (Überhaupt steckt in Gerda soviel von den Theorien von Mulvey und Judith Butler, dass man die Diplomarbeiten schon rascheln hört).

Eddie Redmayne in "The Danish Girl"

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Dass die Art und Weise, wie Blicke auf einen gerichtet werden, stark davon abhängt, welchem Geschlecht man zugerechnet wird, das wird auch Einar bald am eigenen Körper erfahren. Noch aber sitzt er bloß Modell für Gerda. Ihr eigentliches Modell hat abgesagt und so steckt sie in ihrer beherzten Art und Weise ihren Mann in Seidenstrümpfe und bestickte Schühchen. Der protestiert nur sanft, als ihm auch noch das Kleid - ein herrliches Monstrum aus mehreren Schichten Tüll - übergeworfen wird. Er hatte immer schon eine Faszination für die Kleider seiner Frau, generell für die Schönheit der Dinge, mit denen man Weiblichkeit konstruiert. Sein Blick bleibt oft hängen an Schuhen mit Absatz, einem Spitzennachthemd, einem Lippenstift. Der Moment, in dem er in zu kleinen Schuhen steckt und das Tüllkleid hält, wird zur Erkenntnis, dass er im falschen Körper steckt. Mit dieser Szene geht auch das nicht mehr aufhören wollende nervöse Zittern und Zucken im Gesicht Redmaynes los. (Absurderweise war vor einigen Jahren noch Nicole Kidman im Gespräch für die Rolle der Lili Elbe, also eine, die damals quasi über keinerlei Mimik mehr verfügte).

Eddie Redmayne in "The Danish Girl"

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Für Gerda ist ihr Mann in Frauenkleidern zunächst bloß Muse; ein interessantes Spiel und Kokettieren mit Identitäten. Ihre Gemälde der mysteriösen Frau, die sie als "Einars Cousine" vorstellt, finden großen Anklang. Für Einar ist die Schminke, die Schuhe, der umgeschlungene Seidenschal und die Kleider schon längst nicht mehr Verkleidung sondern Ausdruck des eigentlichen Ichs. "The Danish Girl" behandelt das Transgender-Thema als eine Angelegenheit der schönen Oberflächen und der richtigen Gesten (und ist somit wieder bei Butlers "Gender performativity"). Immer wieder streichen Lilis Hände über Seide, Samt und Pelz, so dass irgendwann der Eindruck entsteht, dass es Einar Wegener schlicht und einfach satt hatte, immer nur graue Anzüge zu tragen. Es vereinfach einen komplexen Prozess auf eine Faszination der Oberflächen - diese Oberflächen, das kann Hooper, sind allerdings teilweise herrlich in Szene gesetzt.

Es ist aber fast paradox wie unkörperlich ein Film sein kann, in dem es so viel um Körper geht. Redmaynes Spiel ist manieriert und gehemmt zugleich, irgendwann geht die Figur der Lili Elbe verloren und übrig bleibt Redmayne mit Clownschminke und Krokodilstränen. Es würde einen nicht weiter verwundern, würde er nach jeder Szene sich kurz verbeugen und "For your consideration" in Richtung Mitglieder der Academy of Motion Picture Arts and Science flüstern.

"The Danish Girl" läuft seit 8. Jänner in den österreichischen Kinos

Tom Hoopers Filme ("The King's Speech", "Les Miserables") sind Ausstattungsfilme par excellence, sie haben nicht die Muffigkeit von Merchant/Ivory-Produktionen, doch sie scheinen unter einer Glasglocke zu stecken. Den Brückenschlag ins Jetzt schafft Hooper nie, seine Filme sind possierliche Teestuben-Dramen, man muss stets darauf gefasst sein, dass ein Herrenquartett "For he's a jolly good fellow" anstimmt. Hooper will mit der Geschichte um die Transgender-Pionierin Elbe alles richig machen, doch die Betulichkeit raubt dem Film Dringlichkeit und Herz. Der Defibrillator, der "The Danish Girl" immer wieder mal stoßweise Leben einaucht ist Alicia Vikander als Gerda Wegener.

Alicia Vikander in "The Danish Girl"

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Wirklich fantastisch ist an "The Danish Girl" die Leistung der Kostümbildner. Jedes Kleidungsstück erzählt eine Geschichte, wird die Zunft der Kostümdesigner ja nie müde zu erzählen und hier erzählt wirklich jedes Detail Bände. Die hohen steifen Krägen der Herrenhemden engen Einar schon ein, noch bevor er zu Lili wird. Immer wieder spielt das Kostümdesign auch damit, wie Kleider wichtiger Teil der Genderidentität sind. Gerda Wegener, mehr Tomboy als Dame, trägt oft Zweiteiler, die leicht zu groß wirken, mit groben Gürtel um die Taille. Einmal weist ein Kleid Applikationen auf, die an Hosenträger erinnern. Später im Film trägt Lili zwar mal kein Make Up, aber einen sehr femininen, hellen Anzug, Bluse statt Hemd und Marlenehosen, ein lila Stecktuch. Wer bei "The Danish Girl" auf die Kostüme achtet, kann viel Spielereien mit Mode als Baustein einer Geschlechteridentität entdecken. Schade nur, dass nur eine Figur - Amber Heard spielt eine Tänzerin und Freundin der Wegeners - die Flamboyanz der 1920er Jahre in Form von Mode am Körper trägt, überhaupt sind die wilden 20er Jahre bei Hooper eher die milden 20er.

Amber Heard in "The Danish Girl"

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"The Danish Girl" beruht auf dem gleichnamigen Roman von David Ebershoff, der wiederum die wahre Begebenheit sehr frei und mit vielen Auslassungen erzählt. Inspired by a true story ist dann meistens die Lizenz zum wenn schon nicht Weichspülen, so doch zum Formen eines harmonischeren Narrativs. So blieb Gerda nicht wie im Film erzählt so lange an Lilis Seite. Und auch den Mann, den Mathias Schoenarts verkörpert und mit dem eine glückliche Liebesgeschichte für Gerda angedeutet wird, hat es nicht gegeben. Man wird das Gefühl nicht los, dass die Drehbuchautoren irgendwann beschlossen haben, dass diese Transgender-Geschichte doch so tragisch ist, dass man noch ein versöhnliches Ende braucht. Irgendwas angedeutet Hetereosexuell-Erbauliches, damit man nicht völlig zerknatscht aus dem Kinosaal geht. Es gibt diese Art von wahren Geschichten, die sich ein "Thema" umhängen, die keine Feel Good-Filme sind, sondern Feel Better-Filme. Das Publikum soll sich belohnt fühlen, sich mit so einem wichtigen Thema auseinandergesetzt zu haben. Deswegen wird die Tragik (siehe auch "The Imitation Game") ein wenig abgerundet und man schickt das Publikum mit einem versöhnlichen Bild und einem guten Gefühl nach Hause.

Die Tagebücher der Lili Elbe, nachzulesen in "Man into Woman", sind herzbrecherisches Material, das kann man von Tom Hoppers Film nicht behaupten."The Danish Girl" ist die Art von Film, die man, wenn die 102-jährige Urstrumpftante zu Besuch kommt und wissen will, was eigentlich Transgender bedeutet, getrost vorführen kann. Aber vielleicht muss man sich auch drüber freuen, dass die Geschichte der Lili Elbe in einer großen Produktion, als Mainstreamfilm mit Arthaus-Schleife, sichtbar für alle in die Kinos kommt, als kein queeres Nischenprodukt, sondern ein nach Oscars geifernder, Film, der sich nobel und betulich eine Botschaft der Toleranz auf die Fahnen stickt. Vielleicht ist es genau das, was nach "Transparent" und Caitlyn Jenner dem Thema noch gefehlt hat, um im Narrativ des Mainstreams anzukommen.