Erstellt am: 10. 1. 2016 - 14:00 Uhr
Noch mehr Filmfieber 2016
CHRISTIAN: Nachdem wir uns im ersten Teil unserer Vorfreude-Festspiele ausgiebig den brachialen Actionspektakeln gewidmet hatten, ob mit oder ohne Superheldendress, kommen wir nach der üppigen Vorspeise zum Hauptgang. Und das ist für mich zumindest weiterhin Kino, bei dem die Überwältigung über einen aufgewühlten Gefühlshaushalt funktioniert. Mich springt da sofort "The Light Between Oceans" an, von Derek Cianfrance ("Blue Valentine", "The Place Beyond The Pines"), einem der großen zeitgenössischen Sehnsuchts-Spezialisten. Leuchtturmwärter Michael Fassbender und seine Frau Alicia Vikander ziehen auf einer einsamen Insel ein angeschwemmtes Findelkind groß. Könnte edles Groschenroman-Kino werden, was ich natürlich als Kompliment meine.
SEBASTIAN SELIG lebt im Kino. In Folge des damit verbundenen stetigen Sinnesfests neigt er dazu, seine Liebe zu diesem wundervollen Ort hemmungslos und ausschweifend zu teilen. 2016 fiebert er am ausgelassensten und wohl auch glühendsten "Blood Father", "Maryland", "Elle" und dann noch mindestens vier Hofbauer-Kongressen entgegen. Auch slash, Terrza Visione und Cannes werden sicher wieder ein Fest. Vorfreude Deluxe.
CHRISTOPH: Oh ja. Seit den ersten, berückenden Stills mit der hinreißenden Alicia Vikander kann ich’s auch kaum noch erwarten, den Leuchtturm der Liebe zu erklimmen, den uns der obendrein um ambitionierte Amouranordnungen ja nie verlegene Cianfrance da hinzubauen trachtet.
SEBASTIAN: Das ganz große, rosa-bunte Rosamunde Pilcher-Glück, bitte, mit innerlich zerrissener Michael Fassbender-Erdung, Kameraflügen über die weiß-getünchten Abgründe der Steilküsten und in der Tiefe dann ganz viel scharfzackig kalte Brandung. Ein Gischtfilm über die Unmöglichkeit von fortwährendem Familienglück. Jetzt.
Constantin
CHRISTOPH PRENNER wird auch im wieder sehr üppig gedeckten 2016 in so mancher (sprich: jeder verfügbaren) Minute den unzähligen Film- und Fernsehfeierlichkeiten beiwohnen. Beruflich, privat, exzessiv, obsessiv.
Herz-Attacken
CHRISTIAN: Nachdem ich im vergangenen Herbst erstmals Kalifornien bereiste, hat sich mein ewiges filmisches Nahverhältnis zu Los Angeles zu einer Realaffaire mit dieser monströsen Stadt verdichtet. Umso mehr begrüße ich, dass Regie-Jungstar Damien Chazelle der unvergleichlichen Metropole nun einen ganz speziellen Leinwand-Liebesbrief widmet. "La La Land" vereint gleich zwei Comebacks: Zum ersten kehrt perfekt zur Weltuntergangslage das klassische Tanzkino zurück, mit dem Hollywood in Kriegs- und Krisenzeiten zum heillosen Eskapismus aufgerufen hatte. Zum anderen werden die Nachfolger von Fred Astaire und Ginger Rogers vom Traumpaar Ryan Gosling und Emma Stone verkörpert. Wird dieser Film wie ein einziger rosaroter Musical-Zuckerschock daherkommen? Vielleicht doch nicht, wenn man Chazelles Hang zur knochenharten Quälerei ("Whiplash") und die heftigen, wilden Obsessionen des Goslingers kennt.
CHRISTOPH: Kann zwar nun auch nicht gerade behaupten, dass ich einem Musical-Revival entgegengesehnt habe, bin aber durch diverse aktuelle TV-Auflockerungsübungen wie "Crazy Ex-Girlfriend" aber mittlerweile etwas entspannter.
CHRISTIAN: Singen müssen oder sollen sie auch nicht, aber irgendwie berauscht mich auch als Nichttänzer die Ideen eines knallig choreografierten Tanzfilms im Astaire-Stil sehr. Das Feld sollte man bitte nicht bloß Baz Luhrmann überlassen.
CHRISTOPH: Schön auch, dass Chazelle bereits durchblicken hat lassen, dass die Figuren in "La La Land" um nichts weniger manisch drauf sein dürften als Miles Tellers Trommelstreber. Und hey, J. K. Simmons ist ebenfalls wieder mit von der Partie – und wer wollte den nicht schon mal inbrünstig Lieder vor sich hin schmettern hören?
"Cemetery of Splendour", R: Apichatpong Weerasethakul
Womöglich der ganz große Ruhepol im kommenden Kinojahr. Das tief verträumte Kino von Weerasethakul fühlt sich ein wenig an, als wäre man am Rande des Dschungels an einen schattig, kühlen Grabstein gelehnt eingenickt und würde, den Schoß voll bunter Schlangen, halb erwachen. Die hätten dann aber gar nichts bedrohliches, sondern würden einen nur umgehend wieder sanft und tief in das Dickicht der Träume zurückziehen. (SE)
"Creed", R: Ryan Coogler
Ein Herzensding mit verdammt wuchtiger Rechten. "Rocky" noch einmal mit ganz viel altersweiser Ruhe und Besonnenheit jetzt als Lehrmeister. In den USA hagelte es dafür Ende des Jahres schon ganz viel Kritikerlob und Zuschauerbegeisterung. Da braucht man kein Springseil, um vor Vorfreude schon mal ein klein wenig auf der Stelle zu hüpfen. (SE)
Constantin
SEBASTIAN: Baz Luhrmann, Musical-Zampano, der er ist, wird 2016 übrigens mit "The Get Down" durch das New York der 70er tanzen. HipHop, Punk und Disco auf der Spur. Leider aber nicht im Kino, sondern in Serie. Kommenden Sommer auf Netflix.
CHRISTOPH: Dann gibt es da freilich auch noch Filmemacherinnen, drei, um genau zu sein, denen unsere Herzen in 2016 zufliegen dürften.
SEBASTIAN: Da hast du recht. Größtmöglicher Herzensfilm in diesem Kinojahr wird für mich wohl "Maryland" von Alice Winocour. Matthias Schoenaerts ("Der Geschmack von Rost und Knochen") spielt darin einen Bodyguard, der auf wunderschön entrückte Weise Diane Kruger verfällt. Winocour, so verspricht es der erste Trailer, schwelgt hier ganz in dichtester Atmosphäre und geht immer wieder ganz nah ran, an diesen innerlich bebenden Granitklotz von einem Mann.
CHRISTOPH: Außerdem wird auch noch die wunderbare US-iranische Regisseurin Ana Lily Amirpour endlich das Nachfolgewerk zu ihrem herausragenden S/W-Vampir-Fiebertraum "A Girl Walks Home Alone At Night" in die Kinos stellen. Und allein schon der Pitch zu diesem "The Bad Batch" drückt bei mir alle erdenklich richtigen Knöpfe: "A dystopian love story in a Texas wasteland and set in a community of cannibals." Hach!
CHRISTIAN: Verdammt, den Film würde ich jetzt auf der Stelle gerne sehen. Ana Lily Amirpour, von manchen kaltherzig als Hipster-Regisseurin abgetan, personifiziert für mich eine kleine Utopie: Dass die Popkultur und ihr fiebriger Lockruf nämlich die Klischees von Geschlecht und Religion sowas von locker übertönen kann. Und trotzdem steht Amirpour in jeder Filmsekunde zu ihren iranischen Roots.
SEBASTIAN: Was mir aus den Filmfestival Line-ups der vergangenen Monate auch immer wieder verführerisch hitzig entgegengeflirrt ist, war der wunderschöne Mädchenfilm "Mustang" der türkischen Filmemacherin Deniz Gamze Ergüven. Fünf Schwestern revolutionieren dort am streng-konservativen Familiensitz im Norden der Türkei den Sommer. Bald dann auch bei uns.
Weltkino Verleih
Oh so Funny
CHRISTIAN: Um es milde auszudrücken – 2015 war wohl nicht das größte Komödienjahr, könnte sich das heuer besser anlassen?
SEBASTIAN: 2016, so scheint es, werden alte Witze nicht einfach nur noch einmal aufgewärmt, sondern von meisterlicher Hand fast "Star Wars"-Style neu erdacht, mit großer Besetzung und nicht weniger Hemmungslosigkeit. Der wunderbare Paul Feig wird in wenigen Monaten mit Melissa McCarthy und Kristen Wiig noch einmal laut "Ghostbusters" rufen, Ben Stiller und Owen Wilson packen mit "Zoolander 2" erneut eine ihrer alten, aber auch schönsten Kollektionen aus und die Coen-Brüder zieht es mit Monster-Starbesetzung gleich ganz zurück in die großen, alten Hollywoodstudios. "Hail, Caesar!" oder was meint ihr?
"The Nice Guys", R: Shane Black
Eigentlich geht das ja gar nicht mehr, dieses sarkastische "Guck mal, wie cool wir sind"-Ding, diese ausgestellt abgeklärte Gepose. "Kiss Kiss, Bang Bang" Shane Black hat das früher aber mal tatsächlich noch etwas trockener und wortgewandter drauf, als all die nur zum Fremdschämen einladenden Tarantino-Nacheiferer. Hier nun hat er mit Russell Crowe und Ryan Gosling auf jeden Fall schon mal die richtige Besetzung für so etwas am Start. Also mal sehen. (SE)
"Sausage Party", R: Greg Tiernan, Conrad Vernon
Ein 3D-Animationsfilm über eine Wurst, die sich auf eine Reise nach den Ursprüngen ihrer Existenz macht? Hört sich wie eine veganer Propagandafilm für Kinder an, dabei geht es um schlüpfrigen Erwachsenenklamauk. Seth Rogen, Jonah Hill, James Franco, Kristen Wiig und Michael Cera leihen ihre Stimmen, die Zielrichtung lässt sich erahnen. (CF)
CHRISTIAN: Ich würde bei Derek Zoolanders Laufsteg-Spaziergängen am liebsten in der ersten Pariser Reihe sitzen, muss aber bei "Hail, Caesar!" leider eine Portion Skepsis ins Spiel bringen. So sehr ich die Coen-Brüder liebe, wenn ihr spezieller Humor in einem Film mit existentialistischer Härte abgefedert wird – ich picke nur "A Serious Man", "Fargo" oder "No Country For Old Men" aus der Favoritenliste heraus – so wenig schätze ich ihre hemmungslosen Blödeleien. Mit "O Brother, Where Art Thou" und vor allem "Burn After Reading" konnte man mich jagen. Lasse mich von dieser abstrusen Hollywood-Hommage mit George Clooney, Josh Brolin und zirka hundert lässigen Nebendarstellern aber gerne eines Besseren belehren.
CHRISTOPH: Geht mir in dem Fall ganz genauso wie dir. So gut etwa "True Grit" unter die Haut ging, so nerven mich die Machwerke aus ihrer sogenannten "Numbskull Trilogy" – zu der ja neben den zwei von dir angesprochenen auch noch das Ärgernis "Intolerable Cruelty" gehört und in dessen Kerbe wohl auch die Caesaren-Chose schlägt. "Ghostbusters" fiebere ich aber bei aller Skepsis gegenüber jener reinen Retromanie, die uns im Vorjahr die diversen knallhart kassenkalkulierten, wenig neue Aufschlüsse bietenden Aufgüsse von "Terminator", "Jurassic Park" und "Star Wars" beschert hat, aber schon sehr entgegen. Hier scheint zumindest ein frischer Wind durch die von den Geistern von Gestern gesäumten Gänge zu pfeifen. Und klar, die große Schau der neuen Derek-Hansel-Mugatu-Kollektion geb ich mir auch erste Catwalk-Reihe fußfrei.
Sony
Die anderen Heimatfilme
SEBASTIAN: Man meint, ganz viel wundervoll ekstatische Wahrheit auszumachen, blickt man auf das, was uns aus der österreichischen Kinoproduktion für das heurige Kinojahr versprochen wurde. Wilde, ungezügelte Menschenportraits im Close-Up. Andreas Horvarths flirrend direkter Blick auf "Helmut Berger, Actor" hat ja 2015 schon auf einigen Filmfestivals für Furor gesorgt und kommt nun endlich auch regulär in die Kinos. Fast noch spannender klingt aber sein neuer Film. "Lillian" beschreibt er als ein "experimentelles Road Movie", in dem wir einer jungen, entschlossenen russischen Pornodarstellerin folgen, die zu Fuß von New York zurück in ihre Heimat aufbricht und in der Kälte Alaskas verschwindet.
CHRISTOPH: "Helmut Berger, now seventy-one and sometimes looking like Marguerite Duras, rants and raves in his ramshackle apartment while the maid dishes the dirt about his sad life", hat der ebenso einschlägige Saubartl John Waters zu ersterem Film, der für ihn denn auch gleich der beste des Jahres war, notiert. Hach, das könnte wahrhaftig groß werden.
Andreas Horvath
SEBASTIAN: Vorfreudigst in den Sinn kommt mir da sogleich auch noch der Film des Regie-Duos Böller und Brot (Sigrun Köhler & Wiltrud Baier) in den Sinn, die ausrufen "Wer hat Angst vor Sibylle Berg?" Hier 2016 die Kamera um diese wundervolle Frau kreiseln zu sehen, wird sicher auch ein Fest.
CHRISTIAN: Bin sehr gespannt, was springt euch von den heimischen Produktionen denn noch an?
"Patient Zero", R: Stefan Ruzowitzky
Passt nicht ganz zum Austro-Kino, denn Ruzowitzky filmt auch weiterhin englischsprachig – und wagt nun mit Natalie Dormer ("Game of Thrones") und "Doctor Who" Matt Smith einen Trip ins boomende Revier der Untoten. Die sollen hier laut Eigenauskunft denn auch weniger wie das wandelnde Gemüse einschlägiger Produktionen daherkommen, sondern regelrecht agil und viril, ja, gar sexy. (CP)
CHRISTOPH: Gleich zu Beginn des Jahres wird uns Paul Poet mit seinem unverschnitten harten Trauma-Talk "My Talk with Florence" mit einer ganz ungebremsten Wuchtigkeit erwischen, der man aber unter gar keinen Umständen ausweichen möchte. Eine 70-Tonnen-Lok von einem Film, die ob des Formats aber doch auch was ungemein befreiendes hat. Ansonsten versprech ich mir vom Austro-Filmjahr 2016 besonders von "Jeder, der fällt hat Flügel" so einiges – hat sich dessen Regisseur Peter Brunner doch schon mit "Mein blindes Herz" als eine der unverzagtest Abgründe aufsuchenden Stimmen im Kinobetrieb beweisen können. Die Hauptrolle der traumgleichen Trauerstudie – es fielen Malick-Vergleiche – gibt übrigens die eventuelle österreichische Chloë Moretz, Jana McKinnon, die im letzten Spieljahr auch schon in der bittersüß bezaubernden Coming-of-Age-Gschicht "Beautiful Girl" zu sehen war. Und deren Macher Dominik Hartl hat ja wiederum ebenfalls ein neues Werk am Start.
CHRISTIAN: Ganz genau. Dabei sagen Eingeweihte, dass man sich auch als Skeptiker in Sachen überbordender Ironie von dessen Titel nicht abschrecken lassen soll. "Attack of the Lederhosen-Zombies" verspricht nämlich keine bloße alpine Kalauersammlung mit Blut- und Beuschel-Schauwerten, sondern tatsächlich eine liebevolle Genreverbeugung mit morbidem Humor. Also einen Film ganz im Sinne der immer noch zentralen ZomComs "Shaun Of The Dead" und "Braindead". Dominik Hartl hat für die Rolle der resoluten Hüttenwirtin auch eine meiner absoluten heimischen Lieblingsschauspielerinnen gecastet, die fantastische Margarete Tiesel, die in Ulrich Seidls "Paradies: Liebe" begeisterte.
Fischer Film
SEBASTIAN: Apropos Ulrich Seidl, ich bin jetzt zwar kein Zahnarzt, aber auf kaum etwas freue ich mich 2016 mehr, als mit diesem Regisseur "Auf Safari" zu gehen. Philipp Ruch vom "Zentrum für politische Schönheit" hat es neulich in einem Interview schon einmal schön und bitter auf den Punkt gebracht, dass weder ein von Heckschützen in den Kopf geschossenes Kind noch die darauffolgenden 120 000 Opfer nur annähernd den Pressesturm entfachen konnten, den ein erschossener Gorilla im Zoo von Sarajevo auslöste. Menschen kann man als Scharfschütze problemlos erschießen. Aber bei Tieren hört der Spass auf. In diesem Sinne, auf mit ganz viel "Tierischer Liebe" ins Kino 2016.
Visionäre & filmische Vertrauenspersonen
"20th Century Women", R: Mike Mills
Der große Mr. Mills, der Pop und Poesie verschmilzt wie wenig andere seiner Generation, schenkt uns einen Blick auf Kalifornien in den frühen 70ern und eine Gruppe junger Frauen, die durch den Alltag driften. Ich erwarte mildes Sonnenlicht, East-Coast-Rock'N'Roll, viel Melancholie und einen unvergesslich schönen Roadtrip mit Elle Fanning und Greta Gerwig. (CF)
"Everybody Wants Some", R: Richard Linklater
Kaum einer kann Coming-of-Age-Kino besser als Richard "Boyhood" Linklater. Mit seinem neuen Streifen über ein Baseball-Team in den 80ern kehrt er zum charmanten Tonfall seines Schlüsselstreifens "Dazed & Confused" zurück. Und sogar als Antisportler klingt das für mich einfach nur wundervoll. (CF)
"Story Of Your Life", R: Denis Villeneuve
Längst auch zur unumstrittenen Vertrauensperson ist Denis Villeneuve geworden, der uns in den letzten fünf Jahren fast ebenso oft komplett umgeblasen hat. Bevor er sich bald seinem "Blade Runner"-Sequel widmen wird, hat der Kanadier genretechnisch schon mal Erstkontakt aufgenommen – und liefert uns mit Amy Adams seine eigene, hoffentlich wieder herrlichst aufreibende Deutung gewisser Close Encounters of the Third Kind. (CP)
CHRISTOPH: Und da müssen wir auch schon in die Zielgerade unserer kleinen Vorschau einbiegen – in der uns aber würdigerweise noch Legenden, langjährige Wegbegleiter wie Wagehälse entgegenwinken.
CHRISTIAN: Ja, es gibt natürlich, unabhängig von Genres und Themen, ein paar Regie-Visionäre und filmische Vertrauenspersonen, denen man fast blind folgen muss. Martin Scorsese ist so ein Fall; in "Silence" schickt er Adam Driver und Andrew Garfield als Jesuitenpriester ins Japan des 17. Jahrhunderts, wo Christen brutal verfolgt werden. Wenn ich mir als kirchenscheuer Agnostiker das alte und das neue Testament von einem Regisseur predigen lasse, dann ist es natürlich Kinogott Marty, ein schmerzliches Glaubensdrama, an dem Blut und Tränen kleben, kommt wohl auf uns zu.
SEBASTIAN: Hach, da sehe ich uns schon an ein Kreuz gebunden, bald wohl wieder auf einen ganz mächtig tosenden Wasserfall des Kino-Glücks zutreiben.
CHRISTOPH: Nicolas Winding Refn wäre da natürlich auch noch, der aus den Mean Streets und Hinterhöfen Bangkoks in die Zwie- und Scheinwerfer-Lichterwelt von Los Angeles übersiedelt ist, um dort unter und mit schönen Menschen dem "Neon Demon" aufs horribelste anheim zu fallen. Aber worum geht’s da genau und wird man das von Amazon finanzierte Werk denn bei uns überhaupt auch auf der ihm gebührenden Leinwand sehen können?
SEBASTIAN: Sollte uns Refns "The Neon Demon" wegen dem Amazon-Deal tatsächlich im Kino vorenthalten bleiben, wären wohl landesweite cinephile Unruhen das mindeste, was zu erwarten ist. Das hieße sehenden Auges Vertriebsmodelle endgültig mit dem geballten Zorn und der Leidenschaft für das Kino kollidieren lassen. Dann schlägt es wirklich 13.
Koch Media
CHRISTIAN: Sowas mag ich mir derzeit nicht mal ausmalen, freue ich mich doch auf wenige Filme so intensiv wie auf diesen Thriller, die um Morde in der Modebranche kreist. Was wohl nicht nur mich an frühe Meisterwerke des Giallo-Genres wie "Blood & Black Lace" von Mario Bava erinnert, zumal auch die knallbunten Vorabbilder in diese schöne Richtung weisen. Und es geht in "The Neon Demon" um eine Gruppe von Frauen, die in diese Bluttaten verwickelt wird, allen voran die umwerfende Elle Fanning, die neben Christina Hendricks und Jena Malone die Hauptrolle spielt. Keanu Reeves, der sich mit "Knock Knock" epochal ins Rampenlicht zurückgespielt hat, ist ebenfalls dabei.
SEBASTIAN: Und dann taucht plötzlich Paul Verhoeven wieder auf, verdammt, endlich wieder ein neuer Film von Paul Verhoeven. Wie lange haben wir darauf nur warten müssen. Okay, eine Romanverfilmung, egal, aber dafür mit "Elle" Isabelle Huppert in der Titelrolle. Fuck, wie schön.
CHRISTOPH: Auch schon wieder zehn Jahre her, dass der große Holländer uns "Black Book" beschert hat – war also schon höchste Zeit für diese dann scheinbar noch mal extrafurchtlose Unternehmung. Nicht ganz so lang, aber doch auch viel zu lang hat uns Charlie Kaufman auf seine zweite Kinoregiearbeit warten lassen. Doch dieser anrührende Puppen-Psychenspaziergang namens "Anomalisa" war jede Sekunde des Ausharrens wert – oder, Christian?
CHRISTIAN: Charlie Kaufmans unglaubliches Werk hätte das Potential zum depressivsten Film der letzten Jahre - wenn er mit Akteuren aus Fleisch und Blut in der realen Welt spielen würde. Aber durch den Kunstgriff, die Alltagstristesse eines einsamen Handlungsreisenden mit Puppen darzustellen, verwandelt sich der Schmerz in sanft erschütternde Kunst. "Anomalisa" wird wohl ganz oben in meiner Jahresliste auftauchen, wage ich zu prophezeien, so wie auch die neue, bitterböse Satire von Ben Wheatley.
StudioCanal
SEBASTIAN: Genau, wenn dann zur Jahreshälfte die kommende Bilderflut mit solcher Wucht gegen unsere Brust geklatscht ist, dass wir uns kaum mehr auf den Beinen halten können, wird es höchste Zeit, endlich in den "High-Rise" einzuziehen. Dort, in dem von Ben Wheatley nach einem Entwurf von JG Ballard prunkvoll aufgerichteten Wolkenkratzer voller illustrer Gäste versprechen wir uns wohl alle in diesem Jahr, die aufregendsten Partys zu feiern. Wenn nicht gar unsere neue Heimat zu finden. Wir sehen uns. In schönst möglicher Architektur. Im Kino.