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Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

9. 1. 2016 - 17:51

Flimmern: Der assoziative Wochenrückblick

Von der Gnade des Vergessen und dem Leid des Entschwindens.

Flimmern

Der assoziative FM4-Wochenrückblick

Eine musikbesessene Person in meinem Leben hat mir diese Woche fast unter Tränen gestanden, dass mit der Ankunft des Internets eine große Sinnkrise und eine mittlere Depression über die hereingebrochen ist. Es war nicht mehr genug, sieben Musikzeitschriften zu lesen, um einen Überblick zu haben, was an Neuerscheinungen interessant ist und angehört werden soll. Und irgendwann, als die musikverliebte Person bei einer Liste von 200 Blogs angekommen war, die sie täglich lesen wollte, um auf der Höhe der Zeit zu sein, gab sie auf und verschrieb sich für Jahre der Stille.

Die Ankunft des digitalen Zeitalters stürzte einige Freundinnen des Konzepts Sammeln, Archivieren und Speichern in eine Sinnkrise, da die oben aufgeführten Konzepte scheinbar sinnlos geworden sind.
Scheinbar nur deshalb, weil es KulturtheoretikerInnen gibt, die behaupten, dass unser digitales Zeitalter das am schlechtest dokumentierte seit Erfindung der Schrift sein wird.

Belegbar ist das durch unzählige Beispiele, die wir aus unserem Alltag kennen - ok, die ich aus meinem Leben kenne. Ich schaffe es nicht, meine Digitalfotos zu archivieren, meine Mediathek ist voll mit Musiken, die ich eigentlich nicht höre, und wieviele Erinnerungsstücke mit jedem gestorbenen Laptop verblichen sind, will ich gar nicht wissen.

Ich bin nicht fähig, digitale Archive anzulegen und selbst wenn ich in der Lage wäre, es gibt dann noch das Problem der Datenmigration. Betriebssysteme veralten, Speichermedien sind nicht mehr lesbar und das war es dann mit dem Romanfragment, das mensch im Alter von 13 Jahren geschrieben hat.

awf

Archivierungssysteme sind nicht nur aus biographischen und melancholischen Gründen interessante Themen, auch aus der sozialwissenschaftlichen Perspektive werfen sie Fragen über Geschichtsschreibung, Wissen, Macht, Entwicklung, Relevanz, Zuschreibung und und und auf. Im Jahr 2013 wurden im Andy Warhol Museum vierzig Disketten entdeckt, auf denen der 1987 verstorbene Pop Artist Debbie Harry gemalt hat. Im Rahmen einer gefilmten Aktion malte Warhol die Musikerin mit einem Amiga.

Das wie kann man sich auf Youtube ansehen; die Bilder selbst wurden 2014 mittels eines Amiga-Emulators ausgelesen.

Auch die Auswertung und die digitale, wenn man so will, Restaurierung der Bilder ist im Film Trapped: The Andy Warhol Amiga Experiments festgehalten.

cc

Diese Woche wurde ein neuer Fall von digitaler Nachlassrettung bekannt. Die auf Datenrettung spezialisierte Firma DriveSavers hat acht Monate vor dem 50. Ausstrahlungsjubiläum der ersten Star Trek-Episode bekannt gegeben, dass es ihren Mitarbeitern gelungen ist, den Inhalt von gut 200 5 ¼"-Disketten aus dem Nachlass des 1991 verstorbenen Serienerfinders Gene Roddenberry in ein heute allgemein lesbares Format zu konvertieren. Was in den Dokumenten steht, soll noch im Laufe dieses Jahres bekannt gegeben werden.

FM4-Kollege Robert Glashüttner möchte auf einen weiteren Fall der Übersetzung hinweisen, nämlich auf das Steve Meretzky-Archiv:

Das Interessante an der Sache ist, dass in den 80ern die Entwicklung von Software – und eben auch Spielen – in vielen Fällen auch noch analog stattgefunden hat. Deshalb ist es da jetzt im Nachhinein leichter, so eines Archivs habhaft zu werden als bei einem modernen Game (oder auch einem anderen Medienprodukt), da die Entstehung (und Dokumentation der Entstehung) da eben fast immer komplett digital stattfindet und deshalb auch viel verloren geht.