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Martin Pieper

radio FM4

Martin Pieper

Ist Moderator und Chefredakteur von seinem Lieblingssender. Hat sein Hobby zum Beruf gemacht.

8. 1. 2016 - 17:51

Der "Blackstar", der vom Himmel fiel

David Bowie schenkte uns kurz vor seinem Tod noch ein neues Album.

David Bowie ist tot

Kurz nach Erscheinen seines 25. Studioalbums ist David Bowie im Alter von 69 Jahren in New York an Krebs gestorben.

David Bowie aktuell auf fm4.orf.at:

Das eigentlich Arge an David Bowie ist, dass sich seine musikalische Karriere seit über dreißig Jahren an seiner imperialen Phase messen muss. Die hat, je nach Fanstandpunkt, ungefähr von 1970 bis 1983, also gerade einmal gute zehn Jahre, gedauert. Den ungeheuren Innovationsdruck dieser Jahre kann man gut nachvollziehen auf der Website What did David Bowie do at your age? In dieser Zeit hat Bowie mit fast jedem seiner Alben ganze Genres begründet, gefördert oder zumindest beeinflusst. Bands wurden in seinem Namen gegründet, ganze Clubszenen haben sich auf Bowie-Songs und -Images berufen. Diese Zeiten waren schon länger vorbei.

David Bowie

Sony

Bowies musikalisches Erbe wurde von ihm selbst und der Popgeschichtspresse ordentlich verwaltet. Ausstellungen, "Greatest Hits"-Boxsets, Raritäten-Kollektionen etc. zementieren Bowies Status für alle Zeiten. Die daraus resultierende Unantastbarkeit macht das Anhören einer neuen Bowie-Platte auch so unspannend. Mehr als wohlwollendes Abnicken war schon bei den letzten fünf, sechs Alben nicht möglich. Kaum etwas davon hat sich im kollektiven Popgedächtnis eingeprägt. Aber es ist auch irgendwie egal. Wir haben ja immer noch "Heroes". Der Fluch der Zeitlosigkeit.

Jazz-Alarm

David Bowie

sony

Und wieder einmal heißt es bei einem Bowie-Album: Diesmal ist alles ganz anders! Bowie hat das Album "Blackstar" mit New Yorker Jazz-Musikern aufgenommen. Die erste Single ist zehn Minuten lang, das Video ist verstörend - oder auch im Niemandsland zwischen Nine-Inch-Nails-90er-Jahre-Ästhetik und der TV-Serie "Leftovers" angesiedelt.

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Und dann, nach vier, fünf Minuten, kommt dieser Mittelteil, bei dem Bowie eine Melodie scheinbar aus dem Ärmel schüttelt, die tatsächlich in ihrer Schönheit und Eleganz unmittelbar fassungslos macht,. Danach wieder handgespielte (!), virtuose Aphex-Twin-Drums und postapokalyptischer Weltuntergang am schwarzen Stern.

Das neue Album sei Jazz, heißt es. Keine Ahnung, was das heißen soll. Die Musik auf "Blackstar" hat zwar das eine oder andere Saxofonsolo im Programm, bleibt sonst aber durchaus im Rahmen des Popsongs. "Blackstar" ist ungefähr so Jazz, wie 'Young Americans' Soul oder 'Earthling' Drum-and-Bass-Album war. Jazz-Alarm also abgesagt.

Von Station zu Station

Cover Station to Station

RCA

"Blackstar" ist kurz. Es sind nur sieben (längliche) Songs drauf. Im klassischen Vinyl-Sinn gibt es eine A- und eine B-Seite und die entsprechende Dramaturgie: Mit der titelgebenden Single anfangen und mit einer Ballade aufhören, das hat auch schon auf dem Bowie-Album "Station To Station" gut funktioniert, der Platte, mit der "Blackstar" noch einige weitere Parallelen aufweist. Etwa der Bezug zu Bowies Filmrolle als Außerirdischer Newton in Nicholas Roegs Science-Fiction-Fantasie "The Man who Fell to Earth", ein Filmstill daraus ist auch auf dem Cover von Station To Station zu sehen. Für die Blackstar-Ära ließ Bowie eine Art Sequel zum Film gerade unter dem Titel "Lazarus" als Musical (!) in New York aufführen. In der Rolle von Bowie als Alien ist Michael C. Hall geschlüpft, den wir als den sympatischen Massenmörder Dexter kennen.

Die Lyrics sind auf "Blackstar" so kryptisch wie die Songtitel ("‘Tis A Pity She Was A Whore" - ??). Zwischen Fantasiesprache, dem fast ausgestorbenen Soziolekt Polari und surrealen Bilderwelten schieben sich dann Zeilen wie "Where the fuck did Monday go?", die fast mit dem Leben von uns Sterblichen zu tun haben. Uneindeutigkeiten regieren auf dem Stern , aber es ist Krieg in dieser Bowie-Welt - und David ist der Veteran, der uns daran erinnert. Natürlich mit Pathos, aber auch mit Witz und vor allem mit der "hohen Bowie-Stimme" im Gegensatz zum unteren Register, der das letzte Album geprägt hat.

Dunkles Leuchten am Firmament

Philipp L'heritier über David Bowies "Blackstar"

"Blackstar" ist weniger Rock und mehr Glam. Tony Visconti, der langjährige Bowie-Produzent hat hier versucht, alle breitbeinigen Riff-O-Ramas zu vermeiden. Stattdessen hält wieder eine latente Nervosität in die Musik Einzug, die auch an den New-Wave-Bowie der "Lodger"/Scary Monsters"-Phase erinnert. Und da sind wir schon wieder angekommen bei der übermächtigen Geschichte, gegen die dieser "David Bowie" anspielt. Bei "Blackstar" ist das Match wieder einmal unentschieden ausgegangen, und das ist als Kompliment gemeint.




Seeing more and feeling less
Saying no but meaning yes
This is all I ever meant
That's the message that I sent

David Bowie: I Can't Give Everthing Away (2016)