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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

8. 1. 2016 - 14:54

The daily Blumenau. Friday Edition, 08-01-16.

Warum weniger Werte mehr Wert hätten.

#asyldebatte #demokratiepolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
2016 wieder regelmäßig.

Der konservative Philosoph und Kulturwissenschaftler Konrad Paul Liessmann nimmt sich die Freiheit des Zusammendenkens freistehenden Wissens, und erklärt die Wertlosigkeit einer selbstgefälligen Wertedebatte, indem er ihr das Fundament entzieht.

Der scheinbar stabile Begriff des "Werts" hat kein Fundament

Liessmann kolumniert ab jetzt monatlich in der NZZ (dem Printoriginal, nicht in der austrofizierten Web-Version) und startet mit einer Wortmeldung zu einem drängenden Thema. Die vielzitierten Werte einer westlichen Gemeinschaft, die diese sogar in eine inoffizielle Selbstdefinition hineinquetscht, haben es ihm angetan. Egal, wer diese Werte warum anruft (und die Möglichkeiten sind vielfältig, ein- und dieselben Werte können Inklusion bzw. Exklusion stützen, selbstgefällig und xenophob sein), man meint sich bequem auf ein Jahrhunderte altes Fundament zu stützen.

Mitnichten, sagt Liessmann und verweist darauf dass die "Werte" erst im 19. Jahrhundert in der Moralphilosophie Einzug hielten - und ein (handfester) Begriff aus der Ökonomie sind. Seitdem floaten sie subjektiv durch die Interpretations-Räume der westlichen Demokratien, sie "beschreiben Vorlieben, die sich jederzeit ändern können" und selbst wenn sie (gern auch vage) in Gesetzesform gegossen werden, unterliegen sie ideologischen Schwankungen, gleichsam wie an einer jeder Mode unterworfenen Börse.

Der Wert existiert also nur innerhalb einer unvorhersehbaren Schwankungsbreite, er kann schon morgen für etwas anderes stehen. Das was gestern noch common sense war, kann morgen schon weggewaschen sein; das no-go vergangener Tage kann schon heute wieder in den verbalen Mainstream einsickern.

Dass diese Veränderungen sich aber nicht von selber ergeben, dass daran hart und gezielt gearbeitet wird, übersieht Liessmann. Er meint, Werte wären "in hohem Maße von Stimmungen und kollektiven Erregungen abhängig". Ich denke, dass diese konjunkturellen Schwankungen gesteuert werden um daraus (nicht nur politisches, sondern auch - siehe Medien-Boulevard - ökonomisches) Kapital zu schlagen.

Jenseits der Konjunktur-Schwankungen der Werte-Börse

Liessmanns Schlussfolgerung hat dennoch etwas frappantes: der Verzicht auf großkotzig vor uns hergetragene Werte und eine entsprechend in jede Richtung hinbiegbare Debatte hätte schon etwas.

Wie das in die Asyldebatte passt, die Liessmann als Beispiel hernimmt, und ob der Verzicht auf das ostentative Ausstellen von westlichen Werten eine praktisch umsetzbare Unterscheidung zwischen Kriegs- und "Wirtschafts"-Flüchtlingen nach sich zieht, ist (vorsichtig gesagt) wieder eine andere Frage. Liessmanns Schlusssatz, dass es leichtfertig wäre im "Namen von Werten" Rechtsordnungen außer Kraft zu setzen, ist wahr, aber in zu viele Richtungen lesbar; ganz wie die Wertedebatte selber.

Was für mich aus diesem (aus einer spezifischen Denkschule kommenden) Ansatz überbleibt, kann man unter dem Stichwort "selbsterkennende Demut" zusammenfassen. Die Werte, auf denen nationalistische, konservative aber auch progressive Kräfte ihre Haltungen und Abwehrmechanismen aufbauen, sind zu fluid, um als Basis in einem fundamentalistischen Kontext zu dienen.

Für sie gilt gleiches, wie für die sogenannte Leitkultur: das sind in hohem Maße virtuelle, emotional-individualistische Interpretationen einer Gesellschaft, die sich damit aus der Verantwortung der Regulative herausnehmen will. Letztlich als Religionsersatz im Zug einer für nötig gehaltenen Refundamentalisierung einer Gesellschaft im selbsternannten Abwehrkampf.