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Anna Katharina Laggner

Film, Literatur und Theater zum Beispiel. Und sonst gehört auch noch einiges zum Leben.

9. 1. 2016 - 10:57

Die kleinen Geldbuben vor der großen Krise

In "The Big Short" spielen Hollywood-Schwergewichte eine Handvoll Wall-Street-Outsider

Wer behauptet, Collateralized Debt Obligations, die Lehman-Pleite und die jüngste Finanzkrise verstanden zu haben, lügt oder ist ein Freak. Oder beides.
Eine Handvoll solcher Freaks erkennen in "The Big Short" unabhängig voneinander die Immobilienblase und spekulieren auf ihr Platzen. Anders gesagt: Erst mit dem Eintreten der Krise machen sie Geld. Man versteht das, es ist nicht kompliziert. Und da just an dem Punkt im Film, an dem es irgendwie doch notwendig ist, Collateral Debt Obligations zu erklären, blondes Gift in Form einer im Schaumbad Champagner schlürfenden Margot Robbie initiiert wird, ist dann irgendwie eh alles logo mit den Finanzinstrumenten. Außerdem ist spätestens zu diesem Zeitpunkt klar, dass die Subprime-Krise etwas Lustiges ist. Und sexy. Sexy auf die konservative Art mit Haardutt.

The Big Short Filmstill

Universal Pictures

Das, sowie die Tatsache, dass praktisch jede Szene versucht, die vorige oder eher vor-vorige zu erklären (und durch den Kakao zu ziehen), hat dem Komödienmeister ("Anchorman") Adam McKay die Kritik eingebracht, nicht fokussiert genug zu sein und – als Vorwurf an einen Wallstreet-Film mit Staraufgebot fast noch bizarrer - einen unvollständigen Blick auf die Finanzkrise zu werfen. Das Grundproblem mag darin bestehen, dass viele, einschließlich der Regisseur, "The Big Short" als ein Werk sehen, das dazu angetan ist, Diskussionen, gar Aufruhr gegen die Gier der Finanzwelt zu entfachen. Ein Missverständnis, das daher rührt, dass der Film auf dem Sachbuch-Bestseller "The Big Short" von Michael Lewis basiert.

"The Big Short" ist eine Komödie, und kein Lehrfilm

Der Film beginnt außergewöhnlich und unerwartet schnell mit einem Art Vorfilm, der deutlich über der Wahrnehmungsgrenze die Geschichte der Wall Street von den 1970er Jahren bis heute durchpeitscht. Das wirkt sich physisch so aus, dass man ab dem ersten Moment das Gefühl hat, wie in einer Achterbahn in den Kinosessel gepresst zu sein. Dann beginnt der Film, das Montage- und Dialogtempo bremst sich an der Wahrnehmungsgrenze ein. Auf kognitiver Ebene hat das den Effekt, dass man die Inhalte von "The Big Short" schnell vergisst. Die bombastische Wirkung hält aber lange an.

Steve Carell hört zu, Ryan Gosling redet.

Universal Pictures

Regisseur Adam McKay hat nicht nur eine Runde außergewöhnlicher – und an den Kinokassen einträglicher – Schauspieler Hollywoods zusammengestellt, sondern ihre Figuren auch leicht bis stark angeschrägt. Die menschlichste Figur spielt Steve Carell, ein zwischen Nervenzusammenbruch und Tobsucht oszillierender Hedgefond-Manager, der einzige, der auch ein Privatleben hat. Nämlich einen verstorbenen Bruder und die obligate verständnisvolle (alles außer Geld) Frau. Daher fällt ihm letztlich auch die Rolle des Gewissens im Film zu. Ihm erklärt Ryan Gosling, ein aalglatter Kalkulierer, anhand eines Jenga-Bausatzes den amerikanischen Immobilienmarkt. Gosling spielt die Sorte Mensch, der noch alle an den Lippen hängen, selbst wenn sie den lächerlichsten Schmäh machen.

Brad Pitt ißt einen Salat und lässt sich nicht fotographieren

Universal Pictures

Brad Pitt spielt den geläuterten Banker und bärigen Stoiker, der nun auf Samen setzt, 14 Telefonnummern hat und zwei in einer Garage tüftelnde Jünger, die nie wissen, welche Nummer sie wählen dürfen.
Und dann ist da Christian Bale, der mich vor Jahren als ausgemergelter "The Machinist" derart geplättet hat, dass ich immer verwundert bin, wenn er anders auftritt. In "The Big Short" spielt er den größten Freak von allen, eine nahezu pathologische Karikatur des sozial beeinträchtigten Super-Hirns.

Christian Bale mit offenem Mund vor seinem Computer

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Dass die Finanzindustrie keine Lachnummer ist, hat einen Wall-Street Film noch nie gestört. "The Big Short" vereint die Ironie des "Wolf of Wall Street" mit der testosteron-gesteuerten Gier eines Gordon Gekko und macht aus einem finanzwirtschaftlichen Debakel mit gravierenden Konsequenzen einen Jahrmarkt der Absurditäten.