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Conny Lee

Prokrastinative Hinterstübchen des Alltags

7. 1. 2016 - 16:44

#KölnIstÜberall

Anne Wizorek, Bloggerin und Initiatorin von #aufschrei im Interview zu den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht.

In der Silvesternacht ist es in Köln auf dem Platz zwischen Bahnhof und Dom zu massiven Übergriffen gegenüber Frauen gekommen. Die Vorwürfe reichen von Diebstählen über sexueller Belästigung bis hin zu zwei Vergewaltigungen. Unter Verdacht stehen Gruppen von Männern mit nordafrikanischem oder arabischen Aussehen, heißt es in der Pressemitteilung der Polizei.

Silvester am Kölner Hauptbahnhof

Markus Böhm/dpa

Silvester am Kölner Hauptbahnhof

#aufschrei
Ein Herrenwitz und wiederholte Anmache ziehen auf Twitter weite Kreise.

In FM4 Connected haben wir mit Anne Wizorek telefoniert. Die Bloggerin, Medienberaterin und Feministin hat 2013 den hashtag #aufschrei losgetreten, in dem Frauen* und Mädchen* (aber auch manche Männer* und Buben*) ihre Erfahrungen mit Alltagssexismus und sexuellen Übergriffen geteilt haben.

Conny Lee: Es hat mehrere Tage gedauert, bis die deutschen Massenmedien von den Vorfällen in Köln berichtet haben, Von der Rechten kommt jetzt der Vorwurf, dass die so genannte „Lügenpresse“ nicht berichten wollte, um die Täter, die wahrscheinlich Flüchtlinge seien, zu schützen. Warum hat es deiner Meinung nach so lange gedauert, bis die Medien berichtet haben?

Anne Wizorek: Das ist einerseits der Tatsache geschuldet, dass die Kölner Polizei das nicht so schlimm eingeschätzt hat. In der Nacht selber wurde ja noch gesagt, dass alles friedlich verlaufen sei. Regional wurde ja berichtet. Aber dadurch, dass auch noch Ferienzeit war, wurde das nicht so schnell aufgegriffen, wie es hätte können und sollen. Es haben ja schon einige Medien - z.B. das ZDF - gesagt, es sei ihre Schuld, sie hätten früher darauf eingehen müssen. Auf der anderen Seite wird jetzt überall und eingehend darüber berichtet und das sollte am Ende für die Debatte zählen.

Die Debatte hat sich trotzdem nie so wirklich um sexuelle Gewalt an Frauen gedreht, sondern wird immer mehr zu einer Debatte über das Ausländerproblem – oder war es von Anfang an: Obwohl die Täter noch gar nicht bekannt waren, sind sofort Flüchtlinge beschuldigt worden. Die ehemalige deutsche Familienministerien Kristina Schröder fordert eine Auseinandersetzung mit „gewaltlegitimierenden Männlichkeitsnormen in muslimischer Kultur“. Du sagst, dass Rape Culture nicht erst nach Europa importiert werden muss. Kannst du das ausführen?

Anne Wizorek

CC BY-SA 2.0 by MagentaGreen

Anne Wizorek. CC BY-SA 2.0 by MagentaGreen

Hier regen sich jetzt Leute über sexualisierte Gewalt und Sexismus auf, die 2013, als das mit der #Aufschrei-Debatte passiert ist, noch alles heruntergespielt haben, was da an Geschichten geteilt wurde. Die gesagt haben, das ist alles nicht so schlimm, es handele sich da um fehlgeschlagene Flirtversuchen von Männern, Frauen sollen sich da mal nicht so haben, sondern das als Kompliment sehen. Sie könnten sich doch einfach wehren, wenn ihnen jemand zu nahe kommt. Genau dieselben Leute nehmen jetzt die Vorfälle in Köln und instrumentalisieren sie, um rassistische Ressentiments zu schüren. Sexualisierte Gewalt ist in ihren Augen nur dann schlimm, wenn sie von Männern mit Migrationshintergrund ausgeht. Und das darf nicht Konsens der Geschlechterdebatte in Deutschland werden. Da versuche vor allem ich einen differenzierten Blick darauf zu werfen: Das, was in Köln passiert ist, ist schlimm. Wir müssen den Betroffenen so gut wie möglich helfen. Aber wir müssen uns auch ansehen, wie Sexismus und sexualisierte Gewalt zusammenwirken und ein gesamtgesellschaftlichen Problem sind.

Glaubst du, wären die Vorfälle von Köln nicht so groß in den Medien, wenn es nicht diese Verknüpfung mit dem Flüchtlingsthema gäbe?

Naja, da möchte ich nicht spekulieren. Aber das Oktoberfest ist zum Beispiel dafür bekannt, dass dort pro Jahr zehn Vergewaltigungen gemeldet werden, die Dunkelziffer wird sogar auf 200 Vergewaltigungen geschätzt. Da wird aber nie eine große Debatte geführt. Der Standard ist ja leider auch, dass Betroffenen von sexueller Gewalt nicht geglaubt wird. Das, was jetzt in Köln ist, ist aber nicht der Standard und allein deswegen müssen wir jetzt erst Recht eine Debatte darüber führen, wie wir Betroffenen besser helfen können und dass unsere Kultur dieses Klima für sexuelle Übergriffe nicht mehr hergibt.

Die Bürgermeisterin von Köln, Henriette Reker, sagt jetzt, dass Frauen eine Armlänge Abstand zu Männern einhalten sollen. Auch hier in Wien hat Polizeipräsident Gerhard Pürstl in einem Interview gesagt, Frauen sollten nicht nach Einbruch der Dunkelheit alleine unterwegs sein. Es wird also schon wieder nur darüber gesprochen, wie Frauen ihr Verhalten ändern sollten. Anstatt des Verhaltens von Frauen: was muss sich wirklich ändern?

Es ist wichtig, dass jetzt viele Leute verstehen - auch dank #aufschrei - dass es nicht in Ordnung ist, solche Tipps zu geben. Dass es nicht darum geht, Mädchen und Frauen in ihrem Verhalten einzuschränken, ihnen zu sagen, wie sie sich verhalten sollen - was sowieso nie eine Garantie ist! Sexualisierte Gewalt passiert zu jeder Tageszeit in jedem Umfeld - im öffentlichen Raum genauso wie zu Hause, in allen Schichten usw. Wir sollten uns also nicht ansehen, was Frauen und Mädchen ändern können, sondern was wir in unserer Gesellschaft für ein Männerbild haben, wo „Boys will be boys – Männer sind halt so“ dazu gehört. Das kennt man doch schon aus dem Kindergarten: Wenn ein Junge ein Mädchen ärgert oder haut und sie sich darüber beschwert, dann wird ihr gesagt, sie soll sich nicht so haben, der Junge mag sie halt und kann es nicht anders zeigen. Daran erkennt man, wie früh diese Machtverhältnisse schon geprägt werden.

Es heißt, dass es wahrscheinlich keine Verurteilungen geben wird, weil im Fall einer Vergewaltigung sehr spezielle Kriterien gegeben sein müssen, um Täter zu überführen. Bei sexueller Belästigung ist es noch viel schwieriger. Du siehst da auch ein Problem beim Deutschen Sexualstrafrecht.

Es gibt jetzt einige Leute, die härtere Gesetze fordern. Ich denke, wir sollten erst einmal die Lücken in unseren bestehenden Gesetzen schließen. Etwa den §177 zu Vergewaltigung und Nötigung (Deutsches Recht, ANM.), der unter anderem so ausgelegt wird, dass, wenn ein Opfer Nein sagt und trotzdem eine sexuelle Gewalttat am ihm vorgenommen wird, das immer noch nicht der Anlass ist zu sagen, das ist Vergewaltigung. Das Opfer muss immer noch sehr viel mehr beweisen. Die Gesetzeslage geht da an der Realität vorbei. Zum Beispiel, dass Opfer von Vergewaltigungen oft in eine Art Schockstarre geraten und die Tat über sich ergehen lassen, um nicht noch mehr Gewalt zu provozieren. Und dann wird vor Gericht gesagt, sie hätte sich ja wehren können und demnach wird dann der Täter freigesprochen. Die Verurteilungsrate von Vergewaltigungen, die sowieso schon ganz wenig angezeigt werden, ist ja auch wahnsinnig gering in Deutschland. Das sehen wir ja schon, dass es da einen großen Missstand gibt.