Erstellt am: 7. 1. 2016 - 11:49 Uhr
Filmfieber 2016
CHRISTIAN: Meine Lieben, unser alljährliches Treffen im Zeichen der filmischen Vorfreude hat ja schon Tradition. Lasst uns wieder vor dem virtuellen Kamin zusammensitzen, gemeinsam schwelgen und gleich mitten ins Geschehen stürzen. Was springt euch thematisch am direktesten an unter all den unzähligen Kinoereignissen?
SEBASTIAN: Wer hätte vor wenigen Jahren noch gedacht, dass 2016 ausgerechnet der Western mit knirschendem, festem Schritt durch den Schnee direkt auf uns zukommt? Und sich offenbar erneut Andreas Prochaskas "Das Finstere Tal" dabei als ein so toller Vorbote für heftigstes Kinoglück in den kommenden Monaten erweisen würde?
SEBASTIAN SELIG lebt im Kino. In Folge des damit verbundenen stetigen Sinnesfests neigt er dazu seine Liebe zu diesem wundervollen Ort hemmungslos und ausschweifend zu teilen. 2016 fiebert er am ausgelassensten und wohl auch glühendsten „Blood Father“, „Maryland“, „Elle“ und dann noch mindestens vier Hofbauer-Kongressen entgegen. Auch slash, Terrza Visione und Cannes werden sicher wieder ein Fest. VorfreudeDeluxe.
CHRISTOPH: Wir hatten dem abermaligen lustvollen Aufflackern des unzähmbarsten aller filmischen Feuer an ebendieser Stelle ja schon im vergangenen Jahr entgegengesehnt. Aber jedem High Noon die rechte Zeit und der rechte Ort. Schon Anfang 2016 werden sich die beiden zentralen Werke der Western-Renaissance in weißen Winterwelten niederlassen – wobei die Zugänge von Quentin Tarantino und Alejandro González Iñárritu bei aller vermuteten Ähnlichkeit dann doch unterschiedlicher nicht sein könnten.
20th Century Fox
CHRISTOPH PRENNER wird auch im wieder sehr üppig gedeckten 2016 in so mancher (sprich: jeder verfügbaren) Minute den unzähligen Film- und Fernsehfeierlichkeiten beiwohnen. Beruflich, privat, exzessiv, obsessiv.
The Wild Wild West
SEBASTIAN: Der eine, Tarantino, rettet mit einer großen Geste der Liebe eben einfach mal das analoge Kino und schafft es dank „The Hateful 8“, dass in den USA nun 100 Kinos wieder Filme im schönsten Oldschool-Filmformat der Welt, in prachtvollstem 70mm, spielen. Auch das wunderbare Gartenbaukino in Wien kann und wird es tun. Schön. Dann der andere, „Birdman“ Iñárritu, der nicht weniger verspricht, als uns in frostiger Kälte den heißen Atem eines wutschnaubenden Grizzleys ins Gesicht zu blasen. Uns körperlich derart durchzurütteln, dass wir mit Schürfwunden und Prellungen am Leib gleich zum Jahresanfang aus dem Kino taumeln werden. „The Revenant“ – verdammt, auf den freue ich mich vielleicht fast sogar noch etwas mehr.
CHRISTOPH: Kannst und sollst du auch. „Ein Höllentrip, ein Titanentreffen. Dead man walking. Der Horror-Rachewestern, den Malick nie gemacht hat. Archaische Gönnung“, hatte ich mir dazu in der ersten Euphorie notiert, die seither sogar noch gewachsen ist. Kann es kaum erwarten, dieses Winterwunder sehr bald nochmals von der Leinwand leuchten zu sehen.
Free State Of Jones, R: Gary Ross
Wandelt Matthew McConaughy 2016 womöglich auf den Spuren von Mel Gibson? In dem Bürgerkriegs-Drama spielt er einen aufrechten Farmer, der eine Truppe von schwarzen und weißen Rebellen gegen die bösen Sklavenhalter der Konföderierten in die Schlacht führt. Guerilla-Style und bedenkt man inszeniert von Gary Ross („Hunger Games“), sicher auch mit der nötigen Prise romantischen Pathos. Schön. (SE)
Bone Tomahawk, R: S. Craig Zahler
Kurt Russell: 2016 scheint ganz ihm zu gehören. Hier reitet er als Sheriff staubtrocken, tapfer, aber auch mit bitterer Melancholie im Herzen, auf das selbstmörderischste ein paar Kannibalen hinterher, die ein kluges und schönes Mädchen entführt haben. Das wird hart. (SE)
The Magnificent Seven, R: Antoine Fuqua
Zwischen Tarantinos hasserfüllten 8 und Sandlers albernen 6 sollen natürlich auch die sagenumwobenen glorreichen 7 in diesem Westernjahr wieder ihren Platz im Sattel finden. Im Klassiker-Remake von Antoine Fuqua werden das so kernige Kerle wie Denzel Washington, Chris Pratt, Ethan Hawke oder Vincent D‘Onofrio sein. Hab mir vor Vorfreude eben gleich etwas Sand in die Stiefel gekippt. (CP)
CHRISTIAN: Ich stimme dir sowas von zu, Christoph. Ich vertraue meinem Ersteindruck immer am meisten und da hat mich „The Revenant“ einfach mit stürmischer Wucht hinweggefegt, während ich mir „The Hateful 8“ in all seiner bewussten Sprödheit und Dialogüberladenheit etwas schönreden muss.
Constantin
CHRISTOPH: Gegen Iñárritus pures und elektrifizierendes Körperkino ist Tarantinos Zugang dann tatsächlich dezidiert ein ganz anderer, einer des gekonnt gedeichselten Wortwechsels. Interessant, wie er in „The Hateful 8“ nunmehr bereits seine eigenen Zitate zitiert, wie er auch sehenden Auges vieles von dem, was seine Fanboys an seinen Werken lieben, zerdehnt und gegen den Strich bürstet. Wie er etwa auch seine in „Kill Bill“ oder „Django Unchained“ deponierten Selbstermächtigungen in Fragen von Geschlecht und Rasse betont nihilistisch negiert, um dadurch zu einer kulturpessimistischen Conclusio zu kommen, die die Gemüter garantiert spalten wird. Kein makelloser, aber ein mutiger, im Nachhall auch verstörender Film.
Götterdämmerungen
CHRISTIAN: Gemeinsames Fiebern also Richtung Wilder Westen, wie sieht es denn mit den unvermeidlichen Männern und Frauen in viel zu engen Latex- und Spandex-Kostümen aus? Gibt es eurerseits noch einen letzten Rest Euphorie für die Frühling-, Sommer- und Herbst-Catwalks der Häuser Marvel und DC?
SEBASTIAN: Ganz ehrlich, die omnipräsente Superhelden-Nummer begann sich doch schon Anfang letzten Jahres echt langsam sehr fad anzufühlen. 2016 freue ich mich, was das angeht, wirklich nur noch auf eines: Das ganz große Pathos, die unverhohlene Göttersaga, bitte völlig ohne Ironie, ungehemmt farb-entsättigt und mit maximaler Wucht, sprich: auf „Batman v Superman: Dawn of Justice“, erneut vom bildgewaltigen Zack Snyder.
Warner
CHRISTOPH: Muss ja leider auch gestehen, dass spätestens 2015 auch bei mir eine sehr große Comickino-Erschöpfung eingesetzt hat. Nicht unbedingt die beste Voraussetzung für diese Saison also, in der die Buntbildergiganten Marvel und DC gleich mit einem halben Dutzend Superheldenspektakel ohne Erbarmen durch ihre diversen Mehrjahres-Reißbrett-Phasen rattern werden. Wobei ich da die fast schon verblichene Hoffnung nicht auf die bis zum Post-Abspann-Cameo durchkonzipierten Mehr-ist-Mehr-Generationen-und-Götter-Treffen der Bat- und Supermans, Avengers und X-Men setze. Sondern eher auf die eventuell noch um eine Spur beweglicheren Universums-Neuzugänge. Und ja, man darf vielleicht sogar guter Dinge sein, dass der sardonische Tongue-in-cheek-Ansatz von „Deadpool“ oder die mit Cumberbatch, Swinton, Mikkelsen und McAdams überragend starbesetzte, spiritistische Saga des „Doctor Strange“ doch ein paar reizvolle und unverbrauchte Stückln spielen werden.
Rogue One: A Star Wars Story, R: Gareth Edwards
Hat es der geschickt kalkulierende J.J. Abrams geschafft, Fans und Skeptiker gleichermaßen an Bord des Millenium-Falkens zu holen, könnte es zu Weihnachten wirklich spannend werden. „Godzilla“-Reanimator Gareth Edwards, ein Mann der das Genrekino als ernsthafte Kunst betrachtet, erzählt eine düstere Rebellengeschichte im Star Wars-Universum, Mads Mikkelsen und Ben Mendelsohn schüren die Vorfreude. (CF)
Jack Reacher: Never Go Back, R: Edward Zwick
Und er kommt eben doch noch einmal ins Kino zurück, Jack Reacher, der coolste und trockenste aller Drifter-Helden. Ein durch und durch aufrechter Soziopath und wortkarger Frauenheld. Erneut gegen den Strich mit Tom Cruise besetzt. VorfreudeDeluxe. (SE)
Green Room, R: Jeremy Saulnier
Antihelden statt Superhelden: Wenn ein Jungregisseur mit einem kompromisslosen Film wie dem Rachedrama „Blue Ruin“ auf sich aufmerksam macht, ist man auf sein Nachfolgewerk natürlich extrem gespannt. Jetzt sperrt Jeremy Saulnier eine Punkrock-Band in einen Skinhead-Club und schaut zu, wie die Fetzen fliegen. Potentielles Thriller-Meisterwerk mit einem gespenstischen Patrick Stewart als Obernazi. (CF)
SEBASTIAN: „Deadpool“ kommt mir ja für meinen Geschmack in den ersten Filmschnippseln mit allzu viel Schenkelklopfen und dummen Sprüchen daher. Da meine ich eine billige ironische Distanz rauszuspüren, da tut nichts weh. Vom „Doctor Strange“ will ich mich aber gerne verzaubern lassen, auch wenn ich mich an Cumberbatch in all seiner momentan Omnipräsenz leider etwas satt gesehen habe.
20th Century Fox
CHRISTIAN: Während ich auch grundsätzlich Comickino-müde bin und etwas lustlos auf die Trailer zu „Deadpool“ und „Suicide Squad“ geklickt habe, kann ich eine Vorfreude auf „Batman v Superman“ ebenfalls nicht unterdrücken. Und das als grundsätzlich totaler Zack-Snyder-Agnostiker. Aber dem Regie-Hooligan ist bei „Man of Steel“ doch etwas seltsam Berührendes gelungen, vor allem in Verbindung mit dem epochalen Score von Hans Zimmer. Bin bezüglich der Filmfigur Superman auch kindlich emotional vorbelastet, selbst wenn mich das Coolness-Punkte kostet. Nur bei der unvermeidlichen Materialschlacht am Ende werde ich mich wohl wieder gelangweilt im Kinosessel wälzen.
CHRISTOPH: Offenkundig ist man in der Industrie aber ohnehin schon dabei, zukünftige Groß-Franchises abseits von Comic-Vorlagen anzulegen – und nun sollen es, nach vielen fehlgeschlagenen Versuchen aber wirklich mal die Game-Tie-ins mit ihren eingebauten millionenbreiten Fanbases richten. Wo mir der erste Trailer zu „Warcraft“ als Nicht-Eingeweihten noch kälteste Schauder über den Rücken gejagt hat, da versprechen die ersten Bilder aus „Assassin’s Creed“ aber durchaus ein herzhaft martialisches Vergnügen. Auch weil da noch ein wenig die rasant-ruppige „Macbeth“-Neudeutung von Regisseur Justin Kurzel mitzuschwingen scheint, der erneut sein Hauptdarstellergespann Michael Fassbender und Marion Cotillard in die Kinoschlacht schickt.
20th Century Fox
SEBASTIAN: Ja, mit Justin „Macbeth“ Kurzel und Duncan „Moon“ Jones, der tatsächlich „Warcraft“ inszeniert, hier dann doch zwei eher spannende Filmemacher Videospiele ins Kino bringen zu sehen, macht natürlich schon sehr neugierig. Mal sehen, wie sehr man sie hier mit den, leider oft viel zu enggesteckten Erwartungen der Gamer brechen lässt.
CHRISTIAN: Um noch einmal auf die Comicgötter zurückzukommen, ich muss zugeben, dass mich auch „Captain America: Civil War“ reizt, weil die Brüder Anthony und Joe Russo zuletzt eine angenehme Bodenhaftung im Sinne handfester 70s-Action in die Franchise gebracht haben. Bleibt zu hoffen, dass der Superhelden-Overkill in ihrem neuen Film einen nicht so erschlägt wie im enttäuschenden „Avengers: Age Of Ultron“.
CHRISTOPH: Nachdem da neben den etlichen Avengers-Charakteren nun aber auch noch Ant-Man und Spider-Man in die Gleichung genommen werden sollen, muss man im Prinzip dennoch ein bissl skeptisch bleiben. Aber ja, der unaufgeregte Grundton des schon schönen ersten Russo-„Captain America“ gibt zumindest auch Anlass für sanfte Vorfreude.
Disney
Apocalypse Now
The Lost City Of Z, R: James Gray
Das Projekt, das Charlie Hunnam dem Film mit den 50 Grauschattierungen vorgezogen hat. In James Grays („We Own The Night“) Dschungel-Abenteuer gibt der anarchische Sohn einen Forscher, der in den 1920ern während einer Amazon-Expedition verlustig geht. Könnte mit etwas Glück ähnlich betörend nachhallen wie „The Revenant“ oder das wesensverwandte letztjährige Viennale-Highlight „El Abrazo de la Serpiente“. (CP)
Blood Father, R: Jean-François Richet
In einem Kinojahr mit auffällig vielen ruppig-düsteren Jungsfilmen kommt auch der aller-ruppigste, der Schmerzen immer schon am besten wegstecken könnende auch endlich wieder zurück: Mel Gibson. Als vernarbter Hells Angel, der seiner Tochter gegen ein brutales Drogenkartell zur Seite steht. Gewaltige Vorfreude auf hemmungslose Passionsspiele in gelbem Wüstenstaub mit dem Erlöser. (SE)
London Has Fallen, R: Babak Najafi
Die bildgewordene Pegidamob-Fantasie. Alles brennt, weil böse Terroristen London in Schutt und Asche legen, nur der amerikanische Präsident und sein unbeugsamer Leibwächter halten eisern und aufrecht dagegen. „Die Rote Flut“ 2.0. nur noch etwas angespannt-spießiger und weniger romantisch. Hach ... Gänsehaut. (SE)
CHRISTOPH: Das Erdenrund ist freilich nicht nur in den Superheldenerzählungen im permanenten Notfallmodus. Auch – im großen wie im kleinen – in diversen weiteren Szenarien des bevorstehenden oder gar schon erlebten Weltuntergangs. Da hat es unter anderem ja Roland Emmerich geschafft, nach genau 20 Jahren noch einmal einen „Independence Day“ heraufzubeschwören – mit dem Titelanhang „Resurgence“. Ganz ohne Will Smith zwar, aber das könnte ja den Film sogar von der Last des alles tragen müssenden A-List-Leading Man befreien. Oder wie seht ihr das?
SEBASTIAN: Ich fiebere diesem erneuten mächtig feuerwolkigen Untergang von Emmerich durchaus entgegen. Auch der mit Jeff Goldblum, Charlotte Gainsbourg, Bill Pullman und William Fichtner recht vielversprechenden Besetzung wegen. Aber noch viel mehr, weil kaum einer den ganz großen Untergang mit solchen unschuldig strahlenden staunenden Augen hinbekommt, wie Emmerich in Hollywood. „The Day After Tomorrow“, „2012“, „White House Down“: Ich kann da nur ganz viel wunderschönsten Pathos und großes, naiv reines Glück erkennen, denke ich an seine vorangegangen Zerstörungsorgien zurück. Seinen Filmen haftet zudem für mich immer noch so eine große Ereignishaftigkeit an, die in den Nuller Jahren dem Kino insgesamt leider ein wenig abhanden kam. So ein unschuldiges Großereignis-Ding, wo man noch zum Staunen bereit in die Sonntagsvorstellung pilgerte.
20th Century Fox
CHRISTIAN: Ich höre lieber dir zu Sebastian, wie du lyrisch über Emmerich schwärmst, als mich über den neuen „Independence Day“ wirklich zu freuen. Ich selber werde punkto Katastrophenkino wohl nur zittrig, wenn dabei eine ganz bestimmte Riesenechse aus Japan involviert ist. Dank Gareth Edwards und seinem mehr als soliden Hollywood-„Godzilla“ steigt nun auch das Original erneut aus den Meeresfluten. Die Firma Toho reanimiert ihr Trademark-Monstrum und verspricht im Sommer mit „Shin Gojira“ den düstersten, bedrohlichsten Zerstörungsfilm der Kaiju-Geschichte. Diese Vorankündigung alleine rettet schon mein Kinojahr 2016. Aber da kommt ja noch mehr Apokalyptisches auf uns zu.
CHRISTOPH: Ja, die Welt geht auch in „Into The Forest“ vor die Hunde. Ein Film, der sich aber zur Abwechslung mal nicht dem Karacho im Kern des Geschehens widmen mag, sondern den mittelbaren Auswirkungen an den Rändern, in jenem namensspendenden Wald etwa. Dort leben zwei Schwestern, Ellen Page und Evan Rachel Wood, die sich mit der neuen Notlage eines nicht näher spezifizierten Zusammenbruchs alles Zivilisatorischen mitsamt allen möglichen Nebenwirkungen arrangieren müssen: Nahrungsbeschaffung, Isolation, Ruhestörung durch ungebetene Eindringlinge. Auch hinter der Kamera setzt die düster-unheilschwangere apokalyptische Vision dabei erfreulicherweise auf das doppelte X: Sie beruht auf Jean Heglands Roman „Die Lichtung“ und wurde von Patricia Rozema, einer der ja leider noch immer viel zu selten in Hollywoods Regiestühle gebuchten Frauen, inszeniert.
A24 Films
SEBASTIAN: Endzeit für heute. Lasst uns im zweiten Teil unseren Gesprächs hier nun tatsächlich endlich den vielen wundervollen Frauen 2016 entgegenfiebern. Christian, Christoph, ich werfe uns dafür eben noch ein paar extra-kantige Holzscheite in den prasselnden Kamin.
Fortsetzung folgt: Hardcore-Romantiker, Komödienkönige und Kino-Visionäre, Tränen vor Rührung, Lachen und Glück.