Erstellt am: 5. 1. 2016 - 19:08 Uhr
The daily Blumenau. Tuesday Edition, 05-01-16.
#demokratiepolitik #sportregulative
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
2016 wieder regelmäßig.
ÖSV-Präsident Schröcksnadel würde gern die Zeit zurückdrehen. Skisprung-Bewertungen, die nicht nur die Weite, sondern auch Wind- und Anlauf-Parameter berücksichtigen, und so mehr als rein lineares Vorstellungsvermögen verlangen, verunsichern aber nicht nur die prädigitalen Großväter. Sie stehen symbolisch für die Überforderung eines breiten Segments digital geprägter Junger, die im österreichischen Glauben an bauernschlaue und bildungs/wissenschaftsresistente Intuition als Zeichen moralischer Überlegenheit erzogen wurden und davon ausgehen, dass Matschkerei schon demokratische Beteiligung bedeutet.
Mono-Tasking als Pseudo-Tugend
Es war hektisch zugegangen beim ersten Springen der Vierschanzentournee in Oberstdorf, mit Anlauf-Verlängerungen und Windlotterie bei den letzten Zehn. Früher wäre diese Lotterie der ungleichen Bedingungen als Gottesurteil akzeptiert worden, heute sorgen die entsprechenden (computergestützten) Wind- und Anlaufpunkte für ansatzweise Gerechtigkeit. Und auch dafür, dass Mono-Tasker verwirrt sind. Wie auch der Skiverbands-Präsident, der den Fall zum Anlass nahm zum wiederholten Male eine Rückkehr ins vorige Jahrtausend forderte. Dort, etwa in den Sechzigern, in meiner Kindheit im sommerlichen Tirol, ist er daheim, was sein gesellschaftliches Bild von Gleichstellung und Moral betrifft. Meine in den 70ern sozialisierte Telfer Tante Gitti würde ihn schon ordentlich herfotzen, verbal natürlich.
Die Hilflosigkeit ausstrahlende Forderung nach einem Rückstoß in eine "einfache" Vergangenheit (Stichwort: wer braucht das neumodische Klumpert) unterläuft Schröcksnadel nicht zum ersten Mal. Bislang bin ich davon ausgegangen, dass es sich dabei um den Abwehrkämpfe einer offensichtlich rein technisch überforderten Generation handelt, die mit den hochrechnerischen Qualitäten der digital natives nicht mitkommt. Und auch diesmal sprach einiges dafür, vor allem die leicht zuckenden Mundwinkel jener österreichischen Aktiven und Betreuer, die öffentlich ansatzweises Verständnis für ihren Chef heuchelten, wiewohl ihnen die gerechtere Berechnungsmethode sichtbar in Fleisch und Blut übergegangen ist.
Angst vor neumodischem Klumpert
Allerdings hat mich eine andere, ein paar Tage vor Weihnachten abgegangene Diskussion und ihr seltsamer Verlauf stutzig gemacht: Nach einem Sturz des Abfahrers Matthias Mayer, der ihn ins Spital beförderte, kam der (seit dieser Saison empfohlene) Airbag der Speed-Fahrer ins Gerede. Der hatte den Sturz zwar abgemildert, was aber den schon davor wenig überzeugten Kritikern (deren Argumente an die der Gurt-Gegner erinnern) ziemlich egal war: Die gaben dem Airbag die Schuld an den Auswirkungen des Sturzes. Und es waren nicht die Großvater-Präsidenten oder die Väter-Trainer, sondern Teile der Athleten selber (etwa Ted Ligety), verbal natürlich, die sich vom technologischen Fortschritt so verunsichert fühlen, dass sie ihm nicht nur die Schuld an allem gegenwärtigen Übel (wer braucht das neumodische Klumpert) geben, sondern gleich auch für die traditionellen Probleme geben.
Die "kritische" Stützung in den Echoräumen der sozialen Medien war entsprechend; und auch der Nachhall angesichts der ach-so-überkomplex gewordenen Skispringerei hat (im Vergleich zu den letzten Jahren) zugenommen.
Lösungs-Kompetenz und das Erkennen komplexer Realität
Die Frontlinie verläuft also nicht zwischen den Alterskohorten entlang der digitalen Linie, sondern zwischen jenen, die (neu) gelernt haben, sich einer komplexen Realität zu stellen, weil nur der aktive Umgang damit Lösungsansätze bereithält und jenen, die sich in einer - tradierten - Rolle als Befürworter der einfachsten und schnellsten (also oberflächlichsten) Beurteilung gefallen.
Die Zuwächse dieser demokratiepolitisch analphabetisch strukturierten Gruppe sind evident. Und es handelt sich dabei nicht – wie bislang vielleicht angenommen - um ziellos gesetzten Protest, sondern um eine sich festigende Grundhaltung, die den Nährboden für rückwärts orientierten Populismus.