Erstellt am: 5. 1. 2016 - 13:09 Uhr
Emanzipation mit Wischmop
Die Haare sind auftoupiert, die Hände stecken in gelben Haushaltshandschuhen, wischen manchmal über staubige Möbel und die Lippen bewegen sich zu "Live and let Die": Die Szene aus David O. Russells "American Hustle", die wohl nicht ganz unschuldig an Jennifer Lawrences Oscargewinn ist, liess mich hoffen, dass Russell irgendwann mal ein Putz-Musical mit Lawrence inszeniert. Er hat aber etwas viel Großartigeres gemacht: "Joy" erzählt die Geschichte der Erfinderin des selbstauswringenden Wischmops, des Miracle Mop.
20th century fox
Es ist ein stiller Moment der Katharsis, als die Scherben eines Rotweinglases Joys Hände blutrot färben. Die Splitter bohren sich nicht nur in ihre Handflächen, sie markieren auch eine Zäsur im Film. Bis zu diesem Punkt, an dem Joy wiedermal Dreck beseitigt, den sie nicht verursacht hat, erzählt der Film von den Dingen, die Joy passiert sind. Dann wird sie zu einer Figur, die Dinge in Gang setzt. Genau das, nämlich dass sie eine ist, die alles kann, der man alles zutraut, das erzählt einem Joys Großmutter Mimi gleich zu Beginn des Films aus dem Off. Joy bastelt kleine Wälder und Häuser aus Papier. In ihrem Kopf und mit ihren Händen kann sie alles erschaffen.
Als Erwachsene sind Kopf und Hände nur mehr damit beschäftigt, ihre Familie und das Haus vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Joys Mutter (Virginia Madsen) ist seit Jahren mehr in der Welt ihrer angehimmelten Seifenoper zuhause als in dem leicht sanierungsbedürftigen Einfamilienhaus in Long Island. In der herrlich hölzern inszenierten Seifenoper mit tonnenweise Haarspray und hanebüchenen Dialogen spiegelt Russell immer wieder Passagen aus Joys Leben. Auch wenn hier keine Totgeglaubten auftauchen: Geld, Liebe, Verrat - das sind sowohl in der Soap als auch in der echten Welt die vorgebenden Themen.
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Ein Stockwerk weiter runter und wir treffen Joys Ex-Mann Tony (Edgar Ramirez). Der wohnt seit der Scheidung im Keller und arbeitet an seiner Gesangskarriere. Und eines Tages wird auch Joys Vater (Robert de Niro) von seiner zweiten Frau wieder an der Tür abgeliefert. Die beiden kleinen Kinder von Joy machen im Grunde weniger Arbeit als die spleenigen Erwachsenen. "You were born to be the unanxious person in the room", sagt Großmutter Mimi. Dafür wäre aber auch einfach kein Platz mehr in dieser Familie gewesen.
Ohne die pragmatische Joy, ihre improvisierten Klempnerarbeiten und praxisbezogenen Anweisungen - "Please don't kill each other while I'm at work" - wäre diese Familie dem Untergang geweiht. David O. Russell erzählt von dysfunktionalen Familien ohne quirky Indie-Niedlichkeit. Seine Figuren sind verschroben und vielschichtig. Der Ex-Mann im Keller, der gern Tom Jones wäre, wäre in jedem anderen Film wahrscheinlich eine Witzfigur, aber Russell gibt auch Tony zahllose Facetten, hier bleibt niemand eine eindimensionale Karikatur (das darf Edgar Ramirez dann in seinem nächsten Film "Point Break" sein).
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Wenn man in all dem familiären und finanziellen Chaos nach Luft schnappen will, dann liegt das nicht nur an den Wortgefechten, sondern an der Kamera. Die ist - wie immer in Russells Filmen - ein herrlich unruhiger Geist. Diese Kamera hat gleich viel unbändigbare Energie wie Joy, grandios spielt Jennifer Lawrence diese Frau, die erst dann vor Erschöpfung einschläft, wenn ihr ihre Familie Hustensaft einflößt. Lawrences Spiel ist das Herz dieses Films, aber als Motor von "Joy" fungiert das gesamte eindrucksvolle Ensemble. Virginia Madsen gibt wunderbar entrückt die Mutter, Robert de Niro ist endlich wieder mal mehr als eine Karikatur seiner selbst und Isabella Rossellini als reiche Witwe Trudy könnte fast auch eine Bewohnerin des "Grand Budapest Hotels" sein.
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Auf Trudys Yacht kommt es zum kathartischen Moment: Beim Anblick ihrer von Scherben zerschnittenen Hände - Schnitte, die sich sich beim Auswringen des Wischmops zugezogen hat -, hat Joy eine Idee. Was wäre, wenn es einen Wischmop geben würde, der sich selbst auswringt? Joy erinnert sich an das erfindungsreiche Mädchen, das sie einmal war. Die, der man alles zugetraut hat - und sie erweckt dieses Mädchen in sich wieder zum Leben. "Joy" wird die Würdigung eines harten Entstehungsprozesses.
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Die Unvorhersehbarkeit einer Geschichte - vor allem aber auch ihre Erzählweise - ist ein großes, kostbares Geschenk, das das Kino einem machen kann. David O. Russell macht diese Art von Filmen, die einen beim Reden darüber mit den Händen ringen lassen, weil das übliche Filmbesprechungsvokabular nicht ausreicht. Müssen andere Protagonisten in derartigen Geschichten meistens einen, vielleicht zwei Rückschläge hinnehmen, so ist Joys Weg zum Erfolg ein beinharter, ernüchternder, beinah in den Bankrott führender. Und er führt übers Fernsehen. Teleshopping heißt in den 1990er Jahren das Konzept, das die Augen des Produzenten Neil Walker (Bradley Cooper) zum Leuchten bringt. Der vergleicht sich selbst mit legendären Hollywoodproduzenten und erklärt Joy, wie in Amerika jeden Tag das Gewöhnliche auf das Außergewöhnliche treffe. Aber nur, weil ein Produkt gut ist, ist es nicht gleich ein Erfolg. Es kommt auf die Hände und die Stimme der Präsentatoren an, erklärt Neil. So nebenbei erzählt Russell auch von der längst vergangenen Bedeutung des Fernsehens als (Schau)fenster zur Welt.
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Es ist ein schöner und auch paradoxer Moment, wenn Joy in der sterilen Fernsehstudioküche steht und demonstriert, wie der Miracle Mop funktioniert. Jahrelang hat sie sich um den Dreck ihrer Familie gekümmert, jetzt wird genau das der Grundstein ihres Erfolges. "Joy" ist aber alles andere als ein von der Mär vom amerikanischen Traum triefendes Narrativ, kein Zementieren des "vom Tellerwäscher zum Millionär"-Mythos. Es ist eher eine Illustration von "Murphy's Law": alles, was schiefgehen kann, geht schief, der amerikanische Traum verteilt Watschen ohne Ende. Die Unvorhersehbarkeit bei David O. Russell ist aber ein amerikanischer Traum für sich.
"Joy" läuft bereits in den österreichischen Kinos
In einer Szene findet sich Joy inmitten von Schneeflocken wieder, wir folgen ihrem Blick und sehen, dass die künstlichen Flocken von einem Apparat, der über einem Spielzeuggeschäft montiert ist, ausgespuckt werden. Damit wird der Moment aber nicht entzaubert. Schöner kann man das, was Film oft mit einem macht, eigentlich nicht beschreiben.
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Vergleiche mit anderen Filmen fallen bei "Joy" schwer, weil es so wenig Filme mit weiblicher Hauptrolle gibt. Auf der Suche nach einer Figur, die mich an Joy erinnert, lande ich im Jahr 2000 - bei "Erin Brockovich". Anders als "Brockovich"-Soderbergh greift Russell hier zur märchenhaften Elementen. Nicht zufällig hört man zu Beginn des Films eine Melodie aus Prokofjews "Aschenputtel", während die kleine Joy verlautbart: "I don't need a prince. That's my special power." Der Film versprüht Magie, Feminismus und Optimismus, ohne Phrasen zu dreschen oder in Manierismen zu verfallen, er erzählt die Geschichte eines Mädchens aus der Arbeiterklasse, das zur Selfmade-Unternehmerin wurde, ohne Sentimentalitäten - und ohne klassische Liebesgeschichte. (Die Beziehung zwischen Joy und Tony ist trotzdem vor allem in der zweiten Hälfte des Films rührend, sie sind ohne Zweifel "the best divorced couple in town", wie Mimi das formuliert).
"Joy" entzieht sich jeder Kategorisierung. Nach "Silver Linings Playbook" und "American Hustle" ist "Joy" wieder so ein umwerfender Wildfang von einem David-O.-Russell-Film, der von so viel erzählt, ohne alles auszuformulieren. Eine große Empfehlung.