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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

4. 1. 2016 - 17:33

The daily Blumenau. Monday Edition, 03-01-16.

Polens Regierung knebelt die Medien; die EU reagiert wehrhaft - aber auch ohne die eigentlich nötige Selbstkritik.

#demokratiepolitik #medienpolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern. 2016 wieder regelmäßig.

Die neue ultranationale polnische Regierung greift schamlos in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch. Die EU überlegt Maßnahmen. Ohne zumindest leise Kritik an den eigenen Usancen kann das jedoch als bigotter Akt rüberkommen.

Wenig Rückendeckung für die "Lügenpresse"

Der große öffentliche Aufschrei blieb aus - oder zumindest deutlich hinter dem, als die ultranationale ungarische Regierung sich ein Mediengesetz bastelte, mit dem sie alles und der Journalismus nichts durfte. Jetzt, wo Polen in vielerlei Hinsicht nachzieht, ist die Solidarität der üblichen Verdächtigen merkbar heruntergefahren. Was eineinhalb Jahre an Lügenpresse-Propaganda so alles bewirken...

Im Gegensatz zur Zivilgesellschaft hat die EU aus ihren Fehlern (der dürftig unterfütterten Kritik am ungarischen Medienknebel) gelernt und weiß jetzt, mit welchen Geschäftsordnungsmitteln das besser klappt. Zudem wird ein strenges Vorgehen Polen gegenüber auch von den großen Spielern abgenickt - deren Retourkutsche zur Nichtsnutzigkeit der Polen in Sachen Flüchtlinge.

Die mit den weißen und die mit den schwarzen Hüten

Eigentlich ist in diesem Konflikt klar, wer die Guten und wer die Bösen sind: die mit den schwarzen Hüten installieren willfährige Gefolgsleute als Intendanten und gängeln so das Programm, die mit den weißen Hüten wollen das verhindern. Oder, wie Einsatzleiter Öttinger sagt, zumindest keine willkürlichen Entlassungen. Polens Regierung sieht den Rundfunk als staatliche Kulturinstitution, deren Spitzen sie wohl noch selber besetzen darf.

Nur: Je genauer man sich die Argumentations-Linien und die Details ansieht, umso schwieriger wird es, Bigotterie und Verlogenheit eindeutig zuzuordnen. Um nicht missverstanden zu werden: die polnischen Medienknebler, die ihre mit dem Sinn des Rechts auf Meinungs-/Medienfreiheit dramatisch zuwiderlaufenden Ausreden schwingen, bleiben die mit den schwarzen Hüten, Anti-Demokraten.

Wer will seine Rundfunk-Anstalten nicht gängeln?

Aber: Die mit den weißen Hüten, die schwingen sich im Abgrenzungs-Trubel zu Sonntagsreden auf, die sie im eigenen Hinterhof keinesfalls einhalten können. Und wollen. In Griechenland wurde der öffentlich-rechtliche Rundfunk vor einem Jahr einfach aufgelöst. In Frankreich wurde die Spitze des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bis 2013 von Präsidenten persönlich vorgenommen. Seitdem tut das eine vom Parlament eingesetzte Aufsichtsbehörde, die politisch besetzt ist. Ebenso wie die Aufsichtsräte und Kuratorien, die das in Italien, Deutschland oder Österreich vornehmen. Bei uns haben die Landeshauptleute ein sogenanntes Vorschlagsrecht, was die Besetzung der Landesstudiospitze betrifft: de facto bestimmen sie sie. Alle größeren Besetzungen der letzten Jahre in allen genannten, lupenreinen Demokratien, waren und sind politisch motiviert. Wenn Öttinger davon spricht, dass niemand "ohne Angaben von Gründen entlassen werden" soll, dann lacht das ZDF bitter. Sogar die Mutter aller öffentlich-rechtlichen Anstalten, die BBC, kann sich kaum gegen die indirekten und substanzraubenden Aktionen der Regierung wehren. In ganz Europa versuchen Regierungen ihre Anstalten zu gängeln. Und nicht nur die: alle Parteien verfügen über Verbinder und Gewährsleute, überall, auch die FPÖ oder die Grünen haben ihre Finger tief im Honigtopf.

Die Möglichkeit dem Vorwurf der Scheinheiligkeit zu entkommen

Das eine (der Versuch der Politik in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk reinzuregieren) ist mit dem anderen (die polnischen Ausschaltungs- und Knebelungs-Versuche) nicht zu vergleichen. Oder nur für Drüberfahrer ohne Differenzierungsvermögen/Hirn; für die Alarmisten und Miserabilisten.

Das eine hat mit dem anderen aber immer noch genug zu tun, dass die einen (die mit den weißen Hüten, die EU. die lupenreinen West-Demokratien vor allem) dann, wenn sie die anderen (Polen, Ungarn) als die Bösewichte hinstellen, die sie ja auch tatsächlich sind, gefälligst die Möglichkeit beim Schopfe packen um Besserung zu geloben, was die eigene Durchgriffigkeit bei öffentlich-rechtlichen Medien betrifft.

Erst so ein Beisatz macht Engagement nämlich glaubwürdig.