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Martin Pieper

radio FM4

Martin Pieper

Ist Moderator und Chefredakteur von seinem Lieblingssender. Hat sein Hobby zum Beruf gemacht.

4. 1. 2016 - 16:42

New Order, Joy Division und ich

Die Autobiografie von Bernard Sumner, dem Meister des melancholischen Hedonismus, ist angenehm uneitel und entmystifizierend.

Bernard Sumner Buch Cover

Hannibal Verlag

Bernard Sumner: New Order, Joy Division und ich. Übersetzt von Paul Fleischmann. Hannibal Verlag 2015

Die verbreitete Narration über Joy Division und New Order geht ungefähr so: Inspiriert vom ersten Sex Pistols-Konzert in Manchester 1976 gründet sich die Band Warsaw, die sich bald darauf in Joy Division umbenennt. Sänger Ian Curtis schreibt nicht nur einige der depressivsten Songs der Postpunk-Ära, deren Sound von Joy Division mehr oder weniger erfunden wird, sondern bringt sich auch noch im Alter von 23 Jahren um. Die restlichen Musiker von Joy Division erfinden sich neu, nennen sich von da an New Order und veröffentlichen mit "Blue Monday" die erfolgreichste 12" Maxi-Single aller Zeiten.

Statt Depression und Grauschleier gibt es Drumcomputer und Discoanleihen. New Order schreiben zeitlose melancholisch-tanzbare Synthiepop-Songs, bleiben dabei stets strikt independent und enigmatisch, bis sie schließlich via Ibiza in die britische Acid-House Szene eintauchen, die im bandeigenen Club Hacienda in Manchester einen Höhepunkt erreicht. In den 90er Jahren verwaltet man in erster Linie das Erbe, samt Konkurs und Rechtstreitigkeiten mit ihrem Label Factory Records. Alle paar Jahre erscheint ein neues Album, man gibt mal mehr, mal weniger Konzerte. Bassist Peter "Hooky" Hook verlässt die Band im Streit und 2015 erscheint mit "Music Complete" ein sehr anständiges, bislang letztes Album.

Notwendigkeit, Glück und Dilettantismus

Das alles berichtet auch Bernard Sumner, zuerst nur Gitarrist bei Joy Division, dann später bei New Order auch Sänger, auch in seiner Autobiografie, die gerade rechtzeitig zum sechzigsten Geburtstag auf Deutsch erschienen ist. Auch wenn sich "New Order, Joy Division und ich" über weite Strecken liest wie ein besserer Schulaufsatz, trotzdem ist der Blickwinkel Bernard Sumners auf diese schon so oft erzählte (Pop-)Geschichte interessant, räumt er doch mit einigen Mythen auf, die rund um Joy Division und New Order entstanden sind.

So betont er, wie viel Spaß die blutjungen Burschen von Joy Division bei ihren Konzerten hatten, wie sie (inkl. Ian Curtis) den anderen Punkbands Streiche gespielt haben, und wie unbedarft sie in ihre Rolle als "Kultband" geschlittert sind. Viele der Entscheidungen, die Joy Division getroffen haben, sind weniger ästhetisches Kalkül gewesen, vielmehr eine Mischung aus Zufall, Notwendigkeit, Glück und Dilettantismus. Dabei vergisst Sumner niemals auf die überragende Position von Ian Curtis als Texter und Sänger der Band hinzuweisen. Vergleichsweise bescheiden nehmen sich hingegen die Ambitionen von Sumner selbst aus, der mehr aus Verlegenheit, denn aus innerem Antrieb in die Rolle des Frontman von New Order gedrängt wurde. Mitunter hat man den Eindruck, der Mann kann bis heute nicht ganz glauben, dass ihn jemand als Künstler ernst nimmt.

Recht ausführlich schildert Bernard Sumner sein Aufwachsen in den sechzigerer Jahren im Manchester Arbeiter-Vorort Salford. Als einziges Kind einer alleinerziehenden Mutter, die an zerebraler Parese erkrankt ist, beschreibt er ein Leben zwischen grauen Industriebauten und Wohnungen ohne fließendes Wasser. Ähnliches, nur besser formuliert, hat auch der drei Jahre jüngere Morrissey, die andere Pop-Ikone Manchesters, in seiner Biografie beschrieben. Aber wo sich das Bigmouth Morrissey als ewig Unverstandener wortstark inszeniert, bleibt Sumner lakonisch, fast schüchtern. Das ist sympathisch, aber auch ein bisschen langweilig, ist aber auch keine Überraschung bei einer Band wie New Order, die auf einem einzigem Plattencover ein Bandmitglied (den Schlagzeuger!) abgebildet hat. Der Rest war die großartige Arbeit von Designer Peter Saville, der für das Image von New Order und Joy Division einige der schönsten und wichtigsten Plattenhüllen der Popgeschichte gestaltet hat.

Wenn man die Autobiografie von Bernard Sumner nach den drei Themen Sex, Drugs und Rock’n’Roll abklopft, bleibt vor allem letzteres Übrig. Allzu viel Schmutzwäsche wird nicht gewaschen. Es geht viel um die Arbeit als Band im Studio und auf der Bühne, um kreative Prozesse und musikalische Einflüsse. Wenig erfährt man über das Privatleben von Sumner. Frauengeschichten, Ehen, Kinder bleiben eher vage im Hintergrund. Sein Hobby ist Segeln, und ja, das mit den Drogen dürfte schon auch eine Rolle gespielt haben, nicht umsonst war die hedonistische Clubszene New Yorks Anfang der 80er Jahre einer der prägenden Erlebnisse für Sumner und New Order. Ihr eigener Club, die Hacienda in Manchester, ein finanzielles Desaster, der die Band fast in den Ruin getrieben hätte, spielt auch in Autobiografie eine große Rolle, einerseits als Zankapfel zwischen Label und Bandmitgliedern, als zentrale Location für den Second Summer of Love 1988/89 und schließlich als Schauplatz für Gang Wars made in Manchester.

Richtig bitchy wird der höfliche Bernard Sumner nicht im Buch, nur seinem alten Schulfreund und Bassisten Peter Hook, der mittlerweile aus New Order ausgestiegen ist, ist er böse. Der tourt mittlerweile alleine durch die Lande und führt alte Joy Division Platten auf. Hookys Joy Division Buch "Unknown Pleasures" ist schon 2013 erschienen. Falls man das Fach "Vergleichende Joy Division Forschungen" dereinst einführen sollte, sind wohl beide Bücher Pflichtlektüre.

Bonus-Track: Bernhard Sumner in Shorts, kürzer als die Polizei erlaubt, singt Blue Monday.