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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

3. 1. 2016 - 15:12

Unter der Gürtellinie

"Knock Knock" von Eli Roth und "Love 3D" von Gaspar Noé: Notizen zu zwei höchst unterschiedlichen Filmen über die Macht der Hormone.

Wenn zwei Pressevorführungen an einem Tag kollidieren, ergibt das oft ein verwirrendes Kontrastprogramm. Man sitzt als Journalist in den Morgenstunden beispielsweise in einem fesselnden apokalyptischen Western und hetzt dann aufgewühlt ins nächste Kino, wo eine dahinplätschernde Romantic Comedy wartet. Manchmal passen die beiden Filme aber auf seltsame, ungeplante Weise zusammen und korrespondieren sogar miteinander.

So geschehen vor ein paar Wochen, als ich zuerst "Knock Knock" von Eli Roth und dann "Love" von Gaspar Noé gesehen habe. Zwei höchst unterschiedliche und doch auf ihre Weise aufs Ganze gehenden Filme über Treue und Untreue, über Verlockungen, Hormonexplosionen und dazugehörige Abgründe, die jetzt auch gleichzeitig zur Jahreswende hierzulande angelaufen sind.

Selbst wenn sie sich künstlerisch auf schwer vergleichbaren Terrains bewegen - der Amerikaner Roth innerhalb der Grenzen des Horrorgenres, der gebürtige Argentinier Noé in einer Twilight Zone zwischen Kunst und Körperkino-Schocks - umwehte doch beide Regisseure in den Nullerjahren ein zwielichtiger Ruf. Da war von übersteigerter Härte und sinnloser Brutalität die Rede, während Fans wie der Schreiber dieser Zeilen von tabubrecherischer Grenzüberschreitung schwärmten. Tatsache ist, dass sowohl Eli Roth als auch Gaspar Noé in ihren neuen Streifen auf einen anderen, zurückhaltenderen Tonfall setzen, ohne ihr Kernthema aus den Augen zu verlieren: Den Menschen, genauer gesagt den Mann, als Spielball von Trieben und Obsessionen.

Knock Knock

Constantin

Knock Knock

Erotikthriller mit Provokations-Mehrwert

Eli Roth, einst kommerziell erfolgreichster Vertreter der umstrittenen Torture Porn-Welle, hat keine Lust mehr auf Blut- und Beuschel-Orgien. Musste man sich bei einem Film wie "Hostel 2" noch durch Berge von Eingeweiden wühlen, um etwa mit einer beinharten Kritik am Power-Kapitalismus konfrontiert zu werden, legt der Regisseur, Autor, Produzent und Schauspieler plötzlich eine Hommage an die schwülstigen Erotikthriller der 80er und 90er Jahre vor. Allerdings sollte man sich von der glatteren Oberfläche nicht täuschen lassen, der darunter lauernde Provokations-Mehrwert bleibt beträchtlich.

Filme wie dieser, in denen Idyllen demontiert werden, müssen natürlich mit einer ebensolchen beginnen. Wir beobachten also eine Bilderbuchfamilie beim Abschiedsritual, keine klassischen Spießbürger wohlgemerkt, sondern gehobenes Bobo-Establishment. Evan (Keanu Reeves) ist Architekt und Ex-DJ, seine Frau Karen (Ignacia Allamand) feiert als bildende Künstlerin Erfolge, ihr Haus in den Hollywood Hills wirkt ausgesucht geschmackvoll.

Während Mama mit den Kindern in den Wochenend-Urlaub am Strand fährt, bleibt Papa alleine zuhause. Ein bisschen arbeiten, ein paar alte Vinylplatten anhören, einen Joint rauchen, so gemütlich hat sich Evan das vorgestellt. Bis es plötzlich an der Tür klopft und zwei attraktive junge Frauen (Lorenza Izzo, Ana de Armas) im Regen stehen, die in der sturmdurchpeitschten Nacht Hilfe suchen.

Knock Knock

Constantin

Knock Knock

Genrekino als Versuchsanordnung

Ganz klar, der gutmütige Evan lässt die Mädchen ins Haus. Aber wäre es nicht asozial, die Tür zu verschließen? Und würde nicht jeder Mann den beiden schönen Fremden Handtücher zum Abtrocknen bringen? Wie wird der Protagonist in weiterer Folge auf die bald sehr zudringlichen Besucherinnen reagieren? Was würden Männer im Publikum an seiner Stelle tun, wie denken Frauen im Kinosaal über Evan und andere Männer? Es sind solche Fragen, mit denen dieser kleine, bitterböse Thriller unentwegt quält.

"Knock Knock" ist nämlich vor allem eine Versuchsanordnung, ein Experiment. Jedoch nicht im Sinne von Michael Hanekes abstrakter Home-Invasion-Parabel "Funny Games", die einfach nur den Genrefans einen Spiegel vorhalten und sie als Gewaltfetischisten enttarnen will. Roth dagegen, der sich nicht für besser als sein Publikum hält, gesteht offen seine Neigung zu den niedrigsten Instinkten. Seine manipulative Strategie besteht darin, Evan und uns in die Ecke zu treiben, bis man(n) mit dem Rücken zur Wand steht.

Eine Weile weicht unser Antiheld, von Keanu Reeves herrlich zerrissen verkörpert, den Komplimenten und Annäherungen aus. Aber die geheimnisvollen Mädchen umgarnen ihn, schmeicheln ihm, drücken die richtigen Midlife-Crisis-Knöpfe. Und irgendwann, wir ahnen es, gibt es kein Zurück für den Ehemann, der in der Eingangssequenz glaubwürdig in seine Frau verliebt wirkte. Dass dieser Seitensprung höllische Folgen haben wird, ist auch klar, schließlich befinden wir uns in einem Film von Eli Roth.

Knock Knock

Constantin

Knock Knock

Diabolische Satire der Gegensätze

Sämtlichen Moralisten, die Evan als fremdgehenden Fiesling abstempeln, der eben leider an zwei Psychopathinnen geraten ist, macht es "Knock Knock" aber nicht einfach. Der Film ist dermaßen perfide konstruiert, dass wohl kein heterosexueller Mann, buddhistische Mönche ausgenommen, in der dargestellten Situation anders reagieren würde. Gleichzeitig nimmt Regisseur Roth auch die beiden Eindringlinge ernst und lässt sie das gediegene Bohemien-Universum so anarchisch auseinandernehmen, dass unsere schäbigen Lacher auf deren Seite sind.

"Knock Knock" erzählt letztlich in Form einer diabolischen Satire von unüberbrückbaren Gegensätzen: Zwischen den Geschlechtern, zwischen Generationen, zwischen der analogen Oldschool-Welt und dem Reich der Digital Natives.

Einem solchen kulturpessimistischen Fazit würde Gaspar Noé wahrscheinlich beistimmen, aber wie eingangs erwähnt, lassen sich auch sonst Verbindungslinien zwischen den beiden Regisseuren ziehen. Gaspar Noé, der sein Kino in einer rauschhaften Tradition sieht, glaubt sogar noch mehr als Eli Roth an die Diktatur des Fleisches, der Begierden, der Körperflüssigkeiten. In seinem unerträglichen Meisterwerk "Irréversible" hetzen Menschen viehisch durch die Nacht, getrieben von Geilheit, Rache, Schmerz, der Verstand ist im Pausemodus, die Bestialität regiert. Horrorzustände und Hämoglobin-Exzesse interessieren aber auch Monsieur Noé im Augenblick nicht, statt dem Tod steht die Liebe nun im Zentrum.

Love

Thimfilm

Love

Liebe abseits des Mainstreamkinos

Dabei verfolgt der Pionier des transgressiven Körperkinos auch in seinem bislang zärtlichsten Film aber erwartungsgemäß einen anderen Ansatz als diverse RomCom-Regisseure. "Love" zeigt stolz die wortwörtlichen Höhepunkte im Alltag eines frisch verliebten Pärchens, die im herkömmlichen Mainstream-Film immer noch verboten sind: Ekstasen, Orgasmen, Ejakulationen, letztere auch mal gerne direkt in die Kamera und in 3D.

Die Story selbst ist dabei, wie meistens bei Gaspar Noé, auf ein Minimum reduziert, im Interview erzählt er mir von einem bloß mehrseitigen Treatment als Ausgangsbasis. Der in Paris lebende amerikanische Filmstudent Murphy (Karl Glusman) lernt zufällig die Französin Electra (Aomi Muyock) kennen und lieben, beide haben eine gemeinsame Affaire mit ihrer Nachbarin, erzählen sich offen alle Geheimnisse, bis der junge Mann den vertraulichen Pakt bricht. Das danach einsetzende Drama setzt Noé, der seine Geschichten gerne rückwärts erzählt, an den Anfang.

Wir sehen also, im erwähnten 3D-Format und in langen Einstellungen, Bruchstücke und Blitzlichter aus dem Leben der Liebenden und sich Entliebenden, tauchen in grelle Nachtclubs ein, in Swingerszenarien, verharren lange im Schlafzimmer der Hauptfiguren, betrachten das hübsche Paar aber auch beim WG-Frühstück oder längeren Spaziergängen. Von Anfang an hängt ein melancholischer Schwebezustand über dem Geschehen, der den offensiven Sex überlagert und Voyeure wohl reihenweise aus dem Kino zurück ins Internetporno-Land treiben wird.

Love

Thimfilm

Love

Addicted To Love

Dabei ist die ungezügelte Schaulust ein Hauptantrieb für Gaspar Noé, sowohl als Regisseur wie als bekennender Filmfreak. Aber der in Persona die reine Herzlichkeit verstrahlende Autorenfilmer will eben nicht bloß Bedürfnisse befriedigen, sondern mit Stimmungswechseln und ambivalenten Gefühlen irritieren, wie sie eben zu jeder intimen Beziehung gehören.

"Ich wollte einen traurigen erotischen Film machen", erklärt Noé, "aber auch vom Suchtcharakter der Liebe erzählen." Tatsächlich vermischen sich psychedelische Drogenerfahrungen und Sexszenen nahtlos in "Love", zur manchmal fiebrigen, dann wieder schwermütigen Musik von Funkadelic, Death in Vegas, Eric Satie oder John Carpenter driften Murphy, Electra und ihre Partnerinnen durch diverse Dämmerzustände.

"Du wirst abhängig von der Liebe", meint Gaspar Noé im Gespräch, "all diese chemischen Substanzen jagen durch dein Hirn, Serotonin, Endorphine, Dopamine. Sie sind schuld, dass du mit dem Geruch einer Person und deren Energie verknüpft bist, die Idee des Verliebtseins alleine macht dich stoned. Wenn dann die Beziehung zerbricht, endest du wie ein Junkie ohne Stoff."

Love

Thimfilm

Love

Die Zeit zerstört alles

Denkt man sich zwischendurch manchmal, dass dieser psychedelische Sextrip etwas zu lang geraten ist oder zweifelt an manchen schauspielerischen Leistungen, erwischt einen Gaspar Noé aber spätestens mit dem Fazit seiner Liebes-Elegie. Wir realisieren, dass "Love" nur deshalb diskontinuierlich schöne und schreckliche Momentaufnahmen aneinanderreiht, weil die alles sind, was am Ende bleiben wird.

"Alles im Leben ist unsicher", meint der Regisseur mit ganz leiser Stimme, "Unfälle passieren plötzlich. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich irgendetwas für immer bewahren könnte. Oder dass irgendeine großartige Erfahrung nicht doch aus meiner Erinnerung gelöscht werden könnte. Die Zeit erschafft oder zerstört alles.“

"Le Temps Detruit Tout" war schon das Motto des grausamen "Irréversible" gewesen, die verdammte Vergänglichkeit lässt also auch den feinfühligeren Gaspar Noé von "Love" nicht los und das ist gut so. Eine dringende Empfehlung meinerseits für diese beiden sehr konträren und doch zusammenpassenden Filme von Regisseuren, die existentielle Wahrheiten unter der Gürtellinie suchen.