Erstellt am: 1. 1. 2016 - 12:42 Uhr
Ein Herm, drei Ziegen und die Sterne so klar
Ich hab die Tür der Holzhütte offen gelassen. Der Holzofen hat meine Schlafstatt in eine finnische Sauna verwandelt und die kalte Winterluft mischt die Wärme nun gut auf. Ich versuche mich daran zu erinnern, wann ich in diesem Jahr das letzte Mal so einen klaren Sternenhimmel gesehen hab. Kanada. Der Himmel so rein wie der grüne See in der Steiermark. Der Mühlviertler Himmel hier ist sicher ein entfernter Verwandter. Drüben geht das Licht aus. Alex Haus steht einen Steinwurf von dem Gästehaus entfernt, dem kleinen Holzhaus, in dem ich heute Nacht unterkrieche. Vor mir das Gehege für die drei Ziegen, daneben das Haus für die Hendln und den Hahn und Richtung Bach das eingezäunte Gemüsebeet mit kleinem Glashaus, das Alex winterfest gemacht hat.
Es wird kalt. Ich mach die Tür zu und lege doch noch ein Stück Holz nach.
Eigentlich weiß man sofort, wenn was richtig ist. Der Ort hier ist für Alex richtig. Und dass wir uns vor 15 Jahren begegnet sind, das war richtig. Und der Abend auf der Weltpremiere unseres Kinofilms, das war auch richtig. Damals stand Alex vor 600 Kinobesuchern bei den Filmfestspielen in Berlin und ist neben mir sekündlich um einen halben Zentimeter gewachsen. Die Anerkennung und die Liebe des Publikums hat ihn an diesem Abend zu einem Riesen mit riesigem Herz wachsen lassen. Das war mehr als richtig. Das war richtig schön. Es war für uns beide das Ende einer langen Reise mit der Kamera in der Hand, die nach einer Sendung im FM4 Jugendzimmer begonnen hatte. Damals hat Alex erzählt, was intersexuell bedeutet und was es heißt, wenn man als Kind und Jugendlicher im Nebel des Unwissens darüber aufwächst, was mit einem los ist. Als die Lehrerin in der Schule dann den Mädchen – und Alex ist als Mädchen erzogen und Alexi gerufen worden – ein Tampon mit nach Hause gab, um im Zuge des Aufklärungsunterrichts mal auszuprobieren, wie man sich so ein Ding einführt, da fand Alexi heraus, dass es bei ihr nichts gab, wo man das Watteding einführen hätte können. Das daraufhin eingeforderte Gespräch mit dem Arzt hat Klarheit und Schmerzen mit sich gebracht. Alexi hat erfahren, dass der Nebel, in dem die Familie das Geheimnis verpackt hatte, „Intersexualität“ genannt wird und dass es laut Biologiebuch bei Schnecken vorkommt und man die Zwitter nennt. Von menschlichen Hermaphroditen konnte Alexi damals nichts im Schulbuch finden.
Eindeutiges Geschlecht um jeden Preis
Als ich Alexi vor 15 Jahren – Alexi war Mitte zwanzig- kennengelernt habe, gab es nur den Weg in die Offensive. Nach Jahren der Identitätskrisen, der Autoaggression und einer überlebten Leukämie war ein Leben im Versteck keine Option mehr. Alexi wollte alles über Intersexualität wissen und wollte Menschen treffen, die ebenfalls intersex sind. Und die Welt sollte darüber erfahren, dass man Babys, die intersexuell auf die Welt kommen auf Anraten der Ärzte irreversiblen Operationen unterzieht; sie kastriert und verstümmelt nur damit sie einer gesellschaftlichen Norm entsprechen, die eben nur zwei Geschlechter anerkennt.
Der Film „Tintenfischalarm“ ist ein Geschenk von Alex an uns. Die Offenheit, der Witz und der Mut, mit dem Alex uns auf die Reise durch die Welt der Geschlechtsidentitäten mitnimmt, hat dazu geführt, dass viel in Bewegung geraten ist. Im November gab es in Wien eine internationale Intersex-Konferenz mit öffentlichen Diskussionen und Workshops, die teilweise im Rathaus stattgefunden haben und Gäste aus der ganzen Welt da waren. Vor ein paar Jahren noch undenkbar. Klar ist Alex unzufrieden, weil es immer noch viel zu wenige intersex Menschen gibt, die sich an die Öffentlichkeit wagen, aber in Österreich sind es zumindest schon drei, die ihr Gesicht zeigen und viele mehr, die sich im Verein intersexueller Menschen Österreich organisieren.
Alex ist während der Filmarbeit zum Aktivisten geworden. Und hat sich angewöhnt, immer und überall offen mit seiner Geschichte umzugehen. Die Leute im Dorf, wo er seit ein paar Jahren wohnt, wissen, dass Alex intersexuell ist. Zum Einstandsgeschenk bekommen die Nachbarn immer eine DVD von „Tintenfischalarm“ in die Hand gedrückt. Das Zusammenleben funktioniert wunderbar und ohne blödes Reden hinter dem Rücken.
Die Sendung am 1.Jänner ist für mich immer etwas Besonderes. Es ist der Ausblick auf die kommende Zeit. Mit dieser Energie schicken wir die HörerInnen in das neue Jahr. Und dieser Platz hier, auf der Wiese im Mühlviertel am Waldrand, mit einem Menschen, der so gut indisch kocht, so viel über sich selbst weiß und mich oft zum Lachen bringt, das kann nur ein guter Start sein.
Danke für deine Freundschaft, Alex.
Das Doppelzimmer mit Alex Jürgen am 1. Jänner von 13 bis 15 Uhr und im Anschluss in einer extended version zum Nachhören.
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