Erstellt am: 29. 12. 2015 - 15:17 Uhr
Killed by Death
Von Paul Kraker
"Lemmy's gone" - Dave Dempsey über Lemmy Kilmister
Lemmy, also. Dabei hatte er erst vor vier Monaten in einem Interview gesagt, er sei anscheinend unzerstörbar. Der Krebs sei extrem aggressiv gewesen, heißt es, nur zwei Tage zwischen Diagnose und Tod – auch das passt zu dem Mann, der sein Leben lang vor nichts Angst hatte außer vor dem Hausarzt oder dem, was dieser ihm mitteilen würde als Folge seines Lebenswandels - auch wenn Lemmys Leben nur aus Leben bestand, nicht aus Wandel.
Wie jede Geburt hat mein Leben mit Lemmy mit einem Schrei begonnen. Mein Bruder hatte ein Livealbum namens „No Sleep 'til Hammersmith“ herangekarrt, von Motörhead, einem Trio, das in den Zeitschriften als lauteste und hässlichste Band gefeiert wurde und jeden rätseln ließen, wie wohl das „ö“ aus britischem Rockermund klänge. Nach „Overkill“ brüllt Lemmy zu Ehren seiner Road Crew, ein Schrei, der einem noch heute durch Mark und Bein und Patronengürtel fährt und der mich damals sofort den Urheber suchen ließ: Lemmy Kilmister - schon der Name! Und dann war der Vater angeblich ein Vicar gewesen, wieder was zum Nachschlagen.
Franz Reiterer
Jahre später hat mir Lemmy in einem Interview erzählt, wie eben dieser Feldkaplan kurz nach der Geburt seines Sohnes Ian Fraser die Familie verließ, wie der junge Ian, später „Lemmy“, bei Mutter und Großmutter aufwuchs und er deshalb so ein gutes, respektvolles Verhältnis zu Frauen habe – vor allem beim One-Night-Stand und am Tresen der Topless-Bar.
Dass Frauen Lemmy anziehend finden könnten, hätte ich nach der ersten optischen Begegnung nicht gedacht. Ein Freund hatte ein Foto aus London mitgebracht: Lemmy schwarz-weiß am Bass, die Haare schweißnass an Wange und Gesichtswarze, und weil sein offener Mund von unten aufgenommen war, sah man, dass Schlägereien und das britische Gesundheitssystem dem dentalen Erfolg eher abträglich waren.
Doch Lemmy hatte Stil: Hufeisenbart, schwarzes Cowboyhemd, schwarze Leggings, und untadelig weiße Cowboy-Stiefel, die zum Entsetzen vieler schon nach 30 Jahren getauscht wurden, gegen schwarze. Bei Interviews fielen immer die knöchernen Unterarme auf, die schwieligen Hände, und der stolze schwarze Rand unter den Fingernägeln, fuckin' working class. Und immer der Totenkopfring, mit dem der Bass, die Maschine, der Rickenbacker, bei Motörhead geschlagen wurde, verzerrt, damit der Lärm aus dem Verstärker wütete. Ein Lärm, den Lemmy in Interviews genussvoll immer wieder neu beschrieb - bei mir war es: wie ein Jet, der mit Maschinengewehrsalven auf das Publikum stürzt.
Viele sahen Motörhead deshalb als Vorreiter von Thrash Metal, aber davon wollte Lemmy nichts wissen. „We are Motörhead and we play Rock 'n' Roll“ schnaubte er zu Beginn jedes Konzerts – und der Fan lernte zweierlei: dass Lemmy gerne im Majestätsplural sprach, und dass seine wahren Helden weit zurücklagen: Chuck Berry, Little Richard, Elvis, die Beatles. Daraus formte der Triochef einen rasenden, verzerrten Rock 'n' Roll, angelehnt an MC5 und die Stooges, einen Rock 'n' Roll, der sich nie ändern durfte. Ein bewegter Stillstand. Der versöhnte zwei verfeindete Lager: Punk und Metal, wobei nach Ansicht des wilden Mediators nicht der Lärm das Gemeinsame sei, sondern der Kampf gegen die Polizei. Warum man gegen die kämpfen sollte, durfte man nicht fragen, Rock 'n' Roll halt.
Das war einer der Widersprüche, die Lemmys Leben begleiteten: Er beschäftigte sich mit Philosphie - und sagte dann doch haarsträubenden Blödsinn: dass er auf einen Krieg hoffe, der den ganzen Bullshit, gemeint: Sicherheit und Überwachung, wegschwemmen würde. Er war äußerst schlagfertig, sein Wortwitz berühmt – und doch saß er über Jahrzehnte bis zur Verblödung (oder ihretwegen?) vor dem einarmigen Banditen und sah den Kirschen, Glocken und Ziffern beim Runterrattern zu.
Franz Reiterer
Er verkörperte stolz den pubgestählten Briten – und zog mit 44 Jahren ins sonnendurchflutete West Hollywood. Hollywood! Dafür dunkelte er dort sein Apartment ab und nagelte es zu mit Hakenkreuzfahnen, Ritterkreuzen und SS-Schulterklappen – und wenn man ihn darauf ansprach, kam lapidar zurück, die bösen Typen hätten einfach die schönsten Uniformen und außerdem habe er eine schwarze Freundin.
Nebem dem Rock 'n' Roll ist Lemmy wohl am meisten für seine Konsequenz, jawohl: geliebt worden, auch wenn sie bei ihm zum Selbstzweck verkam. Keinen Fußbreit wollte dieser abgebrühte Soldat nachgeben: niemals etwas Dämpfendes in die Ohren stopfen, weil man sich selbst zumuten muss, was man den Fans zumutet (und wem einmal das Feedbackkreischen am Ende eines Motörhead-Konzerts das Trommelfell zersägt hat, weiß, was Schmerz ist). Niemals zurückschauen, weil man das Gleiche sehen würde wie das, was vor einem liegt, niemals irgendetwas tun, was dem Körper nicht schadet.
Franz Reiterer
Sendungsänderung:
Lemmy Kilmister ist tot und nicht nur das FM4 House of Pain hat damit eine Ikone verloren. In einer Spezialsendung, inklusive den brachialsten Livemitschnitten aus dem Motörhead-Archiv von Paul Kraker und unvergesslichen Zitaten aus der Biografie "White Line Fever", huldigt das HOP dem Mann, der den Rock'n'Roll personifizierte.
Das Kind in Lemmy, das ihn auf die Bühne trieb, begann ihm immer mehr zu schaden: trotzig machte er weiter, er wollte, konnte und durfte nichts anderes kennen, und nur zu bereitwillig ließ er sich von dem Lärm betäuben, den er selbst erzeugte. Natürlich wusste Lemmy insgeheim, dass ihn ruinierte, was ihn aufrecht hielt: Früher (und wahrscheinlich auch später) das Speed, jahrzehntelang die Zigarette, jahrzehntelang die Jack-Daniels-Flasche, ein wenig verdünnt mit Cola. Nur in den letzten Jahren, nach Herzoperation und anderen Problemen, riss sich der Dürrgewordene etwas zusammen: Nun Wodka Orange, Vitamine, you know. Doch dass die nicht viel helfen würden, konnte man schon an Lemmys Lidern ablesen, die mühevoll und immer schläfriger auf- und zuklappten.
In den vergangenen zwei, drei Jahren begann sich die Wahrnehmung zu ändern: die Bewunderung des Unbeugsamen wich einem Bangen, je schwerfälliger er auf die Bühne kam, je schwächer das Gröhlen wurde, je mehr nur mehr der Wille, das Durchhalten zählte, nicht der Spaß. Die Gemeinde war nur schwach beruhigt durch Lemmys Versprechen weiterzumachen, so lange er die wenigen Meter vom Backstageraum zum Bühnenrand schaffen würde.
Künftig bleibt der kurze Weg zum Ständer mit dem herabhängenden Mikrofon unbegangen. Und es entfaltet sich Lemmys letzter großer Widerspruch: nach all dem Lärm schmerzt die Stille am meisten.