Erstellt am: 29. 12. 2015 - 18:24 Uhr
#rewind2015: Serien (II)
Rewind 2015
Der FM4 Jahresrückblick
Wie schon im Vorjahr: Durchgebingt und ausgesiebt. Ausgemessen, abgewogen und mit dem Bauch gefühlt. Wie immer: Vieles, vieles sehr Gutes bleibt auf der Strecke, man muss ja mittlerweile zehn Stunden Serienstoff gleich an einem Tag durchziehen, damit man übermorgen noch mitreden kann. Aber: Eine Liste ist eine Liste.
10. The Knick
Cinemax
Diesmal wird für die besonders pralle Blutwurst gemolken. Wer meinte mit der ersten Staffel von "The Knick" schon am Boden des glitschigen Organterrors und der menschlichen Jauchegrube angekommen zu sein, darf Neues erfahren: Nach Unten gibt es noch ein anderes Unten - es liegt weiter unten.
Impressario Steven Soderbergh gestaltet, baut, inszeniert und leuchtet es mit funkelndem Handwerkswissen aus, womöglich doch ein wenig eitel und vom eigenen Absturzszenario geil angefixt. Menschen werden schlechter, faulen und verderben, triumphieren oder haben eben Pech gehabt. Eine nachfühlbar perfekt konstruierte Jonglage von Motiven, Zeitgeistern und Risikobiografien, der einzig der unbedingte Wille zur trist glänzenden Pracht ein wenig im Weg steht. Aber es tut so gut weh.
9. Mad Men
AMC
Lange schon ein moderner Evergreen. Eine Show aus den Geschichtsbüchern, für die Geschichtsbücher, bzw. den Manufactum-Katalog. Whiskey-Glas und Aschenbecher, die letzte Fetischisierung von Marke und Produkt, das Abklopfen des Lebensmodells "Familie".
Ein Befingern der unerfreulichen Auswüchse des Hedonismus, ein Stochern im Abgrund der menschlichen Selbstverkultung. Selten hat eine Serie so schön und schädlich – freilich neben der feinstofflichen Charakterzeichnung der Figuren in hundert Lagen – auch von den Dingen und davon, was sie so mit uns machen, gehandelt. A design for life, und das Finale sitzt wie der gute Anzug.
8. The Americans
FX
In einer Show, die zu weiten Teilen vom Esprit der Geheimniskrämerei und der Täuschung lebt, ist in Staffel 3 die unvermeidliche Begegnung mit der ungeliebten Stunde der Wahrheit zentraler Antrieb. Das russische Spionage-Pärchen Elizabeth und Philip Jennings (Codenamen), das in den USA undercover an für die USA unguten Missionen werkt, kommt nicht länger umhin, der eigenen, bislang unwissenden Tochter tatsächliche Identität und Motivation zu gestehen.
Auf dem wie gehabt atemberaubend und ohne Fett gefertigten Trägermaterial des Polit-Thrillers hinterfragt "The Americans" Systeme und Ideologien und überprüft genauso die Gefühle der Figuren auf ihren aus dem Zwang geborenen Mimikry-Charakter. Eine Show, die nicht bloß Ideen und Wertvorstellungen zum Schaukeln bringt, sondern ganze Lebensentwürfe. Eine Show, die – in einer der besten Szenen des Jahres – die brutale und vermutlich schmerzhafte Prozedur einer Zahn-Notoperation via Kneifzange als intimen, erotisch hochgeladenen Moment der Zuneigung inszeniert.
7. Justified
FX
Ein letztes Mal geht Marshall Raylan Givens auf die Pirsch, mit Hut und schnellem Finger am Revolvergurt. Die seit Jugendtagen pulsierende Hassliebe zum ewigen Rivalen und Charme-Ganoven Boyd Crowder muss nun endlich ein Ende finden. Boyd derweil grinst mit den tollen Zähnen, die er da hat. Und jongliert wieder einen kessen Spruch auf den Lippen – wie auch so ziemlich jede andere Figur im Personal von "Justified".
Eine Show, die im tiefsten Kentucky, bei Rednecks und ungewaschenen Hinterwäldlern das – manchmal vielleicht auch etwas schlampig – organisierte Verbrechen findet und noch dem letzten Waschbärenjäger geschliffene Sätze in den Mund legt.
In seiner sechsten Staffel war "Justified" wieder formvollendetes Entertainment-Handwerk: Spröder Witz, Spannung, brenzlige Shoot-Outs. Zwei umwerfende Hauptdarsteller, deren chemisches Verhältnis zueinander Kohlebergwerke zum Leuchten bringt, ein großes Supportensemble aus Handlangern, Cops, schmierigen Strippenziehern und korrupten Sheriffs, das Vergleichbares sucht. Schwer ist es, sich vorzustellen, dass diese Show irgendjemandem nicht Spaß bereiten könnte. Tag für Tag, Episode für Episode.
6. Show Me a Hero
HBO
Noch einmal Anzug: Ein unfassbarer Oscar Isaac als strauchelnder Lokalpolitiker Nick Wasicsko schwimmt in seiner immer zwei Ticks zu großzügig bemessenen Montur wie in den ihm nie ganz greifbaren politischen Wirrungen und Verschiebungen in seiner Heimatstadt Yonkers.
Nach einer etwas zerfahrenen ersten Episode – sie muss so sein – ist es fast schon ärgerlich, mit welcher Perfektion in der von The-Wire-Macher David Simon konzipierten Show alles an seinem Platz liegt, die Rädchen ineinandergreifen und wie unwiderstehlich manipulativ die Emotionsklaviatur bespielt wird. Die fast makellose Verzahnung von Bürokratie, Gesellschaftspanorama und Privat-Turbulenz. Eine Fahne im Wind, ein Schiff in Not, auch für den Helden ist oft die eigene Glorie der stärkste Motor.
5. The Leftovers
HBO
Die rätselhafte Macht des Wassers. Nach einer grandiosen, gar tristen und bitter gefärbten ersten Staffel lüftet Season 2 von "The Leftovers" ein bisschen durch. Setzt stärker auf magischen Zinnober, lockert ein wenig auf und lässt leise Humor zu – Humor im Sinne von David Lynch. Es bleibt spannend, es bleibt mysteriös.
In neuem Setting durchleuchtet Macher Damon Lindelof die Möglichkeiten und Sinnhaftigkeiten von Religion und Glauben so stimmig und uneitel wie selten zuvor auf Leinwand oder Bildschirm geschehen, hantiert dabei nach "Lost"-Manier großzügig mit Symbolen und Andeutungen. Es muss nicht alles etwas bedeuten – das ist auch eine Antwort. Ein herausragender Justin Theroux kriecht mühevoll und nackt aus der Badewanne - und das ist dann noch nicht einmal der ansehnlichste Moment einer von Anfang bis Ende glühenden Performance.
4. Master of None
Netflix
Zwar scheint Aziz Ansari selbst als Darsteller wenig variantenreich und gibt in "Master of None" bloß eine leicht alternative Variante von sich selbst bzw. eine abgedämpftere und wesentlich umgänglichere Version seiner Figur Tom Haverford aus "Parks and Recreation", insgesamt aber glückt ihm mit dieser gemeinsam mit Autor Alan Yang entwickelten Show gleich Großes. Sicher sind aus "Master of None" diverse gute, alte und neuere Annäherungen an das Thema "New York" herauszulesen: Woody Allen und Jim Jarmusch, "Louie", "Broad City", "Girls".
Menschen um die Dreißig in vage künstlerischen Berufen und von ungefährer Hipness driften durch die Stadt und die Bars, sie trinken und reden und haben Sex und reden und verlieben sich. "Master of None" aber ist mehr als die Summe der Muster und Motive.
Nach einer zwar auch schon sehr lustigen, aber doch noch recht formelhaften ersten Episode findet die Serie die eigene Note, zwischen Melancholie im Weinglas, Verwirrung über Handy-Etikette und Pasta-Euphorie, und vor allen Dingen auch neue Blickwinkel: Insbesondere den aus der Sicht der indisch- und asiatisch-stämmigen Minderheit in den USA. Indischstämmige Schauspieler, so erfahren wir anhand von Ansaris Figur, bekommen in Filmen nämlich ausschließlich Rollen als Taxifahrer oder Shop Assistants und müssen stets mit dickem indischen Akzent sprechen – selbst wenn sie in den USA geboren sind. "Master of None" nähert sich den Themen weder platt noch betulich.
Nebenbei werden die Beziehungen zwischen quasi erwachsenen Kindern und ihren Eltern, der Umgang mit Senioren und die Schmerzen mit der Liebe verhandelt, der fetttriefenden Küche der Country-Metropole Nashville wird ein Denkmal gesetzt. Aufrührend, komisch, neu. Es begleitet ein fantastischer Soundtrack, von Aphex Twin bis Beach House: "Jack of all trades, master of none. Cry all the time, 'cause I'm not having fun".
3. Fargo
FX
Jetzt schon ein Klassiker: Nach der ohnehin schon sehr guten ersten Staffel steigt "Fargo" in seiner zweiten Season noch einmal locker drei Stufen nach oben. Das humoristische Element hat man diesmal ein wenig zurückgeschraubt, ohne freilich auf den aufwendig geschnitzten Puppenstubencharme und diverse mit freundlichen Macken und Quirks gewürzte Typinnen und Typen zu verzichten.
Ein lustvolles Schöpfen aus allen Bottichen des Filmemachens: Licht, Ausstattung, Schauspiel, Drehbuch, Kamera, Musik – nichts hier riecht nicht nach dem Wunsch, hocherinnerungswürdige Genussmomente zu erschaffen. Form, Farbe, Inhalt, Plot, es riecht so gut.
Viel wird geschossen und geblutet, genauso arbeitet "Fargo" aber immer wieder dem Speichelreflex entgegen und weiß, dass es doch auch feiner sein kann, wenn der erwartbare Shoot-Out, der in jedem anderen Film und in jeder anderen Serie just in diesem Moment stattfinden würde, eben zur Abwechslung einmal dann genau nicht stattfindet. Dass es ungleich prickelnder ist, wenn der Sheriff ausnahmsweise ohne Schusswechsel wieder aus eventuell lebensbedrohender Lage herauskommt und mit flauem Gefühl in der Hose ungeschoren, die Ganoven in seinem Rücken, wieder zu seinem Wagen zurückstapfen darf, ganz langsam.
2. Unbreakable Kimmy Schmidt
Netflix
Die Kunst der Comedy in nahezu fehlerloser Verarbeitung. Erfinderin Tina Fey und ihrem Team – allen voran: Hauptdarstellerin Ellie Kemper – gelingt die Verwebung von Klamauk, absurdem Humor, schlau ausgetüftelten Witzen, die dann überraschend im Nichts versanden, dem ganz schrillen Unsinn und dem Erzählen einer doch emotional mitnehmenden und dramaturgisch straff gestrickten Geschichte. Die Geschichte einer jungen Frau, die nach Jahren in Gefangenschaft ihr Leben neu sondieren muss und sich die Welt nimmt, die ihr gehört.
Fühlt man sich einen Moment lang von der grellen Bonbon-Aura von Kimmy Schmidt allzu zugekleistert, kommt die Show eine Sekunde später mit drei unfehlbaren Knallern innerhalb von zwei Zeilen Dialog um die Ecke. Dazu großer Quatsch, Kalauer, alberne Wort- und Bildwitze aus der Hochphase des Werks von Zucker-Abrahams-Zucker. Wir blicken mit einem Strahlen in ein besseres Morgen.
1. BoJack Horseman
Netflix
Es wird nie leichter. Bzw. wird es vielleicht doch leichter, man muss nur jeden Tag dran arbeiten, oder, in den Worten von BoJack Horseman: "Everything is the Worst".
Die zweite Staffel von BoJack Horseman ist die erschütternd vielschichtige und genaue, dabei wie federleicht konstruierte Abbildung und Verquickung von so ziemlich vielen Vorgängen, Zuständen und Ereignissen, die wir manchmal "leben" nennen: Billiger, schäbiger Humor, Peniswitz und Sex, Literatur- und Filmreferenzhuberei, Schlaumeiertum, Hochkultur, Trash-Entertainment und Gossenromantik, Liebe, Verfall, Depression, Euphorie, Sportversuch.
In einer von anthropomorphen Tieren, Menschen und auch tatsächlichen Tier-Tieren bewohnten Welt ist der Pferdemann BoJack der große Untergeher. Er hat es sich selbst zuzuschreiben: Als einstiger Sitcom-Star mit einem Ego zwischen Größenwahn und Selbstzerstörung widmet er sich Jahre nach den großen Erfolgen in seiner Villa vornehmlich dem Alkohol, Aktivitäten im Schlafzimmer und dem Scheitern an neuen Filmprojekten. "BoJack Horseman" ist sehr traurig und sehr, sehr lustig.
Dass der Egomane und Arroganzling BoJack in Staffel 2 versucht, eine bessere Person zu werden und ernsthaft die Liebe ausprobiert, macht die trübe Angelegenheit nicht angenehmer. Ein wasserdichtes Drehbuch voller Pointen, Finten und Hits, eine Cast auf der Höhe ihrer Kunst: Will Arnett, Lisa Kudrow, Alison Brie, Amy Sedaris, Aaron Paul, viele, viele Gastauftritte. Ein tatsächlich einzigartiger Tonfall, vierhundert wunderbar gestaltete Frames und Bilder für die Ewigkeit. Am Ende singt Courtney Barnett: "I'm having trouble breathing in."