Erstellt am: 22. 12. 2015 - 15:14 Uhr
Gesellschaftlicher Umbruch in Spanien
Spanien steht nach der Parlamentswahl vor ungewissen Zeiten. Ministerpräsident Mariano Rajoy will trotz der drastischen Stimmenverluste seiner Partido Popular (Volkspartei) eine neue Regierung bilden. Doch der Schock sitzt tief bei den Konservativen - nicht nur über die Stimmenverluste, sondern auch darüber, dass die erst vor Kurzem gegründete, linke Partei Podemos den dritten Platz belegen könnte.
APA
In den letzten Jahren hatte die Volkspartei als eines ihrer wichtigsten Ziele die Sanierung der angeschlagenen Wirtschaft Spaniens definiert. Tatsächlich zeigten die Wirtschaftsdaten zuletzt wieder nach oben während die Arbeitslosigkeit sank. Regierungschef Rajoy brach aber sein Versprechen, die Steuern nicht zu erhöhen - und er setzte Maßnahmen, die von breiten Teilen der Bevölkerung abgelehnt wurden, darunter Kürzungen im Sozialbereich, Privatisierungen und Lohndumping.
mosaik
Lukas Oberndorfer ist auch Autor des Politik-Blogs Mosaik. Hier hat er eine ausführliche Analyse zu den Parlamentswahlen in Spanien geschrieben.
Diese Maßnahmen Rajoys, sagt Lukas Oberndorfer, hätten die Wirtschaft nicht nachhaltig angekurbelt. Vielmehr sei der Grund für die besseren Zahlen, "dass die EU-Kommission 2013 Spanien mehr Luft zum Atmen geben hat. Sie hat zum Beispiel erlaubt, dass Spanien mehr in die öffentliche Infrastruktur investiert. Damit setzte der Trend ein, dass die Wirtschaftsdaten wieder nach oben gehen. Die Arbeitslosigkeit ist zwar leicht zurückgegangen, der Hauptgrund dafür ist aber, dass seit der Krise 600.000 Menschen Spanien verlassen haben“. Vor allem Jugendliche seien ausgewandert, sagt Oberndorfer, viele beispielsweise nach Deutschland.
Zwei neue Parteien, die linken Podemos und die neoliberalen Ciudadanos ziehen ins Parlament ein – ein Rechtsruck blieb hingegen aus. Den Grund dafür sieht der Politikwissenschafter in der spanischen Protestbewegung, die mit den Platzbesetzungen am 15. Mai 2011 begann. Seitdem, sagt Oberndorfer, sei es den linken Parteien in Spanien gelungen, die Konfliktachse zwischen oben und unten anzuordnen. Er gibt dafür ein Beispiel: „Migrantische und spanische Arbeiterinnen und Arbeiter, sowie Arbeitslose in Spanien kämpfen gemeinsam gegen die Zwangsräumungen ihrer Wohnungen im Interesse der Banken. Es besteht also Solidarität zwischen den Menschen unten, anstatt eines Hasses auf den anderen, den Nachbarn.“
Oberndorfer spricht von einer „Re-Politisierung“ der spanischen Gesellschaft, die 2011 eingesetzt habe. Heftig diskutiert und bekämpft wurde etwa auch die Privatisierung des Gesundheitswesen, oder das sogenannte „Maulkorbgesetz“, das die Konservativen als Maßnahme gegen die Platzbesetzungs- und Protestbewegung beschlossen haben: Dieses bedroht unter anderem Bürger mit einer Geldstrafe von bis zu 30.000 Euro, wenn sie Polizisten im Dienst fotografieren.
Den Podemos hat die Unzufriedenheit der Bevölkerung über diese Politik bei der jetzigen Wahl genützt. „Es gab große Bewegungen gegen die Kürzungen im Bereich der sozialen Infrastruktur, gegen den Abbau der Bildung, gegen die Privatisierung des Gesundheitswesens, eine sehr starke Frauenbewegung. In diesen Bewegungen sind Millionen Menschen wieder aktiv geworden. Das war die tragende Kraft, die letztlich bewirkt hat, dass die Kampagne der Podemos so gut angekommen ist.“
Schwierig könnte nun die Regierungsbildung in Spanien werden. Eine Koalition zwischen Partito Popular und den neoliberalen Ciudadanos geht sich ebensowenig aus wie eine linke Mehrheit von Sozialdemokraten und Podemos. Damit bleibt die Möglichkeit einer große Koalition oder ein breites Bündnis aus linken und regionalen Kleinparteien. Falls innerhalb von zwei Monaten keine Regierung gebildet werden kann, muss laut spanischer Verfassung neu gewählt werden.