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Rainer Sigl

Spiel, Kultur, Pop im Assoziationsblaster.

30. 12. 2015 - 12:03

#rewind2015: Das Games-Jahr 2015

Ein verspieltes Jahr zwischen großen Fortsetzungen, Millionensport und Kontroversen im Dreiergespräch.

Jagoda Froer

Jagoda Froer (@Scheinprobleme) schreibt und castet seit Jahren über ihr Lieblingsmedium, zuletzt beim großartigen deutschen Indie-Blog Superlevel.

Computerspiele sind 2015 breiter aufgestellt als je zuvor, und auch die Zugänge der einzelnen Spieler können sich unterscheiden. Grund genug, das Spielejahr 2015 nicht aus nur einer einzigen Perspektive Revue passieren zu lassen. Zu Robert Glashüttner und mir gesellt sich diesmal Games-Auskennerin Jagoda Froer für eine Plauderei über das abgelaufene Spielejahr zur Seite.

Eine Talkrunde über Trends, Veränderungen und unser subjektives Spiel des Jahres

Rainer: Von außen betrachtet war 2015 ja kein Jahr der großen Sensationen: Die "neue" Konsolengeneration ist nicht mehr so neu, revolutionäre Neuerscheinungen waren vor allem im Hochglanzbereich Mangelware - dafür gab's Solides mit Fortsetzungszahl im Titel. Welchen Eindruck hat das Spielejahr 2015 bei euch beiden hinterlassen? Und: War das ein gutes Jahr?

Robert: Für mich hat sich in 2015 das manifestiert, was sich in den zwei, drei Jahren davor schon abgezeichnet hat: Nämlich, dass Gameskultur nun so vielfältig ist, dass es schwer bis unmöglich ist, alle wichtigen Stränge - Triple-A, Free-to-play, Indie, Freeware, Mobile - gleichförmig wahrzunehmen. Man muss sich selbst seinen Kanon kuratieren, Monat für Monat. Ein neues "Halo", "Fallout", "Metal Gear Solid" - du spielst es, wenn du die Serie kennst und schätzt, ansonsten spielt man es wahlweise nur an oder liest drüber bzw. konsultiert Let's Plays.

Diese Vielfalt, oft gepaart übrigens auch mit verblüffend hoher Qualität, vor allem aus dem Indie-Bereich, ist auf jeden Fall ein starkes Zeichen für ein gutes Gamesjahr 2015 - und auch der Umstand, dass man Gameskultur nicht mehr länger in nur einer "objektiven" Bestenliste zusammenfassen kann.

Psyonix

Rocket League: Neuer (großartiger!) Indie-Kommerz

Rewind 2015

Der FM4 Jahresrückblick

Jagoda: 2015 war ein sehr durchwachsenes Jahr. Es gab ein paar erstklassige Indie-Titel, hochglanzpolierte Triple-A-Produktionen und ebenso viele drittklassige Titel aus diesen Reihen. Eine klare Tendenz auszumachen, fällt mir da schwer. Im Bereich der Indies war vielleicht das Auffälligste, dass sich eine Professionalisierung immer weiter durchsetzt.

Fein geschliffene Titel wie "Rocket League" füllen die Downloadbibliotheken und hübsche Pixelgrafiken reichen längst nicht mehr, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Der Anspruch nicht nur seitens Spielepresse ist gestiegen. Gleichzeitig strömen aber immer mehr kleine Entwickler hinzu, wie die stetig steigende Zahl an Game-Jams und deren Teilnehmer und Teilnehmerinnen zeigt. Das Resultat ist eine enorme Vielfalt an unterschiedlichen Spielen, die auch dank der Etablierung der Indie-Abteilungen der großen Studios vorangetrieben wurde.

Rainer: Ich stimme da Jagoda völlig zu: Indie ist 2015 nicht mehr Underground, sondern schlicht der - oft durchaus noch mutigere - Mittelbau der Branche geworden. "Her Story" und "The Beginner's Guide" fallen mir da natürlich sofort als Pflicht-Jahrestitel ein. Aber ich finde, dass sich auch im Indie-Bereich da ein wenig Business as usual eingeschlichen hat - Titel wie das genannte "Rocket League" sind ja eigentlich hochprofessionelle Spiele von Ex-Industriestudios. Da haben es die Kleineren oft schwer, mitzuhalten. Als Indie Geld zu verdienen, ist sicher heute auch gerade wegen des Erfolges dieser Nische schwerer als noch vor zwei, drei Jahren - auch wenn es Ausnahmen wie das tolle "Undertale" gibt, das ja quasi von einem einzigen Amateur kommt.

Jagoda: Solche Ausnahmen gab es aber viele. "Downwell" oder "Sunless Sea" dürfen in dieser lobenswerten Reihe nicht fehlen.

Riot

Esports: vom Nischenphänomen zum Millionenerfolg. Im Bild: das Live-Finale der "League of Legends"-World Championship.

Rainer: Ein Riesenthema, das von Jahr zu Jahr Rekorde bricht und trotzdem oft in der Berichterstattung zu kurz kommt, ist der unglaubliche Aufstieg von Esports, mit MOBAs wie "League of Legends", "Dota 2" und "Heroes of the Storm" als Millionenspektakel. Ich persönlich habe das immer ein wenig als schlechtes Gewissen im Hinterkopf: Das sollte ich eigentlich ja auch noch abdecken, irgendwie geht es sich aber nicht aus. Was ist dazu euer Zugang?

Jagoda: Die Schwierigkeit für Außenstehende, diesen Sport zu verstehen, ist sicher auch dank der für Neulinge schwer zugänglichen Spiele zu erklären. Die Grundregeln eines "Dota 2" sind vielleicht schnell verstanden, aber alles weitere müsste in einer Vielzahl frustrierender Spielstunden erarbeitet werden. Für mich persönlich ist das als Außenstehende aufgrund der Dimensionen unglaublich beeindruckend. Im November schauten 13.000 live vor Ort das Finale der "League of Legends"-Weltmeisterschaft. Die Tickets waren innerhalb eines Tages ausverkauft. Die Professionalisierung der Teams bringt aber auch alle gängigen Phänomene des Profisports mit, wie z.B. Wettskandale, Vertragsverhandlungen und hohe Transfersummen.

Robert: Die Crux an Esport ist eben, dass du nichts damit anfangen kannst, wenn du das jeweilige Spiel nicht "lesen" kannst. Das Lernen des grundlegenden Spielprinzips ist dabei ja nur der allererste Schritt. Durch mein intensives "Hearthstone"-Jahr (wobei 2014 auch schon recht stark war) kenne ich das Spiel sehr gut und habe damit Zugang zu einem Haufen Content an Turnieren, Übertragungen, Twitch-Streams und Analysevideos, der die Beschäftigung mit dem Spiel auf eine neue Ebene hebt. Das ist wertvoll, erfordert aber ein hohes Zeitinvestment. Als Vielspieler/in kann man sich so vielleicht drei, vier aktuelle Esport-Disziplinen erschließen - der Rest bleibt einem aber komplett verschlossen. Der gängige Casual-Zugang à la "Ich schaue nur Fußball, wenn EM oder WM ist" wäre für Esport-Disziplinien unvorstellbar.

the interwebs

Rainer: Um zu etwas Unerfreulichem zu kommen: Das schlimmste Gepolter vonseiten der "consumer revolt" Gamergate liegt 2015 hinter uns. Ich selber verfolge das Dahinbrodeln der Ausläufer davon noch mit einer Mischung aus Faszination und Kopfschütteln. "Ethics in Games Journalism" spielt abseits von "Lügenpresse"-Gejaule nur mehr eine kleine Rolle - man hat den Eindruck, dass sich da eben eine verhärtete und auch verbitterte Aktivistenschar an ihre ganz eigene Weltsicht klammert. Hat sich eurer Meinung nach im Gefolge dieser Sache etwas verändert, persönlich für euch, aber auch allgemein, in der Branche?

Jagoda: Die Auswirkungen von Gamergate waren 2015 natürlich immer noch zu spüren. Für mich hat diese große Aggression gegen eine Weiterentwicklung der Spielekultur auch eine positive Seite mit sich gebracht, so dass ich das mit sehr gemischten Gefühlen betrachte: Einerseits haben einzelne Gamergate-Aktionen jede Vernunftgrenze überschritten, andererseits hat es viele Menschen dazu bewegt, über Sexismus in Spielen nachzudenken. Eine Weiterentwicklung, besonders auch der vorhandenen Rollenbilder, ist dringend nötig und zog glücklicherweise dieses Jahr auch vermehrt in Triple-A-Produktionen ein.

Leider kam mit der Aufmerksamkeit für Gamergate nicht nur ein Gegenwind auf, sondern es etablierte sich 2015 eine Art Konsens unter den Befürwortern konservativer Richtungen. Ganz persönlich bin ich jegliche Diskussionen mit Gamergatern leid. Allerdings gibt es durchaus ein wiedererstarktes Bewusstsein der möglichen Verwicklungen von Industrie und Journalismus und ich habe den Eindruck, die Selbstreflektion von Autoren und Autorinnen hat - leider auch aus Angst, Ziel eines wütenden Mobs werden zu können - zugenommen.

Bethesda

War never changes - "Fallout" zumindest ein wenig.

Robert: Dass Gamergate ein ekelhafter Mob ist bzw. war und vor allem einige ausgewählte Frauen darunter massiv zu leiden hatten und weiterhin leiden werden, steht außer Zweifel. Andererseits ist es ein schmerzhafter, aber wohl notwendiger Prozess des Erwachsenwerdens, der sich nun in einer demografischen Vielfalt breit macht - und zu dieser Demografie gehören eben leider auch sehr unsympathische, reaktionäre Menschen.

Gleichzeitig bin ich mir sicher, dass bei einigen jüngeren Spieler/innen (Teenagern, Frühzwanziger) diese heftige Diskussion über Sexismus und Misogynie zu einem besseren Bewusstsein problematischer Darstellungen geführt hat - auch, wenn sie zunächst vielleicht aggressiv dagegen gekläfft haben. Eine erfreuliche Konsequenz ist auch, dass sich Redaktionen Gedanken zu den Prinzipien ihrer journalistischen Arbeit machen - vor allem in Bezug auf Transparenz. Dass es mittlerweile beispielsweise recht üblich ist, dass bei einem Text dabei steht, ob jemand zu einer Veranstaltung eingeflogen wurde oder nicht, macht total Sinn. Aber es ist nochmal wichtig zu betonen: Diese positiven Entwicklungen stehen in keinem Verhältnis zu der Menschenverachtung, die Gamergate versucht hat, zu säen. Ich würde es fast sogar als zwei getrennt voneinander stattfindende Entwicklungen betrachten.

From Software

"Bloodborne": Dank DLC im November das ganze Jahr über höchst ansteckend.

Rainer: Richtung Ende noch ein Klassiker der Endjahresrundentradition: Welches war euer Spiel des Jahres? Wenn ich vorlegen darf: Für mich gab es heuer ausnahmsweise tatsächlich ein Spiel des Jahres, und das war "Bloodborne". Selten zuvor hat mich ein Spiel, und im Anschluss daran auch die indirekten Vorgänger, die “Souls”-Reihe, so an den Monitor gefesselt. Es heißt ja immer, man müsse Masochist sein, um sich in diesen angeblich so schweren Spielen zu verlieren. Die Wahrheit ist: „Bloodborne“ ist zuallererst eine Lektion in Demut - das hat man ja nicht so oft in einem Medium voller Machtfantasien -, es belohnt seine Spieler aber dafür mit den größten Glücksgefühlen, die es vor den Konsolen heuer zu erleben gab. Ich gebe zu, dass ich zum Fanboy mutiert bin - auch mal was Neues für mich. Bei euch so?

Jagoda: So ein Zufall, auch ich bin mutiert. Allerdings mehr zum Fangirl und manchmal mutierten dabei meine Gegner mehr als ich. Die Rede ist natürlich von "Fallout 4", dem erst auf der diesjährigen E3 angekündigten Top-Titel von Bethesda. Das Spiel hat glühende Verehrer und abgebrühte Feinde und obwohl ich verstehen kann, wenn es von manchen als große Enttäuschung nach "Fallout 3" bzw. "New Vegas" verstanden wird, so hat es mir doch trotz allem die schönsten Spielemomente 2015 beschert. Als große Freundin des Öffnens aller Schubladen und des Absuchens jeglicher Winkel einer Spielewelt belohnte mich "Fallout 4" immer wieder mit kleinen Überraschungen, Hinweisen oder einfach abstrusen Notizen. Ich sehe Spieledesigner vor mir, wie sie grinsend kleine Zettel im allerletzten Winkel einer Industrieanlage Bostons verstecken und wenn ich diese dann finde, muss ich einfach mitgrinsen. Für das nächste "Fallout" muss Bethesda aber dringend an einer neuen Engine arbeiten, auch wenn die Bugs und Glitches wiedermal für viele ungewollte Lacher sorgten.

Bloodirony Games

Shooting Stars: Immer brav das Ipad ins Kühlfach legen!

Die Top-5-Games 2015 der Gesprächsteilnehmer - ungereiht:

Rainer:

Jagoda:

  • "Fallout 4"
  • "Life is Strange"
  • "Rocket League"
  • "Cities: Skylines"
  • "Tearaway" (PS4)

Robert:

Robert: Abgesehen von meiner "Hearthstone"-Leidenschaft habe ich zwar naturgemäß auch einiges anderes gespielt dieses Jahr, aber nichts, wo ich annähernd so reingekippt bin. Dafür habe ich eine amüsante Anekdote auf Lager: 2015 war in der österreichischen bzw. Wiener Indie-Games-Szene das Jahr von Blood Irony, ein Mini-Startup von drei gut gelaunten jungen Männern, die innerhalb von wenigen Monaten ihr Mobile-Game "Shooting Stars!" aus dem Boden gestampft haben und ganz nebenbei auch unglaublich gute und unterhaltsame PR-Arbeit gemacht und darüber hinaus auch sehr viel für die lokale Community getan haben. Leider hat sich ihr Spiel nicht gut genug verkauft und deshalb ist nach einem Jahr schon wieder Schluss mit Blood Irony. "Shooting Stars!" bleibt aber: Ein buntes Casual-Shoot-em-up, das mit kuriosen Figuren, die diversen Celebrities zum Verwechseln ähnlich sehen, aufwartet. Ich war von Anfang an einigermaßen talentiert in dem Spiel, was dazu geführt hat, dass ein Daily Run bei mir oft bis zu 90 Minuten lang gedauert hat - durchaus keine kurze Zeit für ein mobiles Spiel. Das Ipad hat buchstäblich zu glühen begonnen - ich bin irgendwann dazu übergegangen, zwischen den Levels zu pausieren und das Teil zwischendurch für ein paar Minuten in den Kühlschrank zu stellen.

Rainer: Kurzausblick zum Schluss: Was bringt 2016?

Robert: Mein Neujahrsvorsatz: Apple TV mit Steelseries-Controller! Darauf bin ich wirklich neugierig. Und natürlich, was der Virtual-Reality-Hype so bringen wird. Was Games-Titel betrifft, fällt mir vor allem "The Witness" (na endlich!) und "No Man's Sky" ein.

Jagoda: Die Oculus Rift soll 2016 nun endlich in den Läden stehen. Vermutlich wird das derzeitige Lieblingssetting "Steinzeit" also auch bald in 3D verfügbar sein.

Rainer: "Dark Souls 3". Nuff said.