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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

24. 12. 2015 - 13:00

#rewind2015: Refugees welcome!

Europa 2015. Flüchtlingsbabys schlafen in Pappkartons. Angela Merkel erklärt: Wir schaffen das. Und M.I.A. geht über Wasser.

Rewind 2015

Der FM4 Jahresrückblick

"Freedom, 'I'dom, 'Me'dom
Where's your 'We'dom?
This world needs a brand new 'Re'dom"

M.I.A. - Borders

Alle wichtigen Fragen hat M.I.A. in "Borders" gepackt und im Video dazu geht sie über Wasser, wie das die Bibel Jesus zuschreibt. We'dom mit Apple, das ist 2015 die besungene Realness, die Welt ist komplex.

Die britisch-tamilische Künstlerin M.I.A. hat mit ihrer Familie in den 1980er Jahren bei einem ausgewanderten Onkel in England Zuflucht vor dem Bürgerkrieg in Sri Lanka gefunden. Flüchtlinge sind nicht erst jetzt und schon gar nicht plötzlich nach Europa gekommen.

Die mediale Wahrnehmung von Flüchtlingen war hierzulande seit Ende des Protests der Flüchtlinge bei der Wiener Votivkirche allerdings eher marginal; die Zustände in Traiskirchen waren bekannt, aber gesprochen wurde vor allem darüber, dass der Bund auf die Länder verweisen würde, die ihre Quoten nicht erfüllen, also nicht genügend aufzunehmende Asylwerbende übernehmen.

Und dann: fährt am 31. August in Wien der erste Zug aus Budapest mit Flüchtlingen ein. Wenige Tage später wird der Vorstandsvorsitzende der ÖBB-Holding AG, der Manager Christian Kern in Interviews sagen: "Dies ist nicht die Zeit für Dienst nach Vorschrift". Schon seit Monaten habe man sich bei der ÖBB mit der Frage auseinandergesetzt, wo man im Bedarfsfall Menschen unterbringen könne. Und: die Sonderzüge hätten der Schleppermafia mindestens fünfzig Millionen gekostet. Zusatz: "Das ist nicht von heute auf morgen vom Himmel gefallen.". Andere bedienen Metaphern von Naturkatastrophen und sprechen von "Menschenströmen" und "-fluten".

Bananen und Plastikflascher mit 0,5 Liter Wasser stehen auf einer Bierbank

Radio FM4

Mit Bananen und Wasserflaschen begrüßten viele Menschen in Wien auf den Bahnsteigen und in Nickelsdorf die ankommenden und weiter nach Deutschland reisenden Flüchtlinge. Genau so hießen auch die Flüchtlinge des Protest Camps beim Grazer Paulustor mit ihnen Demonstrierende willkommen.

Von dieser Euphorie über Neuankommende ist allerdings kaum etwas zu bemerken, wenn es um Forderungen von und für Flüchtlinge geht. Kaum haben die meisten kapiert, warum die auch Smartphones besitzen und auch ein Leben mit Familie, Wohnung und Arbeit hatten, bevor Kriege begonnen wurden, so schwindet die Unterstützung, wenn es um ihre Rechte geht selbst bei jenen, die zuvor Kuscheltiere an Flüchtlingskinder reichten.

Apropos Smartphones. Das war einer der heftigsten Satire-Beiträge 2015:

Integration zulassen

Unterstützung und Arbeit mit Flüchtlingen erfordert Durchhaltevermögen. Man muss nicht jeden Flüchtling mögen, man mag ja auch nicht alle gebürtigen ÖsterreicherInnen. Und man kann Nächte mit jungen Männern aus Syrien und aus dem Irak diskutieren, warum es hierzulande okay ist, älter als zwanzig, weiblich und unverheiratet zu sein, und versuchen, ihnen die Shoa, die Vernichtung jüdischer MitbürgerInnen durch die NationalsozialistInnen, also durch unsere Großelterngeneration, bewusst zu machen.

Umgekehrt realisiert man, dass es unmöglich ist, mit Menschen in existenziellen Situationen über Solidarität zu diskutieren. Wer hat ein Recht auf Asyl: Ein senegalesischer Fischer oder ein Kriegsflüchtling aus Syrien?

Eine der bedrückendsten Geschichten des Jahres 2015: "Kehrt um!"

Um solche Diskussionen überhaupt führen zu können, braucht es erst mal Begegnungen. Privatpersonen, engagierte Gemeinden und NGOs haben Möglichkeiten für Begegnungen geschaffen. Etwa das Team des Arbeiter-Samariter-Bundes beim erst Transitquartier, dann Notunterkunft beim Schwarzl Freizeitzentrum in Unterpremstätten bei Graz, das mit Verstand und Herz freiwillige HelferInnen zuließ und damit den Grundstein für Integration legte.

Junge syrische Mutter mit einem Kleinkind. Sie freuen sich. Ein weiterer Sohn, ein Bub, steht daneben und lacht

Radio FM4

Eine der schönsten Begegnungen 2015: Eine junge Syrerin hat es mit ihren Kindern über die Grenze von Slowenien nach Österreich geschafft. Ihr Mann warte in Deutschland auf sie

Mehr Macht für Frontex?

Gewalttaten nahmen zu - und zwar jene gegen Flüchtlinge: In Deutschland sind die Angriffe auf Flüchtlinge in diesem Jahr massiv gestiegen, gab das Bundeskriminalamt bekannt. In Österreich fragte die Zeit im Bild beim Innenministerium nach, ob Flüchtlinge kriminell seien. Das stimmt nicht, sagt Karl-Heinz Grundböck, der Sprecher des Innenministeriums: "Was wir sehen ist, dass ein bestimmtes Feld steigt: Das ist nicht die Kriminalität von Flüchtlingen, sondern die Kriminalität gegen Flüchtlinge."

"Ich finde ja, man sollte mit dem Wort 'inspirierend' vorsichtig umgehen, aber was ich dort gesehen und erlebt habe, war wirklich sehr inspirierend! Menschlichkeit macht sexy!", postete ein Bekannter nach einem Wochenende, an dem er für die Mobile Küche in Spielfeld in der Lebensmittelsammlung mitgeholfen hatte. Jetzt steht in Spielfeld ein lückenhafter Zaun, denn einige Weinbauern finden Zäune alles andere als sexy. Und die EU-Kommission will überhaupt die Macht von Frontex ausweiten: Beamte der Grenzschutzbehörde sollen die Grenzen Europas kontrollieren - „selbst wenn ein Staat unfähig oder unwillig ist, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen“.

Über ein Zwei-Klassensystem, das Menschen auf der Flucht in zwei Kategorien teilt, berichtete Salinia Stroux Anfang Oktober . Und was an der griechisch-mazedonischen Grenze bei Idomeni vor sich ging, verfolgte Chrissi Wilkens: Menschen aus dem Iran und aus Pakistan durften nicht passieren, Menschen mit syrischen, irakischen oder afghanischen Dokumenten konnten über die Grenze. Schließlich wurde das sich immer mehr füllende Lager derer, die zurückgehalten wurden, geräumt, die Menschen in Bussen nach Athen transportiert.

"Profiling asylum seekers on the basis of their alleged nationality infringes on the human right of all people to seek asylum, irrespective of their nationality, and to have their individual cases heard", sagte der UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon zu diesem Vorgehen.

Zum aktuellen Umgang der Politik europäischer Länder mit den angekommenen Flüchtlingen: Vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit laufen Flüchtinge wie gehetzt, um einen Schlafplatz zugewiesen zu bekommen, mitunter werden sogar Hochschwangere abgewiesen. Norwegen schickt Flüchtlingsfamilien mit Kindern per Fahrrad wieder über die Grenze nach Russland, während Dänemark den Flüchtlingen all ihre Wertgegenstände wie zum Beispiel Schmuck abnehmen will. Und hierzulande?

Ehrenamtliche Hilfe ist nach wie vor gefragt: helfenwiewir.at

Eine Woche vor dem katholischen Heiligen Abend und damit Weihnachten schlagen die großen NGOs - Caritas, Diakonie, Hilfswerk, Rotes Kreuz, Samariterbund und Volkshilfe - Alarm: Derzeit sind in Österreich etwa 8000 Flüchtlinge in Notquartieren untergebracht, obwohl sie schon in Grundversorgungseinrichtungen sein müssten.

"We're solid and we don't need to kick them"
M.I.A. - Borders