Erstellt am: 18. 12. 2015 - 15:31 Uhr
Hooray for Murray
Daher kommt übrigens "Murray Christmas": Von einer Weihnachswerbung aus den frühen 1960er Jahren der Filma Murray für ihre Kinderfahrräder
Die Kälte bleibt draußen in "A Very Murray Christmas", wörtlich und sprichwörtlich. In Sofia Coppolas Filmen scheint es immer warm zu sein, auch wenn eher eisige Familien ("The Virgin Suicides") oder ganz und gar nicht gut beheizbare Paläste ("Marie Antoinette") darin vorkommen. Es ist sicherlich das Licht und die Kamera, aber auch der Blick, den Sofia Coppola auf die Welt wirft, der irgendwie Wärme verströmt. Die wortwörtliche Kälte im Netflix-Weihnachtsspecial ist ein ausgewachsener Blizzard, der New York am Weihnachtsabend lahmgelegt hat.
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Und so steht nun Bill Murray als Bill Murray in seinem Hotielzimmer am Fenster und muss sich damit abfinden, dass zu seinem Weihnachtsspecial (ein Weihnachtsspecial über ein Weihnachtsspecial, Metaebene, ick hör dir stampfen) niemand kommen wird. Kein Publikum, keine Stargäste. Einsam sitzen A3-Pappschilder mit den Gesichtern von Beyonce, Papst, Iggy Azalea und George Clooney auf den Sesseln der ersten Reihe. Murray ist traurig, oder nennen wir es besser betropatzt, das ist ohnehin der übliche Murray-State-of-Mind.
Zu "Saturday Night Live"-Zeiten gab Murray den Loungesänger Nick Winters, der einen ziemlich superen "Star Wars-Song hatte, den hat jetzt Oscar Isaac gecovert. Das einzige, was "A Very Murray Christmas" noch schöner machen hätte können, wär wohl Oscar Issac gewesen
Als armer Tor mit Rentiergeweih-Haarreif auf dem Kopf, schwelgend im Christmas Blues. Schwelgend und singend, soabld Paul Shaffer losklimpert, denn, "A Very Murray Christmas" ist ein "Christmas musical special". Drei Worte, die bei den meisten Leuten nicht unbedingt auf Interesse stoßen würden, wäre da nicht Bill Murray im Spiel. Der, auf den sich irgendwie alle einigen können. Weil er für viele der Ghostbuster aus ihrer Kindheit ist, dessen Zynismuskruste wir allmählich - dank einer von Sunny und Cher eingeleiteten Zeitschleife - in "Groundhog Day" haben bröckeln sehen. Der dann mit Filmen von den geherzten Indie-Filmemachern Coppola und Wes Anderson sowas wie eine Murray-Rennaissance einläutete. Und der als Privatperson nicht minder unterhaltsam und auch seltsam bleibt, wie einige seiner Figuren. Manager hat er keinen, so geht die Legende, will man was von Murray, spricht man auf einen Anrufbeantworter. Ist Murray interessiert, ruft er zurück. Und kein anderer Schauspieler hat wohl mit Begegnungen (und gemeinsamen Fotos) soviele Leute glücklich gemacht. Die Website www.billmurraystory.com ist voll von bizarren Geschichten und herrlichen Fotos.
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Dieser Bill Murray nun, der kann wahrscheinlich selbst Grinch und Scrooge (den hat er ja auch bereits gespielt in "Die Geister, die ich rief") von Weihnachtsspecial-Skepsis befreien. Nur wie soll das was werden, ein Weihnachtsspecial ohne Special? Skeptisch ist auch Michael Cera als Nervensäge, der gern Murrays Manager wäre, große Worte plaudert und in einem viel zu großen Sakko steckt. (Cera und große Sakkos ist eine Spitzenkombination, das hat schon "Wet Hot American Summer" gezeigt). Die Pointen in "A Very Murray Christmas" sitzen nicht immer, manchmal sitzen sie so schlecht wie Ceras Sakko. Aber genau diese Verweigerung der Perfektion, die lässig hingehuschte Inszenierung machen den Charme von "A Very Murray Christmas" aus. Nur Sofia Coppola kann mit dieser melancholischen Leichtigkeit und ohne Pathos inszenieren, so dass dann tatsächlich noch ganz ironiefrei Platz für Weihnachtslieder ist. Baby, it's schließlich cold outside.
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Murray, Einsamkeit und Hotel, das klingt wie "Lost in Translation". Der bittersüße Hauch dieses Films durchzieht dieses Netflix-Kleinod. Wie in Sofia Coppolas Film, der 2003 Murrays Karriere neu definiert hat, passiert auch hier Unerwartetes und Schöne, weil sich sowas eben aus Zufälligkeiten ergeben kann und weil Murray der Zeremonienmeister ist. Er verwandelt den Abend für die wenigen Hotelgäste in eine improvisierte Festlichkeit - mit all den Peinlichkeiten und Seltsamkeiten, wie sie die Feiertage so mit sich bringen.
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Coppola erhebt die Improvisation zur hohen Kunstform (also in ihrer Geschichte, nicht in ihrer Arbeitsweise). Bill Murray singt ein Duett mit Jenny Lewis, Maya Rudolph taucht als mysteriöse Dame im weißen Pelz auf, Rashida Jones trägt ein Hochzeitskleid. Wie so oft bei Sofia Coppola ist Arbeit eine Familienangelegenheit. Ihr Cousin Jason Schwartzman lungert an der Bar rum, die Band von Coppolas Ehemann Tomas Mars hat den vielleicht schönsten Auftritt: Die Mitglieder von Phoenix spielen die Köche des Hotels und covern "Alone on Christmas Day" einen vergessenen Beach Boys Song, der seither in meinem Kopf rotiert.
"A very Murray Christmas" gibt es auf Netflix zu sehen
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Doch es bleibt nicht bei der improvisierten Feier und melancholischen Weihnachtssongs im Schatten eines Martini-Glases. In einem Fiebertraum tanzt Bill Murray mit Miley Cyrus über eine Weihnachtswunderwelt-Showbühne. George Clooney bewegt immerhin die Lippen zum Refrain und das Rockettes-Fernsehballett schwingt die Beine. Schöner ist Kunstschnee nie gerieselt. Wo Coppola und Murray kollaborieren, da ist kein Platz für falsche Sentimentalitäten oder verkitschten Feiertagspomp. Es gibt keine wirkliche Geschichte hier, aber doch mehr als nur eine Song/Sketch-Melange, es regiert weder die Ironie allein, noch will Sofia Coppola um Himmels Willen eine Botschaft verbreiten. "A Very Murray Christmas" schwankt im Tonfall, ist weihnachtsskeptisch und weihnachtlich zugleich und vielleicht deswegen so verwirrend charmant, kein Lost in Salvation und gerade deswegen: Hooray for Murray.