Erstellt am: 17. 12. 2015 - 15:42 Uhr
Archaische Verliese
Es gab eine Zeit, da waren Computer nicht im Stande, Grafik darzustellen - einfach, weil es technisch noch nicht möglich oder nicht leistbar war. Das einzige, was es damals gab, waren die Standard-Computerschriftzeichen, also Buchstaben, Ziffern und Sonderzeichen. Dass man auch damit Bilder zaubern kann, beweist unter anderem ein Spiel, dass es bereits seit fast dreißig Jahren gibt und immer noch eine treue Fangemeinde hat. "Nethack" ist als unkommerzielles Spiel von Programmierern aus aller Welt übers Internet erstellt worden - deshalb auch das Wort "Net" im Namen. Das war bereits im Jahr 1987, zu einer Zeit also, als das WWW noch nicht erfunden und Datenübertragungsraten - sagen wir mal - gemächlich waren.
Die bis vor kurzem aktuelle Version von "Nethack" stammte aus dem Jahr 2003. Jetzt allerdings, zwölf Jahre später, ist wieder ein Update erschienen. Ein guter Anlass, um mich endlich mal in die archaischen Dungeons von "Nethack" zu wagen.
Stichting Mathematisch Centrum and M. Stephenson
Ich gebe meinen Namen ein und sehe daraufhin verschiedene Schriftzeichen auf einem schwarzen Hintergrund. Keine schicke Animation begrüßt mich, kein Pieps ertönt. Stattdessen ist da ein Infotext auf der rechten Seite und Informationen über meine Spielfigur weiter unten. Doch es ist alles so klein, dass ich mir beim Lesen schwer tue. Also kurz ins Online-Handbuch schauen und herausfinden, wie sich die Schriftgröße ändern lässt. Das geht so: Konfigurationsdatei im Texteditor öffnen, ein bisschen die Befehle studieren, ein paar Zahlen neu setzen. Mit ein wenig Geduld alles kein Problem, in Zeiten von bequemen Apps und leicht bedienbaren Computerspielen aber doch ziemlich ungewohnt.
Zurück im Spiel sieht nun alles ein bisschen einladender, also besser lesbar aus: Ich bin ein tapferer Abenteurer und soll für eine mysteriöse Gottheit ein legendäres Amulett besorgen, das tief im Verlies versteckt ist, heißt es. Abenteurer? Verlies? Alles, was ich sehe, sind graue Linien, Punkte und Symbole. Ich drücke die Pfeiltasten. Ein @-Symbol bewegt sich. Das bin dann wohl ich.
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"Nethack" ist anno 2015 ein herrlicher Anachronismus. Ein sperrig wirkendes Spiel, das nicht jedem gefallen möchte, aber viel zu bieten hat, wenn man sich darauf einlässt. Also konsultiere ich erneut das Handbuch, wo gut dokumentiert erklärt steht, was diese Zeichen alle bedeuten: ein Plus-Zeichen ist eine Tür, ein Prozent-Zeichen etwas Essbares, eine blaue, geschwungene Klammer eine Wasserquelle. Begleitet werde ich von meinem treuen Hund - ein kleines d.
Ich erforsche den Dungeon mal ein bisschen, öffne (und trete!) Türen, finde etwas Gold, erschlage Ratten. Aber wenn ich eine Waffe ausrüsten möchte? Von der Wasserquelle trinken? Etwas zu mir nehmen? Für jede Tätigkeit gibt es in "Nethack" einen eigenen Befehl, zum Beispiel e für "eat" und dann den entsprechenden Buchstaben für das Ding, das ich essen möchte. Ich lasse das Handbuch also am besten mal geöffnet - so lange, bis ich mir die wichtigsten Befehle gemerkt habe.
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Das klingt erst mal alles recht mühselig, doch eigentlich ist "Nethack" nicht sonderlich schwierig zu erlernen, wenn man die krude Darstellung mal akzeptiert und verstanden hat. Auch die wichtigsten Befehle hat man sich schnell gemerkt und kann sich damit auf das Wesentliche konzentrieren: Was sind das hier für Schriftrollen? Wie komme ich zu einer besseren Waffe? Und wie viele kleine Geschichten sind hier eigentlich versteckt? Denn fast jeder Gegenstand und jedes Monster in "Nethack" ist von den Entwicklern liebevoll mit dazu passenden Zitaten aus diversen Büchern versehen worden.
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Die neue Version von "Nethack" ist in erster Linie eine grundlegende Überarbeitung des mittlerweile doch recht angestaubten Programmcodes aus den späten 80er Jahren. Aber etwa auch einige Hommagen an den im März verstorbenen Fantasy-Autor Terry Pratchett sind in der neuen Version des Spiels zu finden. Die Fangemeinschaft von "Nethack" ist seit Jahren eingeschworen. Das geht manchmal so weit, dass jemand für das ansonsten stumme Spiel einen eigenen Song schreibt.
Mehr Rogue-likes?
Kollege Rainer Sigl hat erst kürzlich über das Wesen von Rogue-likes geschrieben und eine Übersicht über einige empfehlenswerte Vertreter erstellt.
"Nethack" zu spielen ist in Zeiten von bombastischer audiovisueller Präsentation etwas ganz besonderes, fast schon ein bisschen subversiv. Das archaische Rollenspiel bzw. Rogue-like beweist, dass spannende, interaktive Geschichten nicht zwingend Bilder und Töne brauchen. Außerdem kommt man sich nach einer Weile wie ein ziemlich talentierter Hacker vor, wenn man vor seinen ahnungslosen Mitmenschen kryptische Befehle in ein seltsam aussehendes Computerprogramm eingibt. Da fällt es dann gar nicht auf, dass uns schon wieder ein Stein auf den Kopf gefallen ist oder wir gerade von einem Goblin verspeist worden sind.
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