Erstellt am: 16. 12. 2015 - 19:24 Uhr
"Ich will alles zurückgeben"
Es ist schon eine schräge Kombination: so österreichisch-bürgerlich und verschlafen die Nachbarschaft in Wien-Untersievering anmutet, so lebendig und international zusammengewürfelt ist die WG der jugendlichen Flüchtlinge im Georg Danzer Haus. In der Villa mit ihren Stuckdecken und meterhohen Räumen herrscht entspannte Wochenend-Stimmung. Drinnen höre ich ein Stimmengewirr, Lachen, aus der Küche duftet es würzig nach gebratenem Faschierten.
FM4 / Claudia Unterweger
FM4 für Licht ins Dunkel
FM4 unterstützt in diesem Jahr im Rahmen von Licht ins Dunkel die Georg Danzer Häuser, die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ein neues Zuhause in familienähnlicher Struktur geben. Auch du kannst mithelfen.
Betreuer Abdul Basir Faryabi und die anderen Hausbewohner heißen mich willkommen, sie bereiten gerade das Mittagessen vor. Am Wochenende hat die Köchin frei, daher steht heute einer der Jugendlichen, der 17-jährige Husein am Herd. Er kocht Sanieh, ein Nationalgericht aus seiner Heimat Syrien. Übernommen haben die Burschen den Kochdienst von Abdi, wie die BewohnerInnen des Georg Danzer-Hauses ihren Betreuer Abdul Basir Faryabi liebevoll nennen. Anfangs hat er oft afghanisch gekocht. "Ich bin ein Allrounder", lächelt Abdi. Er kocht und putzt mit den Jugendlichen, verbringt mit ihnen ihre Freizeit beim Schwimmen, Fußball- oder Billardspielen, lernt mit ihnen Deutsch, vermittelt bei Konflikten. Als Dolmetscher ist Abdi im Haus unersetzlich, denn er spricht sieben Sprachen, darunter Arabisch, Kurdisch, Farsi und Dari, die Amtssprache Afghanistans. Abdi ist zur Vertrauensperson der zwölf Burschen geworden, die alle aus Afghanistan und Syrien geflüchtet sind.
FM4 / Claudia Unterweger
Was Flucht für Minderjährige bedeutet, weiß Abdi aus eigener Erfahrung. Vor sieben Jahren ist er als 16-Jähriger alleine aus Afghanistan geflohen. "Damals konnte ich mein Leben nicht packen", erzählt er nüchtern, als er mich durchs Georg Danzer-Haus führt. 12.000 US-Dollar hat sein Vater für Abdis Flucht bezahlt, der Schlepper hat ihn nach Österreich geschickt. Anfangs wusste er nicht, wo er hingebracht werden würde, Passanten zeigten ihm den Weg zur nächstgelegenen Caritas. Doch die Odyssee nahm kein Ende: von Thalham nach Traiskirchen, danach in die Steiermark und nach Wien. Alle paar Monate musste Abdi weiter, von einer Flüchtlingsunterbringung zur nächsten.
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Das Radioporträt von Betreuer Abdi Faryabi für 7 Tage im FM4 Player
"Als ich nach Österreich kam, ohne Vater und Mutter, war das für mich extrem schwer. Ich kannte mich nicht aus, konnte nicht einmal kochen. Ich wusste nicht, wie ich mein Gewand waschen sollte. Ich hatte keine Ahnung, wie es weiter geht, ob ich eine Zukunft haben würde. Damals war ich verzweifelt. Aber ich hab wenigstens einen Betreuer gehabt, der mir geholfen hat. Das will ich heute zurückgeben. Wenn die Jugendlichen verzweifelt sind, dann will ich ihnen helfen. Ich weiß, was die durchmachen müssen, ganz ohne Familie. Was ich von anderen bekommen hab, geb ich alles wieder zurück."
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Abdul Faryabi schloss die Hauptschule ab und träumte von einer Stelle als Elektrotechniker. Ein Jahr HTL, danach ein Job in einem Hotel, doch immer wieder wurde Abdi arbeitslos. Bis ihn sein Trainer zum Georg Danzer-Haus schickte. Seit April betreut der 23-Jährige nun unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. "Ich könnte mehr in einem anderen Beruf verdienen", weiß Abdi, "aber ich finde es toll, mit den Burschen zu arbeiten."
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Auf unserem Weg durch das Georg Danzer-Haus stellt mir Abdi Faryabi die Jugendlichen vor. Sie zeigen stolz ihre Zeichnungen her, plaudern mit mir über den FC Barcelona und Austria Wien. Ich darf einen Blick in den Fitnessraum im Keller werfen und bekomme einen Martial Arts-Film erklärt, den die Jungs gerade streamen. "Wir sind eine Familie." Diesen Satz habe ich im Vorfeld des Besuchs über das Georg Danzer-Haus gelesen - und ich fange an, ihn zu glauben.
Abdi verbringt viel Zeit mit den Jugendlichen. Zwei bis drei mal die Woche ist er auch über Nacht mit den Burschen im Haus. Als ich ihn frage, wie er es schafft, sich auch mal von den Problemen der Burschen abzugrenzen, blickt er mich groß an. Er habe nie das Gefühl gehabt, dass es ihm zu viel wird. "Ich will für die Jungs da sein. Ich will, dass sie zufrieden und gesund sind. Dass sie einen Beruf erlernen, und nicht denselben harten Weg gehen müssen wie ich. Ich möchte, dass sie schnell Deutsch lernen und selbständig werden können. Das ist mein Ziel."
Georg Danzer Haus
"Sie brauchen Chancen", sagt Marianne Engelmann, die Mitbegründerin der Georg Danzer-Häuser. Ehemalige jugendliche Flüchtlinge sollen eines Tages die Häuser übernehmen und selbst führen, sagt Engelmann. Die Leiterin hat Abdis Potential erkannt und es gefördert. "Abdi geht auf in seiner Aufgabe, und die Jugendlichen lieben ihn", sagt sie. "Und ich liebe die Marianne", ergänzt der 23-Jährige verschmitzt.
Für die nächsten Jahre wünscht sich Abdul Faryabi, dass noch weitere Georg Danzer-Häuser eröffnet werden und die Zahl der betreuten Jugendlichen steigt, "von derzeit 48 Teenager auf 480", wie er sagt. "Ich will keinen einzigen Jugendlichen in Traiskirchen sehen. Ich will, dass wir alle Burschen aus Traiskirchen rausholen."
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