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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

17. 12. 2015 - 12:05

Bis zum Meeresgrund

Mehr Charakterstudie als Graphic Novel ist "Schwere See, mein Herz" von Olivia Vieweg. Stellt sich die Frage: Für wen sind Coming-of-Age-Geschichten eigentlich?

"Schwere See, mein Herz" von Olivia Vieweg ist im Suhrkamp Verlag erschienen.

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Ob man sich mit zwölf ein Comic kaufen würde, das auf dem Buchrücken als Coming-of-Age-Geschichte angekündigt wird? Überzeugend ist eher anderes, allen voran die Bilder. Die deutsche Autorin und Illustratorin Olivia Vieweg zeichnet Comics seitdem sie zehn Jahre alt ist und zum ersten Mal Mangas in die Hände bekommen hat. "Manga", das bedeute ja erstmal nur verrücktes Bild, erklärte sie in einem Interview. In Viewegs jüngstem Band "Schwere See, mein Herz" schaut man in viele Gesichter.

Mit drei, vier Strichen für Augenbrauen, Nase und Mund skizziert Vieweg ihre Charaktere. Die Augen ihrer Figuren bilden zwei Kreise und Punkte. Dennoch hat jedes Gesicht einen eigenen Ausdruck. Damit zollt Vieweg, 1987 in Jena geboren, der emotional turbulenten Zeit der Pubertät Tribut, um die sich in "Schwere See, mein Herz" alles dreht. Dabei ist die erzählte Geschichte in keinster Weise peinlich. Vielleicht jedoch niedlich.

Die Illustratorin und Autorin Olivia Vieweg trägt eine Brille

Suhrkamp Verlag

Der Suhrkamp Verlag hat Olivia Vieweg schon einmal mit einer Graphic Novel beauftragt: Mark Twains Literaturklassiker "Die Abenteuer des Huckleberry Finn" hat sie sehr gegenwärtig adaptiert und in die Stadt Halle an der Saale versetzt. Die Heidi in ihrer jüngsten Veröffentlichung "Schwere See, mein Herz" lebt nicht auf der Alm und nicht bei ihrem Großvater. Olivia Vieweg erzählt diesmal eine Geschichte ohne Vorlage. Bis auf den Titel: Den gleichnamigen Song von Element of Crime gab es vor dem Comic.

Die Protagonistin Heidi wohnt an der Nordsee, mit Vater, Mutter, Bruder und Haushund. Vor allem der Hund ist Heidis ständiger Begleiter. Mit dem wuscheligen Tier zieht es das Mädchen nach der Schule an den Hafen. Heidi feiert bald ihren dreizehnten Geburtstag und mit ihrer Mitwelt tut sie sich schwer. Diese Heidi ist einfach mal da. Sie vollbringt keine Heldentaten. Sie hockt mit ihrem Wollknäudel von Hund in der Ecke, während die Musik utzt und MitschülerInnen tanzen.

Ihre Welt ist die See

Olivia Vieweg braucht nicht viele Worte, um klar zu machen, dass Heidi aus finanziell ärmeren Verhältnissen stammt und ihr Schularbeiten zu schaffen machen. Unter den Mitschülern gibt es ein komplexes System von Geben, Nehmen und Unterdrückung. Heidi bastelt Flaschenschiffe und hat sich ein Fachwissen über moderne Hochseefischerei angeeignet. Damit kann sie bei ihren Altersgenossen nicht punkten.

Bis zum zehnten, elften Lebensjahr lesen Kinder vorwiegend über realistische Erlebnisse und Begebenheiten in ihrer Welt. Danach wenden sie sich verstärkt der Außenwelt zu - was sich auch in den Büchern niederschlägt. Sie fordern Geschichten, in denen Abenteuer mit Handlungen und Spannungselementen im Vordergrund stehen. In dieser Entwicklungsphase wird man sich allmählich seiner eigenen Persönlichkeit bewusst. Ab zehn identifiziert man sich nicht mehr nur mit einem Charakter, sondern es gelingt, wechselnde Perspektiven zu begreifen. "Schwere See, mein Herz" bleibt an Heidis Seite.

Olivia Vieweg hat die Drehbuchwerkstatt München absolviert und 2015 eine Drehbuchfassung ihrer Graphic Novel "Endzeit" geschrieben.

Auf einigen der 116 Seiten wellt sich schließlich die See. Mintgrün, schwarz und weiß ist der Band gestaltet. Mit Bleistift oder Tusche mit Farbe entstehen Viewegs Arbeiten, jede Seite auf einem Din-A3-Blatt. Am Computer erfolgt der Feinschliff.

Um einer Graphic Novel gerecht zu werden, erzählt Vieweg diesmal eine zu kurze Geschichte. Aber "Schwere See, mein Herz" ist eine liebe, verträumte und zugleich kluge kleine Geschichte über die Zeit zwischen Kindheit und Jugend, an die man im Rückblick kaum Erinnerung hat und in der die eigene Fantasie großartig ist.