Erstellt am: 16. 12. 2015 - 16:10 Uhr
Die bulgarische Nostradamus
Mit Akzent
Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov. Im Radio und auch als Podcast zum Anhören.
"Die Leiden des jungen Todor"
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Vor einigen Tagen konnte ich auf einer deutschen Nachrichtenseite lesen, dass die bulgarische Wahrsagerin Baba Vanga einen islamistischen Krieg in Europa im Jahr 2016 prophezeit hatte. Laut der Seite habe Baba Vanga wohl die Entstehung des IS gemeint. Die Nachricht über Baba Vanga schaffte es gleich auf einige Nachrichtenplattformen in ganz Europa.
Vanga wurde 1911 geboren. Als sie 12 Jahre alt war, geriet sie in einem Wirbelsturm und wurde schwer verletzt, wodurch sie - bis sie 16 wurde - nach und nach völlig erblindete. Nach dem Unglück fing Vanga aber an, in die Zukunft zu sehen. Zuerst half sie ihrem Vater ein verlorenes Schaf zu finden, indem sie genau den Ort beschrieb, wo sich das Schaf befand. Im Zweiten Weltkrieg half sie dann Menschen, ihre verloren geglaubten Verwandten zu finden, indem sie genau beschrieb, wo und wie sie gestorben waren und wo sie vergraben liegen. Man sagt, dass Baba Vanga auch den Einmarsch der Wehrmacht in Jugoslawien genau vorausgesagt habe.
CC BY-SA 3.0, wikipedia.org, bg:User:Пакко
Im Kommunismus wurde der Glaube an Esoterik in Bulgarien offiziell verboten, doch das Regime hat Vanga oft für Ziele der Partei instrumentalisiert. Die Menschen, die sie besuchen durften, wurden von den Parteifunktionären und von der Staatssicherheit gründlich überprüft und ausgesucht. Baba Vanga stand auch Ludmilla, der Tochter des kommunistischen Führers Bulgariens Todor Zhivkov, sehr nah.
Vor ihrer Wohnung in der kleinen südbulgarischen Stadt Petritsch standen immer Menschen Schlange, um Vanga zu treffen. Meistens waren das verzweifelte Leute, die ihren Glauben an die Medizin, an die Volksmiliz (wie man damals die Polizei nannte) und das Gericht verloren hatten. All diese Menschen erwarteten von der Wahrsagerin ein Wunder: Heilung, das Auffinden von verlorenen Menschen oder das Aufdecken von Morden. Vor einigen Jahren hat ein russischer Fernsehsender einen mehrteiligen Dokumentarfilm über Baba Vanga gemacht. Im Film wurde der mystische Glaube der Russen ans Schicksal gezeigt. Denn: Worauf kann man eigentlich im Leben hoffen, wenn nicht auf ein Wunder?
Ich kann mich an Baba Vanga schon in meiner Kindheit erinnern. Sie war oft im Fernsehen zu sehen. Sie sprach in schwammigen Metaphern und mit einem sehr starken Dialekt und ich verstand kaum, was sie sagte. Aber als ihr blindes Gesicht im Fernsehen erschien, hörten ihr alle zu. Alle warteten auf die nächste Prophezeiung. Sie wollten wissen, wann der Übergang vom Sozialismus in den Kapitalismus vollendet sein wird, wann die Strompreise erhöht werden und ob die bulgarische Fußballnationalmannschaft das nächste Spiel gewinnen wird.
Die Erwachsenen deuteten ihre Worte immer anders und immer ihren eigenen Wünschen nach. Doch der Glaube, dass alles vorgeschrieben ist, dass eine unsichtbare Kraft unser Leben leitet, schien den Menschen zu helfen.
CC BY 2.0, flickr.com, User: Keoni Cabral
Dass sich heute westliche Medien für die Prophezeiungen von Baba Vanga interessieren, ist eigentlich ziemlich aufschlussreich. Denn der Glaube an die eigenen Kräfte, mit den Problemen zurecht zu kommen, schwindet immer mehr.
Man sagt, dass Baba Vanga den 11. September, das Unglück in Fukushima, das Schmelzen der Polarkappen, sowie das Sinken des russischen Atom-U-Boots "Kursk" vorausgesagt habe. Ihre Prophezeiungen reichen bis zum Ende der Menschheit, das 3797 kommen werde.
Baba Vanga starb übrigens 1996.