Erstellt am: 15. 12. 2015 - 19:00 Uhr
Gott im Kindergarten
Jahrelang wird KindergartenpädagogInnen kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Rufe nach einheitlichen Aus- und Fortbildungsregelungen, sowie nach mehr Qualität blieben stets ungehört. Dann behauptet eine Studie, dass in muslimischen Kindergärten in Wien Indoktrinierung betrieben werde. Kindergärten und PädagogInnen erhalten plötzlich jede Menge Beachtung und der Ruf nach mehr Qualität und Kontrollen wird laut. Besorgte Bürger sind besorgt.
Die umstrittene "Vorstudie" und die Vorwürfe
Der Wissenschaftler Ednan Aslan erhebt in seiner umstrittenen "Vorstudie" den Vorwurf, dass es in Wien rund 150 muslimische Kindergärten und rund 450 muslimische Kindergruppen geben soll.
Weiters behauptet der Wissenschaftler, dass "ein nicht gering zu schätzender Teil der islamischen Kindergärten neben den offiziellen Konzepten ein Sonderprogramm zur religiösen Erziehung anbietet, das die Kinder nicht für die Gesellschaft vorbereitet, sondern die Kinder vor der Gesellschaft bzw. den gesellschaftlichen Werten schützen soll." Der erste Teil dieser Behauptung stimmt. Der zweite Teil ist Ansichtssache. Aber weiten wir unseren Blick ein wenig aus.
Religion im Kindergarten keine Seltenheit
Tatsächlich gibt es in Wien nämlich zahlreiche Kindergärten, die Religion an die Kinder vermitteln. Meist, weil die Eltern das wünschen, oder diese zumindest nichts dagegen haben.
Das beschränkt sich aber nicht nur auf muslimische Kindergärten. Um es mit den Worten Aslans zu sagen, steht nämlich ein nicht gering zu schätzender Teil der Kindergärten in Wien zum Beispiel unter katholischer Obhut - 12 Prozent aller Kindergärtenplätze werden von katholischen Einrichtungen getragen.
Auch die evangelische Diakonie betreibt Kindergärten und nicht zuletzt gibt es auch einen jüdischen Kindergarten am Campus der Zwi-Perez-Chajes-Schule. Der jeweilige Glaube spielt in all diesen Kindergärten mehr oder weniger eine Rolle. In vielen Fällen ist das religiöse Programm außerdem optional - auch in muslimischen Kindergärten.
Die offiziellen Zahlen
Insgesamt gibt es in Wien rund 83.500 Kinder im Alter zwischen 0 und 6 Jahren, die Kindergärten oder Kindergruppen besuchen. Diese sind aufgeteilt auf rund 350 städtische Kindergärten und zirka 1.600 private Einrichtungen.
Hier eine Übersicht, welche Trägerorganisationen wie viel Prozent der Plätze anbieten. Die Stadt Wien stellt die meisten Kindergartenplätze bereit. Insgesamt bieten fünf Organisationen (inklusive der Stadt Wien) fast zwei Drittel der Plätze an.
Laut Abteilungsleiterin Daniela Cochlár von der Magistratsabteilung 10 gibt es in Wien an die 600 Kindergruppen mit einer Kapazität von rund 8.500 Plätze. "Wir erheben die Trägerorganisationen nicht nach Glaubenszugehörigkeit und können daher keine Anzahl von 'muslimischen Kindergärten' definieren, aber selbstverständlich gibt es Trägervereine, die der muslimischen Community nahe stehen können", so Cochlár.
Ginge man allerdings von Aslans Behauptungen aus, wären drei Viertel der vorhandenen Kindergruppen muslimisch geprägt. Zudem schreibt Aslan, dass sich 10.000 Kinder in "islamischen Einrichtungen" befinden. Das wären letzlich rund ein Fünftel der privat angebotenen Plätze. Laut Cochlár sind diese Zahlen auf Basis der vorhandenen Daten nicht nachvollziehbar.
Was bleibt?
Aslan wird nun vorgeworfen, dass die umstrittene "Vorstudie" nicht fundiert geschrieben ist, die Methode nicht erklärt und viele Fragen offen lässt. Bisher wollte Aslan auch keine konkreten Daten an die zuständige Stadträtin Sonja Wehsely weitergeben.
Die Studie facht aber zumindest eine allgemeine Debatte über die Qualität von Kindergärten und -gruppen an. Außerdem wirft sie die Frage auf, ob und wie viel Religion - egal welcher Konfession - Kindergartenkindern gut tut. Zum Glück - oder "Gott sei dank"!