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Anna Katharina Laggner

Film, Literatur und Theater zum Beispiel. Und sonst gehört auch noch einiges zum Leben.

18. 12. 2015 - 07:00

Pflaumenwein und Junggemüse

Der japanische Film "Unsere kleine Schwester" verknüpft auf wundersame Weise Erwachsenwerden, Essen und Erinnerungen.

Kinder, auf sich allein gestellt. Davon hat der japanische Regisseur Hirokazu Kore-eda bereits 2004 erzählt: in "Nobody Knows" lässt eine junge Mutter ihre vier Kinder in einer Wohnung zurück. Der 12-jährige Akira, der älteste der Geschwister, übernimmt die Verantwortung und fortan leben die Kinder in einer von aller Realität und Normalität entrückten Welt zusammen und sorgen füreinander.

Kore-eda Hirokazu hat sich einen Namen für Familiendramen gemacht, konkreter: sich auf die Lücken und Fehlstellen innerhalb von Familien spezialisiert. Erinnerungen beschäftigen ihn schon viel länger: in "After Life" (auch bekannt als "Wonderful Life") werden 22 gerade verstorbene Menschen im Jenseits dazu angehalten, die glücklichste Erinnerung ihres Lebens auszuwählen. Aus dieser Erinnerung drehen sie einen Film und dürfen (oder viel eher: müssen) darin in alle Ewigkeit leben. "After Life" ist ein verschrobenes Stück Kino, dabei eines meiner liebsten, aber bei Weitem nicht so zärtlich (mit seinem Publikum) wie die jüngeren Filme von Kirokazu Kore-eda.

Hatte sein letzter Film "Like Father, Like Son" über zwei Ehepaare, die herausfinden, dass ihre sechs-jährigen Kinder bei der Geburt vertauscht wurden, noch ein paar Seelenkratzer, so ist "Unsere kleine Schwester" ein Film, der einen fast streichelt.

die drei schwestern um den frühstückstisch

Stadtkino Filmverleih

Die drei Schwestern Sachi, Yoshino und Chika sind zwischen 20 und 30, leben gemeinsam in einem alten, großen Holzhaus und jedes Jahr machen sie Pflaumenwein. Ihre Tage beginnen morgens rund um den viereckigen Holztisch im Wohnzimmer mit einem Frühstück, ein paar Scherzen und Erziehungsmaßnahmen (die Älteste zur Jüngsten: "Iss deinen Reis nicht so gierig!"), jede geht ihrer Arbeit nach (die Mittlere: "der langweiligste Job lässt sich ertragen, wenn man verliebt ist."), am Nachmittag trifft man sich wieder im Wohnzimmer, öffnet die Schiebetür hinaus in den Garten, schaut, wie sich die Pflaumen entwickeln. Die jüngste Schwester beendet den Tag mit Luft-Karpfenfischen, wiederum am Esstisch.

In diese geschwisterliche Komplizenschaft (die keine Frage von Sympathie ist, sondern der Tatsache geschuldet, dass man Teil voneinander ist) gesellt sich, zögerlich tastend, bis sie selbst organischer Teil der Komplizenschaft wird, eine 13-jährige Halbschwester. Sachi, Yoshino und Chika lernen sie beim Begräbnis des Vaters, der die Mutter wegen einer anderen Frau verlassen hat, kennen.

die 13-jährige halbschwester beim zwetschken pflücken

Stadtkino Filmverleih

Den alljährlich produzierten Pflaumenwein vom alten Baum im Garten lagern die Schwestern unter einer der Holzdielen in der Küche. Als die Mutter, die ihren Verlassensschmerz nie überwunden und sich den Kindern entfremdet hat, zu Besuch kommt, schenkt ihr die älteste Tochter eine Flasche Wein, die noch von der verstorbenen Großmutter übrig ist. Es kommt zu keiner versöhnenden Aussprache, die Geste genügt.

Praktisch jede Szene dieses Films enthält Essen oder Trinken: die Schwestern diskutieren Zubereitungsarten, Lieblingsspeisen und die damit verknüpften Erinnerungen. Tatsächlich sprechen sie über Familienbande. Und eine kichert immer.

In all seiner Zärtlichkeit kippt „Unsere kleine Schwester“ manchmal in Rührseligkeit, doch was auch immer Hirokazu Kore-eda mit Streichermusik und Fadeouts bezwecken will, romantische Verklärung oder zarte Überhöhung, es ist Teil dieses Familienkosmos, beziehungsweise macht ihn erst dazu.

So kann man die fragend in die Ferne und gen Himmel blickenden Schwestern als Märchenfiguren nehmen, die uns davon erzählen, dass das Glück auf Erden nicht ein einzelner Moment ist. Sondern viel eher: genießen zu können.