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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

15. 12. 2015 - 13:59

The daily Blumenau. Tuesday Edition, 15-12-15.

Die Kunst des Verscheißens. Ein paar falsche Entscheidungen, und die Entwicklung des österreichischen Fußballs kann schnell wieder um Jahre zurückgedreht werden.

#fußballjournal15

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Das ist Teil 1 einer Jahresbilanz, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht. Die entsprechenden Erfolgs- und Teilerfolgsgeschichten lassen sich eh nachlesen:

18.11.: Dringend nötige Niederlagen: Analyse des 1:2 gegen die Schweiz und des 2:4 der U21 in der EM-Quali gegen Deutschland

17.11.: Die brüchige Basis der U21 und das U20-Problem

13.10.: Was Österreichs Fußballvertreter bei der Euro 16 erwartet

10.9.: Was fehlt der Liga zum Weg in die Topklasse?

9.9.: Warum klappt jetzt, was lief jahrzehntelang schief? Ursachenforschung zur EM-Qualifikation des ÖFB-Teams

Es läuft.
Alles klappt!
Und das Gefühl angekommen zu sein macht sich breit. Nimmt man den Ist-Zustand - völlig zurecht: Weltranglisten-Topplatz, Gruppensieg in EM-Quali und Euro League, Alaba-Entwicklung, Legionärs-Qualitätsschub, Junioren-Erfolge... Die Basis dafür, dort, wo man gerade angekommen ist (mitten im "richtigen", ernstgenommenen Fußball-Europa) auch verweilen zu können, ist geschaffen.

Doch die - nach Jahrzehnten muffigsten Tiefstands innigst herbeigesehnten - Hochglanz-Momente, die uns dieses Jahr überflutet haben, sind flüchtig. Die gelegte Basis ist keineswegs stabil. Das kann sie auch noch nicht sein: der aktuelle Status ist eben erst errungen worden, also ungefestigt und da und dort mit Bruchstellen versehen.

Die grundlegende Mentalität der österreichischen Sportöffentlichkeit (also der gesamten Branche, der Player, der Medien, aber auch des Publikums) ist nicht mehr so manisch-depressiv, wie sie noch vor zwei, drei Jahren war, als jeder kleine Erfolg zum Welttitel hochgegrölt wurde und der danach logische Backlash zum Weltuntergang. Fußball-Österreich lebt nicht mehr im Konjunktiv, im hättiwari-Modus, sondern entdeckt die Realität. Tugenden wie Gelassenheit und Demut haben Einzug gehalten und den klassischen Fatalismus auf die Tribüne gesetzt.

Und auch das lokalchauvinistische Grundprinzip, sich vom Ausland nix sagen lassen zu wollen, ist durchbrochen: Der Großteil der wichtigen Entwickler (egal ob beim ÖFB oder in Salzburg) gehört nicht zu den entwicklungsblockierenden heimischen Seilschaften - und genießt trotzdem (oder zunehmend gerade deshalb) öffentlichen Rückhalt. Das aber auch hauptsächlich, weil ein opportunistischer Medienmainstream es gerade für gut befindet.

Also auch hier: eine brüchige Basis.
Österreich denkt und handelt, was Entwicklungsentscheidungen betrifft, auch dort ultrastrukturkonservativ, wo man Risiko vermuten würde; es gibt eine klassische Kultur des Verscheißens. Des Nicht-Verwertens von aufgelegten Bällen, des fehlenden Nachdrucks, einer vorschnellen Selbstzufriedenheit. Ich habe das unlängst am Beispiel von Rapid durchgespielt.

Es ordentlich zu verkacken, das kann jedem passieren, der erstmals seit über 80 Jahren wieder an der Weltspitze mitschnuppert. In Österreich ist die Gefahr wegen des Phänomens vorschnell eintretender Sorglosigkeit besonders hoch. Und im Bereich des Fußball potenziert sich die Gefahr, weil die Kräfte der Reaktion, die die letzten Jahrzehnten kein Problem damit hatten, alles zu verscheißen, solange sie dabei Posten, Pfründe und Gelder abgreifen konnten, ja immer noch im Spiel sind. Wenn dazu dann auch Entscheidungen kommen, die Partikular-Interessen vertreten oder schlicht irrational sind, kann alles, was in den letzten Jahren mühsam aufgebaut wurde, ebenso schnell wieder in sich zusammensacken.

Beispiel gefällig?

Wenn in den nächsten Wochen in der Fuschler Red Bull-Zentrale eine (durchaus im Raum stehende) Entscheidung für einen Wechsel der Grundsatz-Philosophie gefällt wird...

Wenn sich im Sommer in einer Nachfolge-Kür für den Teamchefposten (der nach Marcel Kollers Abgang zu, say, Chelsea vakant ist) eine heimische Seilschafts-Lösung durchsetzt, was in der Struktur der Bestimmer eigentlich angelegt ist...

Wenn die Bundesliga ihre eigenen, frischbeschlossenen verschärften Lizenz-Bedingungen durch Ausnahmeregelungen aufweicht und/oder die massiven Probleme seiner zweiten Leistungsstufe nicht repariert...

... dann könnten innerhalb von Jahresfrist diverse Motoren ins Stocken kommen und Österreichs Fußball auf Vereins und Verbands-Ebene in wenigen Jahren auf einen unteren Mittelfeld-Platz zurückfallen.

Eine Handvoll falsche Entscheidungen, die negative Impulse in die Nachwuchsarbeit senden, das Nationalteam schwächen, die Infrastruktur-Entwicklung der Vereine verlangsamen und vor allem jede Menge falsche Nachfolgeentscheidungen verursachen, reichen dazu aus.

Auch weil sie diejenigen, die sich maximal per Sonntagsrede für ein wenig Modernität interessieren, die aktuelle Hausse aber nicht mitgestalten, sondern aussitzen wollen. Die Fans von Sturm Graz haben jüngst, in einer spektakulären Transparent-Aktion alle Zutaten für diesen Mix der Lösungsverweigerung auf den Punkt gebracht: Kritikresistenz, wegen schwacher Leadership nicht umgesetzte Alibi-Konzepte, Medien-Verhaberung, Pseudo-Scouting, Nicht-Förderung des eigenen Nachwuchses, rückschrittlich-unattraktive Spielsysteme, interne und externe Kommunikationslosigkeit, Stallgeruch-vor-Kompetenz-Personalpolitik etc.

Alles issues, die jede soziale Gemeinschaft kennt und nie zur Gänze abstellen können wird. Aber erst die Kombination sehr vieler dieser schlechten Eigenschaften mit dem manischem Fatalismus der Sportöffentlichkeit sorgte in der Vergangenheit dafür, dass daraus ein kaum noch bewältigbares Problem-Knäuel wurde. Und kann in der Gegenwart (und Zukunft) ganz schnell dafür sorgen, dass die aufkeimenden Tugenden (wie die systemorientierte Jugendarbeit, die beflissene Taktikschulung, die gesundende Infra- und Ligenstruktur etc...) vom Orkus der Rückwärtsorientierung verschlungen werden.

Es läuft.
Alles klappt!

Aber noch steht das ganze gutaussehende Werkl auf Eis; nicht einmal dünnem, und auch die möglichen Bruchlinien sind eher hinter als unter uns. Aber jede kleine Erschütterung kann sie näherbringen, jede falsche Aktion den Schmelzvorgang beschleunigen.

Wenn sich dort, wo die Kunst des Verscheißens seit jeher die höchste Stufe der Folklore ist, die Erkenntnis durchsetzt, dass noch nichts erreicht ist, dass es jetzt gilt (um in meinem schiefen Bild zu bleiben...) das ganze gutaussehende Werkl vom Eis auf sicheres Land zu bringen, erst dann wird aus "es läuft" ein "gut gelaufen" werden können.