Erstellt am: 14. 12. 2015 - 14:44 Uhr
Guter Hype
Wie man in England bekannt wird? Am besten wartet man ab bis eine große kontroverse politische Figur stirbt, bei der die Regierung am liebsten Staatstrauer ausrufen würde - und organisiert dann eine Party: Die Fat White Family hat Margaret Thatchers Tod mit dem Transparent "The Witch Is Dead" begleitet, das sie aus dem Fenster des Brixtoner Pubs hängten, das der Band als "Hauptquartier" diente. Das brachte ihnen ein Titelblatt des Independent ein, der im Artikel erwähnte Saul Adamczewski ist der Gitarrist der Band.
Also doch das Spiel mit dem Hype? Obwohl sonst so leidenschaftlich in seinen Erzählungen sieht Sänger Lias Saoudi das recht trocken: "Ich denke, man muss das auch können. So erkämpft man sich das Recht auf dieser Plattform überhaupt vorzukommen - und dann muss man immer zwei Schritte voraus sein. Das Internet und all das lehrt einen, in dieser Sprache zu sprechen - wir haben immer versucht, die Dinge ein wenig durcheinander zu bringen, die Meinungen der Leute in Frage zu stellen oder sie selbst dazu zu bringen, ihre eigenen in Frage zu stellen. Und: Wenn man die Möglichkeiten sieht, die jemandem wie uns gegeben sind, muss man ein bisschen seinen eigenen Hype erzeugen. Einen, der nach unseren Vorgaben abläuft."
Gegründet von Lias Saoudi, seinem Bruder Nathan und dem Gitarristen und Songschreiber Saul Adamczewski haben sich Fat White Family stets den Idealen der Widerstandskunst ergeben: Provokant sein, unabhängig sein, Künstler sein. "Ich glaube, dass wir ein recht postmoderner Haufen sind, wir sind besessen von der Wiederholung, es steckt viel Warhol'scher Konsumismus drinnen, aber andererseits war ich auch immer interessiert daran, klare Statements zu setzen."
Fat White Family / Industrial Records
Die Fat White Family spielt am 23. Jänner auch am FM4 Geburtstagsfest in der Ottakringer Brauerei - auch dort: Bloc Party, OK Kid, Antilopen Gang und viele mehr.
Fat White Family Songs sind voll mit Anspielungen aus der Geschichte der Undergroundmusik: So ist das Coverfoto der letzten Single "Whitest Boy on the Beach" einer berühmten Gründungsplatte nachempfunden: Die Band posiert frierend auf einer Wiese und stellt exakt die Pose nach, die die Industrial Avantgarde Band Throbbing Gristle 1979 auf ihrem Album "20 Jazz Funk Greats" angenommen hat. Ob die jungen Fans der Fat White Family das überhaupt bemerken? Ob sie herausfinden dass der Titel "Bomb Disneyland" sich auf eine US-Band gleichen Namens bezieht, die wegen dieses Namens vom Disney Konzert mit Unterlassungsklagen bedroht worden ist (sie nannten sich danach "Bomb Everything")? "Ich glaube schon. Vielleicht sehen sich die jüngeren Generationen, die diese Musik überhaupt nicht kannten, das zum ersten Mal an, als ob es brandneu wäre. Ich halte es für eine gesunde Praxis, sich auf Dinge zu beziehen, die richtig gut waren, sie wieder hervor zu holen. 'Detournement' nannte man das - bereits bekannte Bildersprache neu anzuwenden. Das ist Teil unserer Praxis"
Live sieht aber auch echt anstrengend aus: Nackttanzen, Kopfrasieren, schwitzen, stinken, sich mit rohem Fleisch schlagen, Tiermasken tragen. Im Video zu "Whitest Boy on the Beach", das ursprünglich als harmloser Scherz gedacht war und sich im Licht der krisenhaften Ereignisse zum bitteren Kommentar zum Flüchtlingsgeschehen entwickelt hat, werden den Jungs die Köpfe geschoren, dann treten sie als erzwungene Skinheads auf, die die Britische Küste schützen sollen.
Die Fat White Family hat musikalisch immer in die USA der Achtziger Jahre geblickt: Man hört die Haltungen von Jello Biafra oder Henry Rollins, die Sounds der Cramps und der Butthole Surfers, die selbstorganisierende Haltung der Szenen um die Labels SST und Alternative Tentacles, die provokanten Shows von GG Allin, Oxbow oder Jesus Lizard - lauter Band gewordene Gründungsmythen aus einer Zeit, in der die Jungs noch Kinder waren. Dennoch sind ihre Äußerungen und ihre Sounds stark dieser Zeit und den USA geschuldet, als Widerstand und Dissidenz, Politik und Humor noch in eine klar erkennbare Richtung gingen, als Distinktion via Kunst zwar schon kompliziert, aber noch steuerbar geworden war, als bittere Witze und ernste politische Aussagen noch bei den richtigen Leuten an den richtigen Stellen zum Einrasten gebracht werden konnten.
Dazu kommt eine Begeisterung für den Krautrock von Faust und Can und seit neuestem auch eine Hinwendung zur "Munich Disco" der Siebziger Jahre. Und auf Fotos stilisiert man sich als bettelarme, unterernährte und zahnlose Rebellen - was wiederum keine Stilisierung, sondern auf dramatische Art authentisch ist: "Die Leute glauben, dass du es als Band irgendwie geschafft hast, weil du zweimal im Jahr durch Amerika tourst, in Wirklichkeit sind wir alle grausam pleite. Wir leben unterhalb des Mindestlohnniveaus, unterhalb des Fürsorgeniveaus. Wir bekommen auch keine Stütze, weil wir ja arbeiten …wir sind da auch wütend und verbittert, wir waren vorher verdammt arm, aber jetzt arbeiten wir alle ziemlich hart und sind immer noch arm. Wenn wir sagen die Leute sollen zum 'Takt des Menschenhasses tanzen' dann mein ich das auch so".
Fat White Family
Man hat dann den Eindruck, als ob die Fat White Family tatsächlich die einzige echte Indie-Band in ganz England wäre. Lias Saoudi entfährt ein bitteres Lachen, aber richtig bestreiten will er das nicht, hat er doch für die derzeit beherrschenden Frisurenbands der Insel nicht viel übrig – und er kennt auch den Grund für diese Wüstenei:
"Die Leute reden so über uns, das ist wirklich verblüffend und für uns auf seine lachhafte Art schmeichelhaft. Aber es spielt sich wirklich echt wenig ab. Man hat die Szene eben so lange erstickt, bis sie aufgehört hat zu existieren. Als ich nach London gekommen bin, gab es besetzte Häuser, du konntest eine zwielichtige Bude von einem zwielichtigen Vermieter um ein paar Hunderter bekommen, es war nicht schwer, eine Band zusammen zu kriegen, und mit ihr irgendwo aufzutreten. Seit 2007 haben wir 50% unserer Venues verloren, kleine und große, das Ganze existiert nicht mehr. Die Bands, die jetzt hochkommen, die posieren als Indie-Bands: Du hast die Slaves und Swim Deep und Peace und Wolf Alice und der ganze Scheißdreck, und das ist ein herausgeputzter Industrie- Hype, um irgendwelche zornigen Vierzehnjährigen zu überreden, dass es sich lohnen würde, sich das anzuhören und dass es authentisch sei - was es aber nicht ist. Es gibt derzeit so wenig authentische Independent Bands, die auf unserem Level agieren, das ist ein Witz. Und bis zu einem gewissen Grad sind wir da die einzigen, die übrig geblieben sind. In unserem Alter auf jeden Fall.“