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Pia Reiser

Filmflimmern

16. 12. 2015 - 09:24

Epochales Herzpochen

Todd Haynes erzählt von der Möglichkeit des Glücks, als sich im New York der 1950er Jahre Therese in Carol verliebt. Cate Blanchett und Rooney Mara brillieren in "Carol".

Es ist zwar nicht mehr so en vogue wie früher, sich über Weihnachtsstress und saisonbedingten Konsumrausch zu beklagen, falls jemand aber trotzdem dieser Tage ein überraschendes Gegenargument für eventuelle Matschkeranten haben will, bitte sehr: Ohne Weihnachten, ohne Geschenke einkaufen, würde es "Carol" nicht geben und was wäre das denn für eine Welt.

Im Dezember 1948 arbeitet Patricia Highsmith als Verkäuferin in der Spielzeugabteilung eines Kaufhauses in New York. Und begegnet einer Frau, die sie zu ihrem Roman "Carol" inspirieren wird. "Perhaps I noticed her because she was alone, or because a mink coat was a rarity, and because she was blondish and seemed to give off light." so schreibt Highsmith Jahre später in einem Nachwort zur Neuauflage ihres Romans. Die damals 27jährige Highsmith fühlt sich nach der Begegnung "nahe der Ohnmacht" oder als hätte sie "eine Vision gehabt". Das muss wohl Liebe sein.

Rooney Mara und Cate bLanchett in "CaroL"

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Den Entwurf, den Verlauf der Geschichte schreibt sie innerhalb von zwei Stunden, ein bisschen mehr als ein Jahr später wird der Roman - damals unter dem Titel "Salz und sein Preis" - veröffentlicht, unter einem Pseudonym. Aus ganz pragmatischen Gründen, Highsmith wollte nicht das Label " lesbian-book writer" umgehängt bekommen, sie fürchtete, dass ihr keine zweite derartige Liebesgeschichte einfallen würde. Und so war es dann auch, "Carol" bliebt Highsmiths einzige Liebesgeschichte, suspense ist das Label, das über ihrem Werk über Betrüger, Mörder und unglückliche Zufälle ansonsten schwebt. An dem Wort suspense kommt auch Todd Haynes nicht vorbei, der "Carol" verfilmt hat. "It’s a suspense film about when they’re going to get in the sack, basically.".

Christmas Carol

Die Lichtgestalt im Pelzmantel, die auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk für ihre kleine Tochter, bei der jungen Therese Bellivet (Rooney Mara) in der Spielzeugabteilung landet, ist die titelgebende Carol (Cate Blanchett). Während Bellivet mit zu kurzen Stirnfransen, in mädchenhafter Kleidung und zu allem Überfluss auch noch mit Weihnachtsmannmütze am Kopf hinter dem Tresen steht, ist Carol Laird ein Sinnbild der Perfektion. Wie sehr es auch in ihrem Inneren wanken mag, äußerlich sitzt alles, man kann auch ihr Parfum förmlich riechen. Wenn Thereses Blick an Carol quer durch den Raum hängen bleibt, müsste eigentlich die Zeit stillstehen, aber die Welt hat meistens kein Händchen für derart poetische Gesten. Todd Haynes aber schon. Und so bleibt zumindest die Spielzeugeisenbahn, der Therese so gerne nachschaut, stehen, weil Carol am Schalter ankommt. Wenn man sich verliebt, sollen zumindest Züge stehenbleiben.

Cate Blanchett in "Carol"

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Schon einmal hat Haynes einen Film in den 1950er Jahren angesetzt, "Far From Heaven" mit Julianne Moore war eine Hommage an Regisseur Douglas Sirk. Mit den schreienden Technicolorfarben und den der Welt entrückten Figuren von Sirk, hat "Carol" aber nichts gemein. Wenn sich Therese, die gern Fotografin wäre, in die (noch) mit einem wohlhabenden Mann verheiratete Carol verliebt, dann durchzieht die Bilder mit denen Haynes erzählt, mehr als nur ein Hauch von Edward Hopper. Melancholie hängt in der Luft des New Yorks der frühen 1950er Jahre und vermischt sich mit Zigarettendunst. Melancholie, aber nicht Unglück. Das macht "Carol" so einzigartig. Highsmith schreibt über ihren Roman "Prior to this book, homosexuals in American novels had had to pay for their deviation by cutting their wrists, drowning themselves in a swimming pool, or by switching to heterosexuality".

Rooney Mara in "Carol"

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Es ist so irrlichternd schön einen Film zu sehen, der die Homosexualität seiner Figuren nicht zu einem Thema (und somit meistens zu einem Problem macht). Er habe keinen issues film machen wollen, so Haynes. "Carol" ist eine Liebesgeschichte. Der Zusatz "zwischen zwei Frauen" ist eigentlich schon wieder für die Schwachsinnigen gedacht. Haynes macht die sexuelle Orientierung nicht zum Mittelpunkt seiner Geschichte und vor allem nicht zum Damoklesschwert - er ignoriert aber natürlich auch nicht, dass zu dieser Zeit Homosexualität, als Störung, als psychische Erkrankung gesehen wurde. Ihre Beziehung zu Therese und eine frühere Beziehung zu einer Frau könnten verhindern, dass Carol das Sorgerecht für ihre kleine Tochter Rindy zugesprochen bekommt. (Die Szene, in der Blanchett vor ihrem Mann und den Anwälten klare Worte spricht, wird wohl die Oscar-Einspieler-Szene werden). Carol will sich nicht zwischen ihrer Tochter und dem, was sie ist - wie sie es formuliert - entscheiden müssen.

Cate Blanchett in "Carol"

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Auch wenn in "Carol" - wie so oft bei Haynes - sehr viel Herzleid verhandelt wird, so räumt der Film die Möglichkeit des Glücks ein. Manchmal ist es nur das Glück, jemanden anzusehen, in den man sich verliebt hat. Das Herzklopfen bei der sich anbahnenden Annäherung. Als Carol ihre Handschuhe im Kaufhaus vergisst - oder liegen lässt - schickt Therese sie ihr zurück und nimmt dankend eine Einladung zum Essen an. Über Cate Blanchetts fantastische Bandbreite an subtilem Spiel werden noch Wälzer geschrieben werden, aber "Carol" ist ein Pas de Deux und Rooney Mara brilliert im Liebesreigen mit Blanchett, spielt grandios die zunächst scheue, aber stets furchtlose Therese. Sie und Carol buhlen mit kleinen Gesten, in jedem Wimpernschlag steckt hier ein Wortschwall, jede Berührung ist bedeutungsvoll.

Rooney Mara und Cate Blanchett in "Carol"

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"Carol" startet am 18.12.2015 in den österreichischen Kinos.

Dass Therese und Carol ihre Gefühle nicht ungehemmt in die Welt rausbrüllen können, davon erzählt uns Haynes nicht, in dem er ständig wen darüber reden lässt. Er setzt stattdessen auf Bildkomposition. Wir sehen die zwei Frauen oft isoliert, getrennt durch die Fensterscheiben eines Autos, oder eine Hauswand, in Spiegelungen, durch den Türrahmen miteinander redend. Und dann lässt er Therese diese räumlichen Trennungen irgendwann durchbrechen. Auf einem Road Trip der beiden Frauen nehmen sie getrennte Motelzimmer bis schließlich in Chicago angekommen, Therese dem Vorschlag des Rezeptionisten zustimmt, doch die "presidential suite" zu nehmen. Glück ist möglich, das eigene Begehren wird nicht mit Schuldgefühlen oder Selbstgeißelung bestraft, die Liebe ist auch so kompliziert genug. "Carol" ist ein meisterhafter Film, trotz seiner nüchternen Erzählweise rauschhaft und wahrscheinlich die erste Verfilmung eines Highsmith-Romans, der auch Highsmith selbst gefallen hätte. Höchstpersönlich werde ich all meine Freunde in den Kinosaal zu "Carol" bugsieren.