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Lukas Tagwerker

Beobachtungen beim Knüpfen des Teppichs, unter den ihr eure Ungereimtheiten kehrt.

14. 12. 2015 - 19:08

Nach dem Klimax

ist vor dem Klimax - 5 klimadiskursive Entkoppelungen: #Demokratie #Wetter #Natur #Wachstum #Kapitalismus

Kurz packte mich die Klimapanik: am 1.12.2015 entdecke ich blühende Kirschbäume in einem Park in Wien Gumpendorf.

Ich pflücke einen Kirschzweig, laufe damit wie benommen durch die Landschaft, frage alle, die mir begegnen, ob das normal ist in dieser Jahreszeit.

Je länger ich versuche, das Schlamassel mit dem Klima zu durchblicken, desto nervöser werde ich.

Ökosystemische Kipp-Momente kommen näher, 25 Jahre vergehen schnell, wir werden das noch erleben.

Und während eine rationale, empathische und demokratische Perspektive auf die Klimaproblematik, ein post-normaler Wissenszugang im Keimstadium vor sich hin larvt, schallt es schon aus vielen Richtungen: sorry, we´re fucked.

Kirschblüte im Dezember

Tagwerk

Kein Extremphänomen: Kirschblüte im Dezember

climate > < democracy

Vor sechs Jahren habe ich zuletzt versucht, mich mit der Materie zu befassen. Und bin gescheitert.

Zum einen an meiner kenntnislosen Äquidistanz zu "wissenschaftlichen" Lehrmeinungen. Zum anderen an Marc Morano und dem Heartland Institute, die professionellen WichtigmacherInnen wie mir mit ihrer professionellen Desinformation ins Gehirn schissen.

Kritische Auseinandersetzung war entkoppelt vom öffentlichen Klima der Desinformation.

Heute werden die Hälfte aller Klimagesetze weltweit per Dekret oder Exekutivbeschluss erlassen.

In Paris meldeten sich Schreckensfanatiker mit Gewaltakten, deren Kriegsbuddys in Syrien / Irak das business model blood for oil gelernt haben.

Putin und Erdogan wollten bei der Klimakonferenz nicht miteinander reden, weil sie sich gegenseitig bezichtigen, Erdölhandel mit dem Feind zu betreiben.

Im europäischen Ausnahmezustand (der für viele indigene Klima-AktivistInnen Normalität im Konfliktgebiet ist) schießt die Polizei mit Tränengas und der Asphalt rund um Marianne ist mit symbolischen Schuhen besetzt, friedliche UmweltaktivistInnen unter Hausarrest.

Die Entkoppelung von Klima und Demokratie spiegelt sich auch auf Ebene der Geldflüsse: auf der einen Seite globalisierter Handel mit Naturkapital, hypernationale Spekulation mit CO2- und anderen Verschmutzungsrechten, auf der anderen Seite beschneiden mehr und mehr Regierungen die Möglichkeiten von NGOs sich Spenden aus dem Ausland überweisen zu lassen.

Zuletzt hat Indien Greenpeace International aus dem Land geworfen.

Entkoppelungen

Daniel Hausknost erforscht Umweltpolitiken am Institut für soziale Ökologie der Alpe-Adria-Universität und geht so weit die moderne Demokratie eine "fossile Demokratie" zu nennen.

"Wenn wir da raus wollen aus diesem fossilen Energiesystem, müssen wir diese strukturelle Koppelung von fossiler Energie, Wirtschaftswachstum und Demokratieform erst einmal verstehen und auch durchbrechen."

Hausknosts These: wir bräuchten eine neue Form von Demokratie um die Klimakrise zu bewältigen.

In Paris traf sich der "Führer der demokratischen Welt" unterdessen mit einem "ungeduligen Optimisten".

The White House

L´optimiste impatient et le POTUS

climate > < weather

Dank dem Guardian erfahre ich wer die Desinformationskampagnen der Klimaleugner bezahlt hat, die mir 2009 ins Hirn schissen.

Darunter - surprise? - Bill Gates, Sponsorguru der wellness-Technokratie.

Nach Paris ist Gates gekommen um seine ungeduldigen Pläne zu präsentieren:

  • 20 Staaten (darunter Brasilien, China, Saudi-Arabien, USA) hat Gates dazu gebracht in den kommenden 5 Jahren 4 Milliarden Dollar springen zu lassen um Geoengineering, Fotosynthese-Fabriken, nukleare und andere Energiequellen zu erforschen. ("Mission Innovation")
  • Die University of California und 9 seiner Multimilliardärsfreunde (darunter Jeff Bezos, Jack Ma, George Soros, Marc Zuckerberg) hat Gates dazu gebracht das globale Public-Private-Partnership mit weiterem Geld auf 20 Milliarden Dollar aufzupimpen. ("Breakthrough Energy Coalition")

Wenn es wärmer und wärmer wird auf unserem freundlichen Planeten, dann blühen nicht nur Kirschblüten (darauf komme ich noch zurück).

Der Temperaturanstieg, der die spezifischen geographischen Wetterlagen jeweils komplex verändert, ist eine gewaltige business opportunity.

Risiko-Kalkulationen großer Agrarversicherungen müssen Wetterextreme unterbinden um Ernteausfälle zu minimieren und Gewinne zu garantieren.

Wettermodifikation und Geoengineering sind die technologischen Klima-Antworten, mit denen Investoren auf start up Jagd gehen.

Wird der Klimawandel generell als Konflikt-Multiplizierer verstanden, so hat das US-amerikanische Militär das Wetter schon lange als force-mulitplier begriffen.

Das berühmte (wieder einmal umdefinierte) 2-Grad-Limit wird mittlerweile selbst vom IPPC nur mehr in Szenarien für möglich gehalten, in denen "negative Emissionen" und high-tech-Versprechen wie Geoengineering bereits eingerechnet sind.

Bill Gates hat schon vor Jahren begonnen fleißig Patente einzureichen.

Ob Ozeandüngung, Aussprühen von Schwefeldioxid in der Atmosphäre oder gentechnische CO2-Schluck-Farmen, Kritiker des Geoengineering sehen darin profitgetriebene Symptom-Kosmetik-Verschlimmerung, die vor allem die Risiken umverteilt und die Wetterextreme dorthin verschiebt, wo sich die Leute weniger dagegen wehren können.

Paris Klima Co2

redd-monitor.org

Vertreter des Indigenous Environmental Networks kritisieren in Paris die Behandlung ihrer Wälder als kompensatorische CO2-Speicher - siehe: REDD+

climate > < nature

Wer nicht an den techno-fix glauben kann, muss das Verhältnis Mensch-Natur unter die Lupe nehmen.

Der Sozialökologe Daniel Hausknost hat sich mit Handlungsblokaden auf politischer Ebene in Bezug auf den Klimawandel beschäftigt und stellt die künstliche Dichotomie von Mensch und Natur in Frage: "Gesellschaft ist ja etwas, was ohne menschliche Körper nicht auskommt und menschliche Körper sind schon Teil der Natur."

Um Natur als beherrschbar zu imaginieren hätten Menschen eine "externe Wirklichkeitsquelle" erfunden: Gott, die Legitimation irdischer Fürsten und Könige, die aber mit der französischen Revolution abhanden gekommen ist. Nach dem Terror des Robespierre und dem Rückzug der Jakobiner habe sich eine neue "externe Wirklichkeitsquelle" etabliert, die außerhalb der politischen Aushandlungs-Sphäre sicherstellt, dass Regierte und Regierende eine gemeinsame Wirklichkeit akzeptieren: die Börse, der Markt.

Von diesen alles legitimierenden Wirklichkeitsquellen wird ausgegangen, als seien sie die wahre Natur des Menschen.

Sogar der Papst fordert eine ganzheitliche Ökologie und eine Dekarbonisierung der Wirtschaft, was wiederum nicht ganz leicht miteinander in Einklang zu bringen ist.

Die politische Erdwissenschafterin Lili Fuhr von der parteinahen Böll-Stiftung hat ein hochinteressantes Papier über die Tücken der Karbon-Denke sowie jüngst eine fundierte Kritik der grünen Ökonomie mitverfasst.

Das Konzept der "grünen Ökonomie" ist schlicht: wirtschaftliches Wachstum soll vom CO2-Ausstoß entkoppelt werden.

Bill Gates und andere "green growth"-Apologeten feiern sich damit als ultimative Planetenretter und entpolitisieren den Diskurs um Interessen und Machtverhältnisse zu einer feel-good-Innovationsmesse.

Was aber passiert, wenn per Gesetz Treibstoffen Biodiesel beigemischt werden muss? Wenn Verschmutzungsrechte gegen Carbon Rights, gegen Waldschutzverpflichtungen ausgetauscht und auf Märkten gehandelt werden?

Wenn durch Grenzwerte Verschmutzungen als straffreie Rechte definiert werden? Wenn diese Rechte als knappe Güter gegen alles getauscht und gehandelt werden, was (noch nicht) als knappe Ware definiert ist?

Natur wird hier umdefiniert zu einzelnen losgelösten bezifferbaren "Ökosystemleistungen". Ein neuer Goldrausch eines "Kapitalismus des Lebens" bricht aus.

Und: die Natur namens "Markt" wird beschworen, die alles, auch ihr eigenes "Marktversagen" regeln soll.

Lili Fuhr nennt dieses finanzialisierte Carbon-Off-Setting eine "perverse Sichtweise auf Ökosysteme", die sowohl indigene Lebensstile gefährde als auch völlig ineffektiv beim Klimaschutz sei.

Für den "erneuerbaren" Energieträger Palmöl werden gerade die letzten Regenwälder Indonesiens vernichtet.

Natur - das grüne Spekulationsobjekt der Zukunft?

Grenzen des Wachstums

2052-A Global Forecast

climate > < growth

Dass es planetarische Grenzen des wirtschaftlichen Wachstums gibt, hat der Club of Rome bereits 1972 schriftlich hinterlegt.

Die Vorstellung einer "grünen Ökonomie", eines "grünen Wachstums" gar bezeichnet der Ökonom und Nachhaltigkeitsforscher Niko Paech als "Amoklauf gegen die Natur".

Und doch: das Paradigma des Wirtschaftswachstums ist politischer Zwang. Eine entgrenzte "Kultur des alles immer" beherrscht unseren Alltag, wir haben den fossilen Raubbau verinnerlicht, wie unsere politischen Institutionen, Körperschaften, Parteien an den Wachstumszwang gekoppelt sind.

Daniel Hausknost sagt: "Die Fragen, wieviel Natur wir wollen, wieviel Biodiversität und in welcher Gesellschaft wir leben wollen, sind hochpolitische Fragen. Wie wollen wir leben?"

Um diese Fragen friedlich und konstruktiv zu beantworten müssten wir aus der Erdöldemokratie, die im Wachstumszwang steckt, eine transformative Demokratie entwickeln, "eine Gesellschaftsform, die ein gutes Leben für alle schafft, ohne von unendlichem Wachstum abhängig zu sein."

Präsentation des Kapitalismustribunals

Tagwerker

Das Berliner Haus Bartleby und der Club of Rome veranstalten im Frühjahr 2016 in Wien das 1.Europäische Kapitalismustribunal

climate > < capitalism

Die Debatte über die Entscheidung zwischen Kapitalismus oder Klima hat die kanadische Autorin Naomi Klein mit ihrer 700-seitigen höchst lesenswerten Schrift angestoßen.

Während der Klimakonferenz in Paris hat ein Komitee aus KulturarbeiterInnen, KlimawissenschafterInnen, kritischen ÖkonomInnen und JuristInnen den Ball in Berlin aufgenommen.

Wenige hundert Meter vom deutschen Kanzleramt entfernt, im Haus der Kulturen der Welt präsentierte man der Öffentlichkeit die ausgearbeitete Prozessordnung des 1. Europäischen Kapitalismustribunals, das 2016 in Wien stattfinden soll.

Ich reiste aus Interesse an und fasse mich kurz:

Drei Punkte erscheinen mir an diesem ehrgeizigen Projekt eines "überpositivistischen Verfahrens" erwähnenswert:

Mit dem blühenden Dezember-Kirschzweig habe ich dann noch zum Glück die allwissende FM4-Senderchefin Monika Eigensperger getroffen, die mir aus ihren Gartenkenntnissen heraus Entwarnung gab: prunus subhirtella 'autumnalis' blüht naturgemäß im milden Winter früh.

*tiefdurchatem*

Es bleibt also noch ein bisschen Zeit, bis das Klima völlig spinnt.

  • Jeder Mensch ist anklageberechtigt.
  • Angeklagte, die nicht zum Verfahren erscheinen, gelten als flüchtig.
  • Der Gerichtshof des Kapitalismustribunals ist für die Zeit seiner Tagung eine übernationale und exterritoriale Entität.

Bis dahin darf ich noch auf eine Diskussion im Rahmen der Ringvorlesung Klimapolitik in der Sackgasse? hinweisen:

Waren die Klimaverhandlungen erfolgreich?

Kritische Diskussion der Ergebnisse von COP 21

15. Dezember, 18:30 Uhr, NIG, Universitätsstraße 7

mit Helmut Hojesky (Bundesministerium für Land-und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft) Magdalena Heuwieser (Finance & Trade Watch / System Change, not Climate Change!) Johannes Wahlmüller (Allianz für Klimagerechtigkeit) Moderation: Ulrich Brand