Erstellt am: 13. 12. 2015 - 15:55 Uhr
Rebel without a Pause
- Alle Songs zum Sonntag auf FM4
- Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken
Ein Flaneur zieht durch die Stadt, die Gedanken rasen ihm durch den Schädel. Es ist nicht alles immer interessant und wichtig. Die Gassen, die Wege, öfter schon ist man durch sie hindurchgegangen, man kennt sie, manchmal, nicht alle.
Kürzlich hat der Nino aus Wien eine Werkschau mit dem ranschmeißerischen Titel "Immer noch besser als Spinat" veröffentlicht. So klar und schlicht nachvollziehbar auf Pointe formuliert wie mit diesem Titel ist der Nino sonst zum Glück selten. Da soll sich jeder gleich reinfühlen können und verstehen - obwohl Spinat in Wahrheit ja super ist.
Problembär Records
Ab Sonntag tritt der Nino aus Wien drei Tage hintereinander im rhiz auf. Mit Gästen und diversen Sensationen.
Eines der besten Stücke im an feinen Liedern nicht armen Werk des Nino ist der Song "Urwerk". Ursprünglich auf dem Album "Schwunder" aus dem Jahr 2011 veröffentlicht, auf der "Spinat"-Compilation jetzt wieder vertreten. Wunderlich, verschraubt, verwinkelt, hier wird keine leicht zusammenfass- und nacherzählbare Glückskeksweisheit und kein Kalenderblattmerksatz behauptet, dabei aber doch eindringlich ein Gefühl, eine Aura zum Leben erweckt, die uns diffus bekannt vorkommt.
Es geht immer uns gehen. "Ja, manchmal da gehst du durch so richtig alte Straßen", laute die erste Zeile von "Urwerk", und ruhelos wird in diesem Lied weitergegangen werden. Der Nino streift durch den Tag, vielleicht auch die Nacht, sammelt Eindrücke ein, Gesprächsfetzen, kurze Ideen. Keine Geschichte, kein anekdotisches Zeichnen oder konturiertes Beschreiben, vielmehr ein impressionistischer Kabelsalat. Wenn der Tag lang ist und man viel redet, dann sagt man, so weiß der Nino, oft mal auch bloß so wichtige Dinge wie: "Aha, mh" oder "Aba oke".
Stoisch und als Definition des Wortes "minimal" poltert das Schlagzeug durch das Lied - Moe Tucker wird neidisch. Insgesamt scheint das Stück in seiner ewigen, ewigen Vorwärtsbewegung, ohne Ziel, ohne Grund, sich an den mantrahaften, dürren Songs von The Velvet Underground zu orientieren. Eine Orgel orgelt. Müde.
Sich im Kopf abspulende Großstadtreflexionen, die Menschen, die Leute, sie müssen uns nicht immer etwas bedeuten wollen. Die Orientierungslosigkeit als Motor, als Grund. Zwar ergeht sich der Nino auch in einem trockenen, schön verhatschten Nölsingsang, so übellaunig wie der gute Lou Reed ist er aber nicht.
Zynismus scheint ihm kein Antrieb zu sein, ein bisschen Ekel darf schon sein, und auch das mittransportierte Eingeständnis, es sicher nicht allen recht machen zu müssen oder zu wollen und aus der Ablehnung vielleicht schon auch Lust gewinnen zu können. Im selben Atemzug wird die plakative Geste gleich wieder verworfen: "Wenn es nicht so platt und ungesund wär', würd' ich eventuell schon in Erwägung ziehen, einen erschreckenden Satz an die Wand zu sprühen, damit ihn jeder, wirklich jeder von allen liest und hasst."
Ein weites, großes Lied von einer Welt, in der der Künstler weiß, dass doch der Taxifahrer besser formuliert als er selbst. Wir wollen weiter, aber wohin und wozu.