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Chrissi WilkensAthen

Journalistin in Griechenland

10. 12. 2015 - 16:48

Exit, no exit

Am Mittwoch wurden hunderte Menschen von der Polizei gezwungen, die griechisch-mazedonische Grenze zu verlassen und nach Athen gebracht. Jetzt suchen sie andere Wege nach Mitteleuropa. Auch mit Schleppern.

Trotz des winterlichen Wetters und der unruhigen See ist die Zahl der Neuankommenden auf den griechischen Ägäis-Inseln weiterhin hoch. Und auch das Sterben in der Ägäis nimmt kein Ende. Alleine seit Dienstag haben in zwei Schiffsunglücken mehr als 16 Flüchtlinge ihr Leben verloren.

Für viele, die es in den vergangenen Wochen über das Meer und quer durch Griechenland geschafft haben, ist die Reise im Moment an der mazedonischen Grenze zu Ende. Seit 19. November dürfen nur noch Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Afghanistan die Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien passieren. Zwischenzeitlich war der Übergang wegen der heftigen Protesten die dort stattgefunden haben sogar komplett gesperrt.

Menschen werden in einem Bus transportiert

Radio FM4 / Wilkens

Am Mittwochmorgen wurden nun hunderte Flüchtlinge und Migranten, die seit mehr als zwei Wochen vor der griechisch-mazedonischen Grenze in Idomeni campierten, in einer Polizeiaktion entfernt. Journalisten, Freiwilligen und NGOS wurde der Zugang zum improvisierten Zeltlager während der Polizeioperation verboten.

Die Flüchtlinge wurden in Massenunterkünfte nach Athen gebracht. Viele wissen, dass sie in Griechenland wegen der Wirtschaftskrise keine Perspektive haben und versuchen, entweder in ihre Heimat zurückzukehren, oder andere Wege zu finden, um das Land zu verlassen. Die führen sie entweder durch Nordgriechenland oder die griechischen Hafenstädte. Sie sind daher - wie in der Vergangenheit, als die Grenzen noch für alle illegal reisenden geschlossen waren - wieder auf die Schlepper angewiesen.

Auch Mohamed, ein junger Mann aus Somalia, sucht verzweifelt nach einer Möglichkeit, Athen zu verlassen; wie die meisten, die in dieser provisorischen Massenunterkunft in der Gegend Palaio Faliro in Athen untergebracht worden sind: "Ich muss sehen, wie ich nach Italien kommen kann. Die einzige Möglichkeit ist durch das Meer. Die Schlepper verlangen 2000 Euro pro Person. Ich habe dieses Geld nicht. Ich werde versuchen, mich in einem LKW zu verstecken der nach Italien fährt."

Ein paar Meter weiter steht Jassar aus Iran. Er ist gerade mit den Bus aus Idomeni angekommen. Er hat sich entschieden eine billige Unterkunft in Stadtzentrum zu suchen, statt in der überfüllten Sporthalle zu übernachten. Und dann will er einen Schlepper finden. "Wir sind gezwungen, in Kontakt mit der Mafia in Athen zu kommen, um nach Mitteleuropa weiterzureisen. Was können wir sonst machen? Es gibt keinen legalen Weg raus aus Griechenland. Auch wenn der illegale teuer und gefährlich ist, müssen wie ihn nehmen!"

Im Hof des Sportstadions versammelt sich eine Gruppe von Flüchtlingen und Migranten vor zwei Frauen. Die beiden Mitarbeiterinnen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) stellen sich vor die Treppe und fangen an, zu erklären, welche Nationalitäten an dem freiwilligen Rückführungsprogramm teilnehmen können. Allen, die an dem Programm teilnehmen können, wird eine finanzielle Hilfe von 400 Euro angeboten. Mehrere der jungen Marokkaner, die hier anstehen, überlegen, das Angebot zu akzeptieren. Samir, ein 28-jähriger Mann aus Marokko schüttelt jedoch den Kopf. "Ich kann nicht zurück. Ich werde versuchen, die Grenze zu überqueren. Ich weiß nicht wie. Ich werde nachdenken und einen Weg finden."

Vor dem Eingang des Geländes steht auch eine palästinensische Familie aus dem Libanon. Die Bedingungen im Lager sind nicht gut, sagen sie, erschöpft von der Reise aus dem Grenzort Idomeni. Mehr als 2000 Menschen sind jetzt hier untergebracht, eigentlich wäre nur für 1700 Platz in der großen Sporthalle. Den Journalisten wird der Zugang zum Gelände verwehrt. "So viele Kinder und Familien befinden sich hier. Die Grenze ist geschlossen. Wir werden wie Tiere behandelt, wir sind keine Tiere...", sagt der Vater.

Am 17. Dezember muss die Halle übrigens auch schon wieder geräumt werden, weil sie für eine Sportveranstaltung angemietet wurde. Was dann mit den Menschen aus Idomeni geschehen soll, ist noch unklar. Zunächst werden sie vermutlich in andere Notunterkünfte in Athen gebracht, man hört aber auch, dass in mehreren ehemaligen Kasernen in Thessaloniki Kapazitäten geschaffen werden sollen.

Sporthalle in Athen

Radio FM4 / Wilkens

Der Migrationsminister, Giannis Mouzalas, sagte am Donnerstag, die Flüchtlinge und Migranten müssten sich innerhalb von 30 Tagen entschieden, ob sie einen Asylantrag in Griechenland stellen oder in ihre Heimat zurückkehren wollen. Diejenigen, die sich entscheiden einen Asylantrag zu stellen, müssten dann bis zu sechs Monate auf eine Antwort warten. Wegen Personalmangels laufen Verfahren der Asylbehörde gerade hauptsächlich durch Skype.

Die Unterkunftsmöglichkeiten für diejenigen, die Asyl antragen, sind in Griechenland begrenzt. Nur minderjährige unbegleitete Flüchtlinge, Familien und andere besonders schutzbedürftigen Personen haben eine Chance, eine vom Staat finanzierte Unterkunft zu bekommen. Der UN-Flüchtlingsrat plant, demnächst 20.000 Unterkunftsplätze zur schaffen.

Spyros Rizakos, Anwalt bei der Organisation Aitima, bringt gerade mehrere Tüten mit Hilfsgütern in der Sporthalle in Palaio Faliro. Lebensmittel, Schuhe und Kleidung werden benötig, das steht auf einer Liste am Eingang. Wie auch andere Menschenrechtler befürchtet er vor allem, dass wieder die Haftpolitik der vergangenen Jahre angewandt werden wird. "Griechenland kann all diesen Flüchtlingen nicht einmal eine Grundversorgung bieten, die ihnen rechtlich zusteht. Gleichzeitig ist das Relocation-Programm nur für eine begrenzte Zahl von Menschen zugänglich und nur wenigen Nationalitäten geöffnet".

Auch Giorgos Kosmopoulos, Direktor von Amnesty International in Griechenland, fürchtet um die Schutzsuchenden, die jetzt nach Athen zurückgekommen sind. "Wir können nicht ausschließen, dass diejenigen, die keine Papiere haben, früher oder später in Haftlagern enden."