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Pia Reiser

Filmflimmern

9. 12. 2015 - 12:11

Schiffsbruchlandung

"Im Herzen der See" hat viel See und kein Herz. Ein CGI-Monstrum, in dem sich Chris Hemsworth mit einem weißen Wal anlegt.

Und was den Film erst so richtig gut macht, ist die fantastische Rahmenhandlung, ist ein Satz, den man selten zu lesen bekommt. Ich rede nicht von einer Rahmenhandlung, die eine Wendung, eine Überraschung bereithält wie "Das Kabinett des Dr. Caligari" oder die erste Staffel von "True Detective". Nein, ich meine die faule, eingefahrene Variante, in der jemand bei schummrigem Licht und einem Glas Schnaps mit dunkler Stimme zu erzählen beginnt und wir auf seiner Stimme in die Binnenhandlung reinrutschen.

Im Fall von Ron Howards "In the Heart of the Sea" beginnt Brendan Gleeson als alter, ruppiger (gibts denn auch überhaupt andere?) Seemann von der Fahrt des Walfangschiffs Essex im Jahr 1820 zu erzählen, auf dem er als Waisenjunge (gibts denn überhaupt andere, in Filmen, die im 19. Jahrhundert spielen?) angeheuert hat. Der Mann, dem Gleeson die Geschichte erzählt, wird einen Groß-groß-groß-groß-Neffen haben, von dessen Auftritt bei Schneefall bei einem FM4 Geburtstagsfest Menschen noch jahrelang sprechen werden.

Dieser Mann also heißt Hermann Melville und die Geschichte der Essex wird ihn zu seinem Roman inspirieren, aus dem wiederum eine Kaffeehauskette sich zu ihrer Namensgebung inspirieren lassen wird (das wär mal eine Rahmenhandlung für die Rahmenhandlung gewesen!). Dieser Roman heißt "Moby Dick". Der an sich supere, hier schwer unterbeschäftigte Ben Whishaw lässt als Melville die Feder übers Papier kratzen, während er dem Seemann lauscht.

walfangschiff aus dem 19 jahrhundert

warner

The story of The Essex is the story of two men at odds with each other, setzt Gleeson an und ich horche auf. Hat doch Ron Howard vor zwei Jahren mit "Rush" einen Film über zwei rivalisierende Männer gemacht, der ziemlich fantastisch war. Vielleicht wird "In the heart of the sea" ja ein Meeres-"Rush", schließlich ist auch hier wieder Chris Hemsworth mit dabei. Weniger auf seine Feschak-Qualitäten als sonst bedacht spielt er den den ersten Deckoffizier mit rauem Charme. Mit schulterlangem Haar und ohne Furcht vor Meer, Wind und Wetter ist er der Surferboy New Englands. I married a whaleman, seufzt seine schwangere Ehefrau, als er wieder die Sachen packt, um auf die See hinauszufahren.

Chris Hemsworth

warner

Als Hemsworths Antagonist wird der Kapitän des Walfangschiffs eingeführt. Ein Sohn aus reichem Hause, dem die abenteuerliche Überfahrt den Hochmut schon noch austreiben wird. Benjamin Walker steckt in der schnittigen Kapitänsuniform und erweckt beim Kinopublikum den innigen Wunsch, dass die Rolle doch an Benedict Cumberbatch gegangen wäre. Die Standesdünkel des Kapitäns, der Chase für seine Herkunft aus einer Nicht-Seefahrer-Familie verachtet, und die verschiedenen Temperamente der beiden Männer wären schon genug Triebfeder für eine Geschichte gewesen. Die angekündigte Geschichte der Männer at odds with each other ist entweder aber der Schere zum Opfer gefallen oder Nicholson, der Rahmenhandlungserzäher wollt einfach nur mit einem guten Teaser locken. Abgesehen von einer Szene, in der sie sich nicht einig sind, wie man mit dem aufziehenden Sturm umgeht, interessiert sich "Im herzen der See" nicht sonderlich für die beiden Männer und ihre Differenzen. Der Film interessiert sich überhaupt nicht sonderlich für seine Figuren. Und somit das Publikum auch nicht.

benjamin walker in "in the heart of the sea"

warner

So stechen wir mit eine Gruppe Männern in See, die uns jetzt nicht sonderlich am Herzen liegt, um mit ihnen auf Waljagd zu gehen. Zumindest das Motiv, warum hier in See gestochen wird, fügt ein wenig Neues zum Genre Abenteuerfilm hinzu. Abenteuer wird hier nämlich keines gesucht, auch keine versunkenen Schätze oder bessere oder neue Seewege. Der Walfang bringt Mitte des 19. Jahrhunderts New England wirtschaftlich zum Erblühen und der Tran der Wale bringt in Öllampen Licht auf die Straßen und die Häuser.

Wirtschaftliche Verantwortung liegt auf den Schultern der Seemänner - das und die Kamera von Don Mantle, die manchmal reichlich spleenig mit Fischaugenlinsen (no pun intended) Close Ups aufwartet, weichen ab von klassischen Abenteuerfilm-Konventionen. Ansonsten ist alles wie immer an Bord. Es zischt die Gischt, unter Deck gibts greisliges Essen und irgendjemand ist immer kreidebleich wegen der Wellenbewegungen, die Räume des Kapitäns hingegen gleichen einer gemütlichen Puppenstube und es nevt, dass sich die Seekarten immer zusammenrollen, weil kein Briefbeschwerer zur Hand ist. Zahnhygienisch ist diese Crew ein Traum, die Beverly Hills Beißerchen hat man hier nicht - wie früher in derartigen Filmen - mit Schuhpaste angeschwärzt. Und trotz der herrlich weißen Zähne werden sich die Männer an einem riesigen weißen Wal die Zähne ausbeißen.

riesige Walflosse, szenenbild aus "im herzen der see"

warner

Zuvor lässt Ron Howard noch CGI-Stürme aufziehen, dass die 3D Brille wackelt. "In the heart of the sea" wird so ein Film, der zu Nullen und Einsen zerfällt, weil es kein Herz gibt, das ihn zusammenhält. Er verlässt sich zusehr auf das eindrucksschindende CGI. Die Geschichte, Howards Regie, die Figuren packen einem nicht, man wird hier nicht mitgerissen und so entsteht nie dieser magische Kinomoment, wo man das, was auf der Leinwand passiert als wahr annimmt und auf sich selbst im Kinosessel vergisst. Das CGI zimmert hier nicht der Geschichte eine Welt, sondern ganz im Gegenteil erinnert einen beständig daran, dass dies ein Film ist und dass Hemsworth und Walker und die Anderen ziemlich viel Zeit vor einem Green Screen verbracht haben. Jegliches Motiv, das der Film anspült - Mensch gegen Natur, die Moral der Jagd - verpufft, geht in einer Riesenwelle unter.

Als ein riesiger weißer Wal das Schiff versenkt, brechen nicht nur die Masten, sondern auch die Tonalität, das Tempo und eigentlich auch das Genre. In drei Boote retten sich die Überlebenden inmitten des pazifischen Ozeans meilenweit vom Festland entfernt. Die Sonne brennt herunter, die Vorräte sind mehr als knapp, über 90 Tage werden sie auf offener See treiben. Der Wahnsinn, den jede Hochseegeschichte in sich trägt, kriecht nun in die Augen von Chris Hemsworth.

chris hemsworth in "im herzen der see"

warner

Das vom Soundtrack angetriebene Hochsee-Spektakel weicht der Reduktion, jetzt könnte eine fesselnde Geschichte vom Kampf ums Überleben erzählt werden. Oder aber, man nutzt die Gelegenheit, die Mitglieder der Academy of Motion Picture Arts and Science daran zu erinnern, dass die Make Up Abteilung gerne nominiert werden würde und rückt die immer spitzer werdenden Wangenknochen, hervorstehenden Rippenbögen und dunklen Augenschatten der Schiffbrüchigen ins rechte Licht.

"Im Herzen der See" läuft seit 4.12.2015 in den österreichischen Kinos

Irgendwann taucht auch der Wal sprichwörtlich und tatsächlich nochmal auf und irgendwie ist er auch die einzige Figur mit Tiefgang - sprichwörtlich und tatsächlich. Mit dem Hai aus "Jaws" dürfe man ihn nicht vergleichen, eher mit King Kong, so Ron Howard und tatsächlich schlägt das Herz des Publikums wohl eher für den Wal als für eine der Figuren. "In the heart of the sea" ist hochpoliertes Seemannsgarn und die Crew der Essex kann den bärtigen Skandinaviern, die vor zwei Jahren in "Kon Tiki" Hochseeabenteuer erlebten, niemals das Salzwasser reichen.