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Christoph Sepin

Pixel, Post-Punk, Psychedelia und sonstige Ableger der Popkultur

9. 12. 2015 - 16:14

Mistress America

Noah Baumbach erzählt in seinem neuen Film die Geschichte von zwei Schwestern, die doch keine sind.

Tracy ist irgendwie verwirrt: Frisch aus dem elterlichen Haus ausgezogen, beginnt ihr erstes Semester an der Uni im coolen New York nicht so wie geplant. Die ehemalige High-School-Außenseiterin und Loserin bleibt das auch an der neuen Schule, zu Parties wird sie immer noch nicht eingeladen, die Vorlesungen sind oberflächlich, die Mitstudierenden auch. Ziemlich desillusionierend also das Ganze.

Bis Tracy auf Brooke trifft. Die Sache ist nämlich so: Tracys Mutter und Brookes Vater heiraten bald, die beiden einander Unbekannten werden damit also zu Schwestern.

Die 30-jährige Brooke (Co-Autorin Greta Gerwig) ist ein klassisches New York Socialite, zieht nachts von Party zu Party, singt in Bands und ist aktiv in allen sozialen Netzwerken. Die 18-jährige Tracy (Lola Kirke aus der großartigen Serie "Mozart in the Jungle") ist das alles nicht, ist aber enorm fasziniert von Brookes aufregendem Leben in der Großstadt. Nach einer ereignisreichen Nacht beginnen die beiden sich durch die jeweils andere selbst zu finden, werden also quasi zur gegenseitigen Muse. Brooke braucht jemanden, der ihr bei ihren Lobreden an sich selbst zustimmt, eine Cheerleaderin, die sie anfeuert. Tracy sieht sich als zukünftige Autorin, als Mensch, der die Welt durch die Augen anderer sehen will. Für sie ist Brooke Inspiration und Faszination zugleich, die sie zum Schreiben einer Kurzgeschichte bringt – mit dem Titel "Mistress America".

Wir als Zuseher werden von Noah Baumbach relativ abrupt in die Welt der New Yorker Oberflächlichkeit geworfen. Unsere beiden Protagonistinnen sind weniger Heldinnen als vielmehr einfach Akteure, die wir per Snapshot aus ihrem Leben für eine kurze Zeit begleiten dürfen. Ohne diesen fixen Ankerpunkt, den klaren Fokus, was wir denn jetzt von wem halten sollen, fühlen wir uns dann teilweise wie die Hauptfiguren des Films: Verloren.

Brooke ist verloren in der sozialen Oberflächlichkeit New Yorks, wo sie auf der Suche nach einer echten Erfahrung ist, aber nicht weiß, woher sie die bekommen soll. Tracy ist verloren in der Neuheit der Collegewelt, die doch nicht so ist wie in ihren Träumen. Später im Film treffen wir Brookes ehemalige BFF und jetzige Erzfeindin Mamie-Claire. Auch die ist verloren, in einer ziel- und planlosen Ehe, in ihrem Wunsch Kinder zu haben, aber doch auch egozentrisch bleiben zu wollen.

Menschen sitzen auf Wohnzimmercouch

2015 Twentieth Century Fox Film Corporation

Was machen Charaktere, die verloren sind? Sie versuchen sich selbst zu finden. Uns wird dies durch Monologe präsentiert, mit denen jeder der Protagonisten sich selbst in den Mittelpunkt stellt. Niemand führt eine echte Diskussion - umso überraschender, dass Brooke im späteren Verlauf des Films dann doch einmal tatsächlich auf Tracy reagiert, und richtig echt mit ihr kommuniziert.

Noah Baumbach schafft es damit, einen filmischen Background aufzubauen, der an Langzeitkollaborateur Wes Anderson erinnert: Charaktere sinnieren theatralisch über die Komplexitäten des Lebens, reagieren aber gleichzeitig mit kindlicher Naivität auf die Herausforderungen ihrer Umwelt. Durch die im Gegensatz zu Anderson doch eher an der Realität angelehnte Thematik stellt Baumbach einen angenehm satirischen Ton und empfängt uns wohlig warm in seiner Version der New Yorker Bohemianwelt.