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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

8. 12. 2015 - 20:11

Die Hausswolff war da

Der schwedische Goth-Orgel-Star Anna von Hausswolff live in Berlin.

Anna von Hausswolff
spielt am 6.3.2016 in der Arena Wien.

Der Schmerz

Am Tag nachdem mir ein kichernder Arzt mit einer Nadel in die Wirbelsäule gefahren ist, um mir Nervenwasser abzuzapfen, nahm ich die S1 in Richtung Mitte. Am Tag nachdem ich bei der Computertomographie einen T-Rex Knochen aus dem Naturkundemuseum als Nachbarn hatte, wankte ich noch leicht benommen in die Sophiensaele. Am Tag nachdem ich wegen frivoler Kopfschmerzen acht Stunden in der Notaufnahme der Charité verbrachte, besuchte ich das Anna von Hausswolff Konzert in Berlin.

Anna von Hausswolff

Christian Lehner

Die erste Überraschung, der Altersschnitt des Publikums. Man entdeckte zwar auch das ein oder andere blass-junge Gothgesicht, doch die überwiegende Mehrheit der Besucher setzte sich aus Progrock-Professoren und Post-Punk-Veteraninnen der Ü-40-Fraktion zusammen.

Die zweite Überraschung war eigentlich keine, denn die vordergründig düstere Überwältigungsmusik der Anna von Hausswolff offenbarte sich vom ersten Ton an als hell strahlende Berauschungsmusik. Als jemand, der bei Doom, Gloom und Zoom nur gelegentlich als Gast vorbeischaut (und sich dann auch schnell langweilt), war dieser Genre-Ritt durch die Wälder von Black Sabbath, Nordic-Folk, Doom Metal, Enya, Ennio Morricone, Kate Bush, Hippie-Chanson, György Ligeti, Pink Floyd, Abba und der Musik deines nächsten Kirchenorganisten äußerst kurzweilig und befreiend. Anna von Hausswolff macht in erster Linie Popmusik. Und so beschwörte die junge Schwedin an diesem Abend die Geister vieler Epochen und Orte, um sie vor unseren Augen miteinander tanzen zu lassen.

Anna von Hausswolff

Christian Lehner

The Cure

In der Mitte der Bühne befand sich die auf einige Keyboards zusammengeschrumpfte Kirchenorgel. Dahinter die Hohepriesterin des Abends in einem bunten Jute-Talar des Nordens. Links und rechts neben Hausswolff die Ministranten an den Instrumenten. Zunächst lugte nur Hausswolffs Mittelscheitel über die Tastatur. Die schweren Hörner aus dem Stück „Discovery“ markierten den Beginn der Messe. Der Rotwein in den vor der Bühne abgestellten Gläsern der ersten Reihe, begann unter dem Eindruck der Bässe zu vibrieren. Hinter der Bühne loderten Höllenfeuer, die sich zu Lichtsäulen bündelten am Tag des Knecht Ruprecht zu Berlin.

Von Hausswolff präsentierte ihr neues Album „The Miracolous“, das Wunderbare und wurde dieser Vorgabe mehr als gerecht. Der Erhabenheit des auf Live-Performances hingeschriebenen Openers folgte das sinistre „The Hope Only Of Empty Men“. Erstmals stand die Orgel frei und röhrte sich in unsere Magengrube. Hausswolff sang in ein Vintage-Mikrophon und vermochte die Dämonen, die sie und ihre Mannen da entfachten immer wieder mit heller Kopfstimme einzufangen.

Die Haare fielen links und rechts herab und zersausten sich immer wieder in erruptiven Headbangs. Nur selten gaben sie die meist geschlossene Augen der jungen Schwedin frei.

Der Eröffnungszyklus wurde schließlich mit „Pomperipossa“, dem dritten Stück des neuen Albums beschlossen. Wie später auch bei dem folkig-akustischem „Stranger“ wähnte ich mich im Setting einer TV-Aufzeichnung aus den Sixties. Hausswolff schritt die erste Reihe ab und sang uns direkt in die Augen wie eine große Chanteuse. Diese visuell von der Lichtorgel komplimentierten Echos der Vergangenheit ließen mein Nervenwasser kochen und und ich halluzinierte abwechselnd The Mamas and The Papas und Ozzy Osbourn. „Evocation“, ein persönlicher Fav mit seinem erlösenden Schrei der Wälder folgte auf „Sova“ und auf „Deathbed“, einem Hit aus dem zweiten Album „Ceremony“. Man bemerkte es auch am Seufzen des Publikums.

Fast übertrieben schüchtern führte Anna von Hausswolff durch den Abend begleitet von vielen „Thank yous“. Sie machte sich klein vor ihrer eigenen Musik, die den Raum alles andere als bescheiden erfüllte. Nach eineinhalb Stunden war der Zauber vorbei. Ich taumelte zurück auf die Straße durch das nächtliche Berlin, vorbei an einer alten Kirche, so viel Klischee musste sein. Die Straßen waren menschenleer, der Kopf war frei, der Nadelstich im Rücken schmerzt noch immer.