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Chrissi WilkensAthen

Journalistin in Griechenland

3. 12. 2015 - 18:59

No way back

Hunderte Menschen harren tagelang unter elenden Bedingungen im griechisch-mazedonischen Grenzort Idomeni aus, mit der Hoffnung drüberzukommen. Am Donnerstag eskalierte die Situation. Für viele Flüchtlinge gibt’s kein Zurück.

Seit zwei Wochen dürfen die griechisch-mazedonische Grenze in Idomeni nur noch Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak überqueren. Allen anderen wird die Weiterreise verwehrt, unter anderem durch einen Stacheldrahtzaun, der vor kurzem dort eingerichtet wurde. Hunderte Menschen harren bei Kälte tagelang in Zelten oder im Freien aus. Immer wieder gibt es Spannung und Ausschreitungen. So auch in den frühen Morgenstunden am Donnerstag 3.12., als die Wartenden die neu angekommenen Flüchtlinge, die passieren hätten dürfen, daran gehindert haben, die Grenze zu überqueren.

Menschen schlafen auf der Erde

Chrissi Wilkens

Zurzeit befinden sich an der Grenze mehr als 5000 Menschen, die drüber wollen. Rund 2500 Flüchtlinge aus Syrien, Irak und Afghanistan drängen sich zusammen mit rund 3000 Menschen aus anderen Ländern am Grenzübergang. Und es kommen immer mehr dazu. Ein 22 jähriger Mann aus Marokko wurde durch einen Stromschlag tödlich verletzt, als er auf einen Eisenbahnwaggon gestiegen ist und dabei mit dem Kopf an eine Hochspannungsleitung gekommen ist. Die Wartenden haben seine Leiche bis zum Grenzübergang getragen und protestiert. Die Polizei antwortete mit Tränengas.

Protestmarsch

Chrissi Wilkens

Der Wille durchzukommen ist stark

Bereits am Samstag hatte sich ein Marokkaner unter ähnlichen Umständen schwere Verbrennungen zugezogen. Der griechische Staat will die Wartenden überzeugen, mit Bussen oder Zügen nach Athen zurückzukehren, damit sich die Situation entspannt. Laut den Flüchtlingen fordert die Polizei die Schutzsuchenden auf, den Ort innerhalb von drei Tagen zu verlassen, ansonsten würden sie unter Gewaltandrohung dazu gezwungen. Doch der Wille durchzukommen ist viel größer als das Elend und die Angst vor der Polizeigewalt an der Grenze.

Familie in vollem Zelt

Chrissi Wilkens

Mohsen sitzt erschöpft in einem kleinen Zelt mit seiner Familie. Seit mehr als 12 Tagen warten sie hier, in der Hoffnung, dass sich die Grenze öffnet und sie durchkommen. Sein einjähriger Sohn war schon drei Tage wegen eines Darmvirus im Krankenhaus. “Es gibt kein warmes Essen hier, nur Kekse, kaltes Wasser und kaltes Nahrung. Alle Menschen sind nervös. Vor ein paar Minuten hat eine Gruppe Steine in ein Zelt geworfen und das Auto einer Hilfsorganisation attackiert. Die Situation ist sehr gefährlich. Ich habe kein Geld, um Schlepper zu bezahlen, damit ich die Grenze an einer anderen Stelle überschreite.“ Mohsen kann nicht zurück in den Iran, sagt er. Er konvertierte vom Islam zum Christentum. Dadurch würde sein Leben in Gefahr sein.

“Es gibt kein Zurück mehr für uns!“

Auch der 17-jährige Idrizz kann nicht mehr zurück. Der unbegleitete Minderjährige aus Somalia hilft gerade zwei älteren Somalierinnen, ihre Sachen in ein wärmeres Zelt zu transportieren. Er schaut auf den frisch errichteten Stacheldrahtzaun und die Menschen, die davor mehrmals am Tag protestieren. “Es gibt kein Zurück mehr für uns. Die Somalier und alle andere Flüchtlinge hier wollen nicht illegal die Grenze überschreiten. Wir wollen legal durchkommen. Denn sonst wird uns die mazedonische und serbische Polizei sowieso zurückschicken und wir verlieren nur Zeit.“

Unhcr-Container und Zelte

Chrissi Wilkens

Die Länder entlang der Balkanroute haben bereits Flüchtlinge und Migranten, die es bis dahin geschafft haben, nach Griechenland zurückgeschoben. Wie auch den 20-jährigen Ali aus Pakistan, der gerade vor einem Bus wartet, den der UN-Flüchtlingsrat für diejenigen reservierte, die sich entschieden haben, zurück nach Athen zu fahren. “Hier kann ich nicht bleiben. Keiner weiß, wann und ob die Grenzen wieder öffnen. In Athen habe ich keinen Platz zum Schlafen und auch keine Freunde. Wahrscheinlich muss ich auf der Straße übernachten“. Ali will in Athen Asyl beantragen. Falls es abgelehnt wird, wird er nach Pakistan abgeschoben.

Mann steht neben Zelt auf Gleisen

Chrissi Wilkens

Große Hoffnungslosigkeit

Immer wieder müssen Ärzte Schutzsuchende behandeln, die - oft durch Polizeigewalt -verletzt von der Grenze zurückkommen. Das aber, was aber die Menschen hier am meisten belastet ist das Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Krankenschwester Maria Paraskelidou vom Roten Kreuz pflegt gerade einen anderen Mann aus Pakistan, mit hohem Fieber und verzweifeltem Blick. „In diesen Tagen befinden sich die Menschen in einer sehr schlimmen psychologischen Situation. Obwohl es meistens junge Menschen sind, werden sie depressiv, enttäuscht. Manchmal kommen Flüchtlinge nicht weil sie ärztliche Behandlung nötig haben hierher, sondern psychologische.“

Wartebank vor Rot-Kreuz-Zelt

Chrissi Wilkens

Die Erzieherin der NGO Arsis Angelina Likogianni betont, dass seit die Grenzen für bestimmte Gruppen geschlossen sind, die Situation besonders schwierig für die Kinder ist. Nicht Spielen, sondern Lebensmittel und psychologische Unterstützung müssen jetzt gewährleistet werden. „Weil die Eltern verzweifelt und gestresst sind, bekommen auch die Kinder etwas davon ab. Sie sind besorgter und können nicht mehr kreativ beschäftigt werden. Sie merken, dass etwas Schlimmes passiert. Deswegen müssen wir anders mit ihnen umgehen.”, so Likogianni.

Kind auf Gleisen

Chrissi Wilkens

“Merkel help us!“

Ein paar Meter weiter, vor dem Zaun, sammeln sich im Minutentakt tausende Menschen, als die Informationen verbreitet werden, dass die Grenzen für alle Wartenden geöffnet worden sind. „Please open the border! Merkel help us!“, rufen sie.

Betonsockel mit Aufschrift "Open the border for all!"

Chrissi Wilkens

Alexandros Voulgaris schaut der Menge zu. Der Teamleiter von UNHCR in Idomeni erklärt, welche Alternativen den Flüchtlingen angeboten werden, wenn sie nach Athen zurückkehren: “Wir versuchen diejenigen Flüchtlinge, die an einem Relocation-Programm der EU teilnehmen oder Asyl beantragen können, über diese Alternative zu informieren. Somit sollen sie von dieser Situation hier entlastet werden, die sie nur ertragen, weil sie hoffen, dass die Grenzen geöffnet werden. Von dem, was wir aber in den Nachrichten lesen und von der Politik mitkriegen, wird das wahrscheinlich nicht der Fall sein.“

Zelt mit Aufschrift United

Chrissi Wilkens

Keine Hoffnung in Relocation Programme

Samsur, eine 19-jährige Eritreerin, schaut einer Gruppe von Syrern nach, die gerade Richtung Grenze eilen und durch wollen. Die junge Frau weiß, dass Flüchtlinge aus Eritrea am Relocation-Programm der EU teilnehmen können..
Trotzdem verzichtet sie darauf und hat kein Vertrauen in die Organisationen. Sie will zusammen mit den anderen Flüchtlingen in Idomeni bleiben und weiterhin die Öffnung der Grenzen fordern. „Wir haben in der Türkei auf ein ähnliches Programm drei Jahre gewartet. Nichts ist passiert. Kein Land hat uns aufgenommen. Wir haben nur unsere Zeit verloren. Wir werden nicht denselben Fehler machen.“

Warteschlange

Chrissi Wilkens

Der griechische Migrationsminister Giannis Mouzalas sagte am Donnerstag, dass eine Lösung für Idomeni innerhalb von 4-5 Tagen gefunden werde, aber keine einfache Sache sein wird. «Es wird schwierig sein für uns alle, die keine Gewalt wollen.”, so Mouzalas.

Grenzen dicht

Derweilen errichtet Mazedonien seit dem 28. November einen 40 Kilometer langen Stacheldrahtzaun entlang der Grenz zu Griechenland, direkt neben der Bahnlinie.. Bei einem spontanen Versuch, die Grenzpolizei und den Zaun zu umgehen und die Grenze zu überlaufen, wurden am Mittwoch sogar viele Flüchtlinge durch Gummigeschosse der mazedonischen Polizei verletzt, wie man sozialen Medien entnehmen konnte.

Stacheldrahtzaun

Chrissi Wilkens

Kommende Woche wird auch die europäische Grenzschutzagentur FRONTEX in Idomeni präsent sein, wie am Donnerstag bekannt wurde. Die EU erhöhte die letzten Tage den Druck auf die griechische Regierung. Laut Medienberichten drohen EU-Vertreter Griechenland mit dem Rauswurf aus der Schengenzone, sollte das Land nicht bis zum EU-Gipfel Mitte Dezember bestimmte Maßnahmen zur Bekämpfung der Flüchtlingskrise umsetzen.