Erstellt am: 3. 12. 2015 - 11:37 Uhr
Optimismus Prime
Es ist immer schlecht, den Anfang eines Films zu verpassen, im Falle von "Bridge of Spies" entgeht einem aber eine besonders herrliche Exposition. Wir sehen einen Mann von hinten an einer Staffelei stehen und das Spiegelbild im Spiegel links von der Staffelei verrät uns, dass er wohl ein Selbstporträt anfertigt. Wir sehen also zwei Varianten des selben Gesichts, das wahre Gesicht (das sprichwörtliche und das tatsächliche) werden wir auch noch zu sehen bekommen. Wahrnehmung, die Interpretation von Gesehenem und das, was als Wahrheit angenommen wird, das ist der rote Faden, der sich durch Spielbergs engmaschigen Thriller, der auf einer wahren Geschichte beruht, zieht.
warner
Dieser Mann am Fenster seiner Wohnung, das wird sich schnell - und nach einer dialoglosen Sequenz, die zeigt, was für ein handwerklich exzellenter Erzähler Spielberg ist - rausstellen, ist Rudolf Abel (Mark Rylace), ein russischer Spion in New York. Das ist so ziemlich das verachtenswerteste, was man in den USA im Jahr 1957 sein kann.
Die politische Paranoia hat die Amerikaner fest im Griff, der Kalte Krieg hält der Welt seine eisigen Finger ins Genick. Aber auch ein der Spionage verdächtigter Mann hat das Recht auf einen fairen Prozess und eine angemessene Verteidigung. Nur, wer will diese undankbare Aufgabe (ist ein Amerikaner, der einen Russen verteidigt nicht fast noch schlimmer als der russische Spion selbst) denn übernehmen? Die Wahl der Anwaltskammer fällt auf den Versicherungsanwalt Jim Donovan; sanft aber eindrücklich wird ihm klargemacht, dass es sich um einen Schauprozess handelt. "So everyone will hate me, but I will lose" fasst Donovan zusammen. Seine Bedenken, dass er seit Jahren nur mit Versicherungsfällen, nicht mit Strafrecht zu tun hatte, werden beiseite gewischt. Das sei wie Fahrradfahren. Nun, dann wird das was kommt, die Tour de France für Donovan.
warner
Die Anwaltskammer wird ihre Wahl noch bereuen, Rudolph Abel hätte nichts besseres passieren können. Tom Hanks spielt den idealistischen jedoch alles andere als naiven Anwalt Donovan. Der hat Prinzipen und keine Angst sie einzusetzen. Hanks ist geradezu ideal als Personifizierung der Integrität und des unerschütterlichen Glaubens in amerikanische Ideale. Sein Name, Donovan, sei irisch, liest Donovan CIA Agent Hoffman die Leviten, Hoffman ist deutsch. Das einzige, was sie zu Amerikanern macht ist die US Verfassung. Das rule book wie der Anwalt es fast zärtlich nennt. Er kann die Todessrafe für Abel verhindern. Die Öffentlichkeit tobt; Steine fliegen durchs Wohnzimmerfenster der Donovans. Aber der Anwalt weiß, wie es oft nur Spielberg-Figuren wissen, das Richtige getan zu haben.
Mit dem Triumph der Vernunft, der Besinnung auf Grundrechte und (amerikanische) Ideale, endet der Gerichttsdrama-Part des Films. "Bridge of Spies" wird nun zum "Kalter Krieg"-Thriller; Donovan wird nach Berlin geschickt, um einen Gefangenenaustausch mit den Russen zu verhandeln.
warner
Ein Hauch Sehnsucht nach Zeiten, in denen man globale Konflikte ein wenig einfacher umreißen konnte, durchweht Spielbergs dichten Thriller. Spione trugen noch Hüte und Anzüge, die Russen sind wahrscheinlich eher nicht die Guten und wenn man die DDR nicht anerkennt, vielleicht geht sie dann einfach wieder weg. Und doch ist "Bridge of Spies" alles andere als wohliges, eskapistisches Retrokino - und der Film feiert ein Individuum, nicht eine Nation: Es gab keinen Durchsuchungsbefehl für Abels Wohnung, man hat ihm angeboten, überzulaufen und für die Amerikaner zu arbeiten. Abel ist außerdem ein illegaler Einwanderer. Muss man sich in einer Krise an seine Prinzipien halten, fragt der Film die Frage, die ohnehin schon länger, nach den Anschlägen in Paris aber endgültig alle Diskussionen über das Verhalten im Kampf gegen Terrorismus dominiert. Donovan sagt ja. Und auch Steven Spielberg. “If we lose our core values, of course, we’ve lost the fight.", so Spielberg.
warner
Dabei geht es nicht um fahnenschwingenden Patriotismus, mit der Geschichte und den Prinzipien des Anwalts Donovan hält Spielberg bloß dem Jetzt-Zustand den Spiegel vor, zeigt ihm seine Fratze. "Bridge of Spies" ist ein exzellenter Thriller, in dessen Kern Kritik an der Einschränkung der Bürgerrechte und das Schaffen von Orten außerhalb gesetzlicher Reichweite wie Guantanamo Bay": “There are similarities with what happens in Guantanamo Bay and with the way in which they took Rudolf Abel off the book and tried to turn him into a counteragent, to work for us. [They] offered him all kinds of deals and he stood his ground and said no.”
"Bridge of Spies"/"Der Unterhändler" läuft seit 27.11 in den österreichischen Kinos
Wo Steven Spielberg draufsteht, ist Humanismus drin. Ein try to be Mensch, das viele als naiv oder märchenonkelhaft ansehen. Aber Pessimismus oder gar Zynismus ist leicht, Optimismus ist schwer. Und Zynismus hat im Spielberg-Universum nichtmal eine Chance, wenn die Könige dieser Haltung - Joel und Ethan Coen - am Drehbuch mitgeschrieben haben, so wie es in "Bridge of Spies" der Fall ist. Bloß in einigen Dialogen zwischen Hanks und dem weltklasse Mark Rylace finden sich Spurenelemente vom sarkastischen Wortwitz der Coens. Ansonsten versprüht Hanks als Mann, der über sich hinauswächst, Idealismus und verlässt sich auf sein Rückgrat und die Grundvernunft des Menschen an sich.
Hanks spielt den integren Mann mit Understatement und ohne große Gesten und doch erinnert "Bridge of Spies" an die Filme des Regisseurs Frank Capra. Er versprühte in den 1930er und 1940er Jahren großherzig seinen Glauben an den amerikanischen Traum und das Gute im Menschen auf der Leinwand. Wenn Donovan Abel im Gerichtssaal verteidigt, dann wird er auch zu einem Atticus Finch.
Warner
Die Unbeirrbarkeit des Guten prägt die Filme von Steven Spielberg, doch bei aller Humanismus-Botschaft und Kritik, vor allem an der amerikanischen Politik, vergisst er nicht darauf, dass er einen Film macht, der einen in all seiner gediegenen Entschleunigung fesselt. Der Mann, der gemeinsam mit George Lucas quasi den Blockbuster erfunden und die Infantilität des Kinos vorangetrieben hat, macht nun schon länger Kino für Erwachsene und ich kann selbst nicht ganz fassen, dass ich damit etwas Gutes meine.
"Bridge of Spies" ist dieses prasselnde Lagerfeuerkino, ein Narrativ getaucht in die satten Bilder von Janusz Kaminski, der einen von Anfang an in Bann nimmt. Man wird zu genau dem staunenden Kind, das man so oft in Spielbergs Filmen findet. Und nur Spielberg könnte es schaffen, einen Thriller über den Kalten Krieg irgendwie auch noch ein Feel-Good Movie Mäntelchen zu hüllen. Eine große Empfehlung.