Erstellt am: 5. 12. 2015 - 09:09 Uhr
Buch gegen die Schwerkraft
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Es darf einfach nicht sein, dass das hier, dieses, mein Leben, schon das unsägliche Glück ist.
Die Protagonist_innen, denen wir in "Wir zerschneiden die Schwerkraft" begegnen, sind auf der Suche. Auf der Suche nach sich selbst. Auch wenn dieses Selbst oft versucht sich durch ein Gegenüber zu definieren. Und darin liegt auch schon die ganze Tragödie.
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Gravities Rainbow
Irmgard Fuchs schreibt in neun Geschichten gegen die Schwerkraft an, die ihre Figuren auf den Boden des Lebens ziehen will, und wir müssen auch noch dabei zuschauen, wie ihr das ganz einfach gelingt. Die Menschen in diesem Buch sind von Beruf Pausenaufsicht im Theater oder Kugelschreiber-Zusammenschrauber. Es herrscht gähnende Langeweile im Leben aller. Tatsächlich sind es die Nebencharaktere, von denen man mehr erfahren will, weil ihre Leben auf den ersten Blick aufregender erscheinen.
Ob es eine in die Jahre gekommene Seiltänzerin ist, die mit einem Clown zusammenlebt, ein junger Mann, der nach zehn Jahren im Gefängnis gerade versucht wieder Fuß in der Gesellschaft zu fassen, oder eine alte Frau, die jeden Tag einen anderen Goldfisch zu Grabe trägt. All diese Geschichten werden nur angeschnitten, natürlich im starken Kontrast zu den Hauptpersonen, die sich selbst und uns vorgaukeln, dass in ihrem Leben nichts passiert. Und es stimmt auch irgendwie, denn selbst wenn etwas passiert - wie ein Stromausfall im Zirkuszelt - fühlt es sich an wie nichts:
Es ist doch erstaunlich, dass in so einer Situation niemand die Nerven verliert. Niemand rührt sich vom Fleck und auch die Ponys stehen still, während sich der Clown für den technischen Defekt entschuldigt. Er verpackt das Malheur in einen misslungenen Witz, wird aber zu seinem Glück von der kugeligen Frau, die vor der Vorstellung die Zuckerwatte auf die Stäbe geschleudert hat, unterbrochen, weil sie mit Taschenlampe und Hammer durch die Manege läuft und sich ächzend unter die Tribüne zwängt. Laut schlägt Metall auf Metall, die Frau flucht in einer fremden Sprache. Trotzdem ändert sich nichts.
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Kremayr-Scheriau
Momente der Magie
Nur kleine, magische Momente, die aber ohne besonderes Erstaunen hingenommen werden, schaffen es die Welt der dahinsuchenden Figuren kurz aufzuhellen, zumindest für uns Leser_innen:
Der Atlas liegt aufgeschlagen vor mir auf dem Tisch und zeigt den pazifischen Ozean. Ich wandere mit meinen Fingern die unbekannten Küsten entlang, als plötzlich schmutziges Salzwasser über die Tischplatte schwappt und sich schaumige Wellen auf dem Fußboden bilden, die aus den Büchern und Schubladen die Notizen und Worte der letzten Jahre und Jahrhunderte herausschwemmen, um sie zwischen Plastikmüll und toten Fischen in der Gischt aufzulösen.
In Irmgard Fuchs Sprache herrscht eine Poesie, der man sich gerne hingibt, so trostlos die meisten ihrer Geschichten auch sein mögen. Das Buch besteht aus vielen wunderbaren Gedanken und Ideen, deren Erfindungsreichtum sich durch alle neun Erzählungen zieht. Wenn dann dazwischen die Hoffnung auffunkelt, leuchten auch unsere Augen kurz auf.