Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Was ist Freiheit?"

Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

2. 12. 2015 - 18:00

Was ist Freiheit?

Fünfzehn Jugendliche mit verschiedenen kulturellen Hintergründen bringen ihre Hoffnungen, Ängste und Visionen auf die Bühne. Mit dabei sind die Flüchtlinge Mohammed und Helmand aus dem Georg Danzer Haus. Schwere Empfehlung!

Acht Mädels und Burschen sitzen auf der Bühne an Schulbänken, sieben weitere haben im Publikum Platz genommen. Klick, klick, klick ertönt es aus dem Off. Schnell noch ein Foto, posieren auf Kommando, immer lächeln, immer gut aussehen. Dann geht’s ab zum Bewerbungsgespräch. Auf weiße Blätter haben sie ihre Traumjobs gezeichnet. Pilot, Comiczeichner, Rockstar. Mohammed aus Syrien erklärt sein Bild auf Arabisch. „Er möchte Zahnarzt werden“, übersetzt ein anderer für ihn, „obwohl sein Vater Schneider ist“.

Mohammed auf der Bühne des Volkstheater Margareten

Robert Polster / Volkstheater

Der soziale Aufstieg, Erwartungsdruck und das ewige Funktionieren-Müssen in einer immer stärker konkurrenzorientierten Leistungsgesellschaft sind Themen, die in „Ausblick nach oben“ ganz oben auf der Agenda der DarstellerInnen stehen.

"Ausblick nach oben" im Volx/Margareten

  • Do, 10.12. - Sa, 12.12.
  • Fr, 8.1. - Sa, 9.1.

Die Vorstellungen beginnen um 19 Uhr.

Die 10- bis 19-Jährigen kommen aus Tschetschenien, Polen, Österreich und anderen Ländern und bringen eine Mischung aus Zukunftsvision und Gesellschaftskritik auf die Bühne. Viele haben Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht. Jene, die zufällig am „richtigen“ Ort auf die Welt gekommen sind, quält die gemeine pubertäre Unsicherheit: Wie soll das funktionieren mit dem Erwachsenwerden? Geld verdienen, Selbstverwirklichung im Job, eine glückliche Beziehung, Steuern zahlen - das kann einem ganz schön Angst machen.

Zwischendurch werden zu Deichkind-Beats Tische umgeworfen und Barrikaden gebaut. Denn ja, „Arbeit nervt“, und „Bück dich hoch“ so als Lebensmotto kann es wohl auch nicht sein. Aber wie kann unsere Gesellschaft fairer und solidarischer werden? Wer würde den Mist wegräumen, wenn es ein bedingungsloses Grundeinkommen gäbe? Was ist Arbeit überhaupt und was Freiheit?

Das Ensemble von Ausblick nach oben auf der Bühne

© Robert Polster / Volkstheater

Theaterspielen als Integration

Unter der Regie von Constance Cauers und Malte Andritter haben sich die Jugendlichen dazu drei Monate lang Gedanken gemacht. Für Helmand aus Afghanistan z.B. muss Arbeit nicht unbedingt bezahlt sein. „Arbeit kann auch sein, wenn man versucht, die Gesellschaft zu ändern und freiwillig anderen Menschen hilft.“, sagt er. Diese Überzeugung vertritt er auch im Stück. Denn die Bedeutung von Solidarität hat er auf die denkbar härteste Weise gelernt. Vor acht Monaten ist er alleine aus Afghanistan nach Österreich gekommen. Von seinen Eltern und Geschwistern hat er seit über einem halben Jahr nichts gehört.

Licht ins Dunkel

FM4 sammelt im Rahmen von Licht ins Dunkel für die Georg Danzer Häuser. Mehr Infos und alle Spendenmöglichkeiten gibt es hier.

Wie Mohammed aus Syrien ist Helmand über das Georg Danzer Haus zum Theaterprojekt gekommen. Der Probenprozess war für die beiden ein wichtiger Schritt. „Wir haben großen Spaß gehabt und sprechen jetzt viel besser Deutsch als vorher.“, erzählt Mohammed. Er ist vor acht Monaten vor dem syrischen Bürgerkrieg geflohen. Mittlerweile fühlt er sich auf der Bühne so wohl, dass er schon öfter gefragt wurde, ob er nicht doch lieber Schauspieler werden wolle. Aber er bleibt beim Zahnarzt, und er weiß, dass er dafür studieren muss. Derzeit kann er allerdings nicht einmal in die Schule gehen, weil er mit seinen 15 Jahren nicht mehr schulpflichtig ist und damit keinen Anspruch auf einen Platz hat. Stattdessen lernt er eben zuhause. Im Georg Danzer Haus kann er den Hauptschulabschluss nachholen.

Scharfsinnig und politisch unkorrekt

Martin Haslacher und Mirjam Erdem haben eine Doku über "Ausblick nach oben" und seine ProtagonistInnen gestaltet.

  • Zu sehen ist diese am 20.12. um 22.15 Uhr auf ORF III.

Im Laufe des Theaterabends bringen die fünfzehn Jugendlichen ihre Lebensrealitäten gut auf den Punkt. Man lernt sie als einzelne Persönlichkeiten kennen und wo sich Einsichten überschneiden, sprechen sie im Chor. Das wirkt stark und hallt noch lange nach.

Ich jedenfalls habe schon lange keine so präzise Analyse das aktuellen Zeitgeschehens und der dazugehörigen Gefühligkeiten mehr gesehen. Asyl, Rassismus, Demokratie - kein Thema ist den Kids zu komplex, um nicht scharfsinning und ohne Scheu vor politischer Unkorrektheit darüber zu diskutieren.

Zuletzt werden sie etwas versöhnlicher und singen mit Naked and Famous: „Yeah yeah yeah yeah!“ - und sie finden die beste Antwort auf die Frage nach der Freiheit überhaupt.