Erstellt am: 1. 12. 2015 - 12:58 Uhr
"Man wird depressiv"
Seit heute gibt es die neuen Arbeitslosenzahlen für November; auch die letzten Quartalszahlen für das Jahr 2015 trudeln ein: Im November waren über 430.000 Menschen ohne Job. Damit liegt die Arbeitslosenquote bei 9,2 Prozent. Vor allem die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist explodiert: drei Mal so viele Menschen als vor einem Jahr sind mehr als ein Jahr arbeitslos.
Mit dem Thema Langzeitarbeitslosigkeit beschäftigt sich auch das Theaterstück "Der Marienthaler Dachs" am Wiener Volkstheater. Das Stück ist eine Farce auf die heutige Arbeitswelt, wo Mutter Konzern die Wirtschaft nicht mehr ankurbeln kann und Vater Staat kein Konzept dagegen hat. Als "Chor der Arbeitslosen" stehen 18 langzeitarbeitslose Menschen selbst auf der Bühne.
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Wert über Arbeit
Regina, Andreas und Imke treten im Chor der Arbeitslosen im Volkstheater-Stück "Der Marienthaler Dachs" auf. Das Stück ist das nächste Mal am kommenden Sonntag, den 6. Dezember, im Wiener Volkstheater zu sehen.
"Ich bin derzeit arbeitslos und gehöre von der Statistik her zu den sogenannten Langzeitarbeitslosen", erzählt Imke. Sie hat Sozialmanagement studiert und einen so genannten "Flickerlteppichlebenslauf", wie sie sagt. Also viele kurze Anstellungen bei verschiedenen ArbeitgeberInnen. Das stehe ihr bei der Jobsuche im Weg. "Die Situation ist schon schwierig, insofern als dass sich die ganze Gesellschaft über Arbeit definiert und die Menschen über Arbeit Wert bekommen. Und sie keinen Wert haben, wenn sie keine Arbeit haben."
Regina hat eine Schule für Forstwirtschaft gemacht und ist außerdem diplomierte Diätologin. Zuletzt hat sie in einem Ökogarten in Mödling gearbeitet. Sie ist seit 2011 arbeitslos. Die Arbeitslosigkeit schneidet sie vom Rest der Gesellschaft ab, sagt sie: "Ich bin wie auf einem anderen Planeten." Und auch ihr Zeitgefühl hat sich verändert: "So wie ein normaler Mensch tickt, da läuft meine Uhr inzwischen ein bisschen langsamer ab."
Andreas hat in seinem Leben sehr viel gewechselt, hat schon in über 40 Firmen gearbeitet. Er hat die Erfahrung gemacht, dass man nach einer Ausbildung, in seinem Fall der zum Maschinenschlosser, oft gar keinen Job findet, weil die Erfahrung fehlt: "Ich höre sehr oft: man soll jung sein und viel Erfahrung haben. Sonst soll man eigentlich eh keine Wünsche haben. Wie soll das funktionieren? Wie sollen junge Menschen Erfahrungen sammeln, wenn sie nicht einmal eine Chance bekommen?"
Robert Polster / Volkstheater
Resignation und Einsamkeit
Regina, Andreas und Imke stehen als Chor der Langzeitarbeitslosen im Volkstheater auf der Bühne. Das Stück lehnt sich lose an die bekannte Sozialstudie "Die Arbeitslosen von Marienthal" aus dem Jahr 1933 an. In der Studie werden die psychologischen Auswirkungen von langer Arbeitslosigkeit untersucht. Sie zeigt auf, dass Arbeitslosigkeit nicht zur Revolte sondern zu passiver Resignation führt. Eine Erkenntnis, die Andreas durchaus teilt: "Mit der Zeit macht es einen ziemlich depressiv. Man versucht, einen Job zu finden, geht den üblichen Prozess durch: man bewirbt sich, versucht alles, aber meistens bekommt man nicht einmal ein Vorstellungsgespräch. Und nach der hundertsten oder zweihundertsten Bewerbung ist man dann am Zweifeln."
Was bei der langen Arbeitslosigkeit auch wegfällt, sind soziale Kontakte: "Die größte Schwierigkeit für mich in der Langzeitarbeitslosigkeit war die Einsamkeit", sagt Imke. Einerseits hat man keine KollegInnen, die man in der Arbeit sieht, andererseits fehlt das Geld, um viel zu unternehmen. Und irgendwann gehen die Gesprächsthemen aus. "Worüber redet man, wenn man sich mit Freunden trifft? Über die Kinder, vielleicht den Partner, aber sonst über den Job!", sagt Regina.
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Die Realität als Farce
Die Proben für das Stück haben ein halbes Jahr gedauert, während dem die Chormitglieder auch angestellt waren. Das Gebraucht-Werden und die Tagesstruktur hat allen dreien wieder Energie und Antrieb gegeben. "Für mich war das sehr gut, wieder in eine Gruppe hinein zu kommen und eine Regelmäßigkeit zu erleben", sagt Imke. Auch Regina und Andreas waren froh über die neue Tagesstruktur. "Es ist ehrlich gesagt ein harter Weg zurück", sagt Andreas. "Man erlebt ja als Arbeitsloser keine normalen Strukturen. Die Nacht wird zum Tag, viel Grübeln, viel Nachdenken. Man hat keine Struktur!"
Andreas und Regina geben die Hoffnung nicht auf, noch eine Anstellung zu finden. Andreas besucht derzeit die Schauspielschule, Regina schreibt Bewerbungen: "Ich hätte sehr gerne etwas Regelmäßiges", sagt sie. "Ich habe auch meine Erwartungen und meine Anforderungen an mich selbst zurückgeschraubt."
Imke spricht in dem Zusammenhang an, dass das Stück eine Farce ist, die die Situation überzeichnet. Dabei ist die Realität mindestens genauso grotesk. "Die Realität ist für mich insofern auch eine Farce, als Vollbeschäftigung eine Illusion ist! Das werden wir nicht mehr erleben, das lässt sich auch nicht herstellen! Das heißt der größere Teil der Gesellschaft läuft einer Illusion hinterher. Und indem sie dieser Illusion hinterherläuft, zwingt sie Leute, die Fähigkeiten haben, in die Einsamkeit und ins Abseits!"