Erstellt am: 4. 12. 2015 - 12:07 Uhr
Ein Realist in Tel Aviv
Cross Cult
Wie ist es, Israeli zu sein? Wie ist es, in einem Land zu leben, das sich scheinbar ständig Krieg befindet?, steht auf dem Klappentext von Der Realist geschrieben. Fragen, die mich interessieren, weshalb ich Asaf Hanukas Comic lesen wollte. Der fantastische Guy Delisle hat mir in Aufzeichnungen aus Jerusalem viele Eindrücke über das Leben dort vermittelt. Und Sarah Gliddens Israel verstehen - In 60 Tagen oder weniger hat sich ausführlich mit dem Konflikt zwischen Israel und Palästina auseinandergesetzt, mit der Frage nach Schuld oder (un-)möglichen Lösungen. Was für neue Einblicke oder Perspektiven kann dann jemand weitergeben, der nicht nur temporär, sondern fix dort lebt und arbeitet?
Asaf Hanukas Comics und Illustrationen sind Onepager. Er erzählt nicht eine größere, zusammenhängende Story, sondern Episoden aus seinem Leben. Er verarbeitet alltägliche Erlebnisse oder Probleme. Dabei geht es vor allem um das Vater-Sein, Krisen in seiner Ehe, Existenzängste und Geldsorgen. Probleme, wie sie wahrscheinlich jeder junge Familienvater auf der Welt kennt. Banalitäten wie die Sucht nach Handygames oder der Wunsch nach Facebook-Likes illustriert Asaf Hanuka dabei ziemlich drastisch.
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Der Konflikt, Friedensdemonstrationen oder die Angst vor der existentiellen Bedrohung hingegen thematisiert Hanuka entweder nur am Rande oder sehr distanziert. An einer Stelle spricht Hanuka sogar selbst an, dass seine Arbeit unpolitisch ist.
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Da ich mir von diesem Comic etwas anderes erwartet hatte, war ich erst von dieser Haltung enttäuscht. Die Alltagsprobleme eines jungen Vaters interessierten mich nicht. So ansprechend die Illustrationen rein optisch waren, inhaltlich konnte ich ihnen nicht viel abgewinnen.
Erst nachdem ich das Comic ausgelesen hatte und über meine Enttäuschung nachdachte, wurde mir etwas klar: Genau das erzählt mir eigentlich am allermeisten über das Leben dort. Dass Asaf Hanuka andere Sorgen hat, als ständig über den Konflikt nachzudenken. Dass er sich in seinen Illustrationen nicht dazu äußern will, weil das schnell seine Auftragslage in Gefahr bringen könnte. Warum sollte sich denn jeder Künstler aus Israel unbedingt und monothematisch mit Politik und Geschichte auseinandersetzen? Asaf Hanuka selbst hat dazu in einem Interview erklärt:
Mich interessieren politische Botschaften nicht, da ich selbst keine habe. In der politischen Debatte in Israel sind die Leute entweder auf der rechten oder auf der linken Seite, sie sind gegen die Besatzung oder für die Siedler und da gibt es keine wirkliche Diskussion, da sich beide Seiten ihrer Meinung sicher sind. Wenn meine Arbeit ein Fenster für eine politische Agenda ist, wird mir sofort Propaganda vorgeworfen und daher gibt es keine Diskussion.
Die anderen Comics, die ich zu diesem Thema bereits gelesen habe, an denen ich Der Realist zunächst messen wollte, wurden von Personen verfasst, die eben nicht dort leben. Guy Delisle wusste von Anfang an, dass es ein Aufenthalt auf Zeit sein würde. Und Sarah Glidden machte es zu ihrem persönlichen Projekt, sich mit der Thematik und mit ihren jüdischen Wurzeln auseinanderzusetzen. Asaf Hanuka ist in Tel Aviv geboren und will dort auch weiter leben. Er selbst äußerte sich dazu:
Es ist mein liebster Ort in ganz Israel. Hier will ich leben und meine Kinder großziehen. In Tel Aviv gibt es die Illusion, es sei multikulturell und frei und dass man dort ein normales, sicheres Leben führen kann. In Israel nennt man es "die Blase", da es vom Rest von Israel auf so viele Weisen abgeschnitten ist.(...) Ich lebe in Tel Aviv, weil es der beste Ort ist, um sich zu verstecken.
Sich vor einem Konflikt zu verstecken, für den man keine unmittelbare Lösung sieht, sich mit dem eigenen Leben beschäftigen und so gut wie möglich über die Runden kommen - das ist legitim. Und davon erzählt das Comic "Der Realist" und vermittelt damit viel, nicht nur über das Leben in Israel, sondern über das Mensch-Sein selbst.
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