Erstellt am: 29. 11. 2015 - 16:45 Uhr
Liebe, Tiefgang, Witz.
Es dauert ein paar Tage bis mir einfällt, an wen mich die Stimme von Oscar Scheller erinnert. Magnetic Fields, deren 69 Lovesongs das perfekteste Album aller Zeiten ist. Aber wahrscheinlich ist die Rechnung "Sänger+tiefe Stimme=Magnetic Fields" genauso falsch wie die Rechnung "Sängerin+Gitarre=PJ Harvey".
Oscar
Oscar Scheller, der seinen Soundcloud Account mit 2012 datiert hat, weiss jedenfalls um das Spiel mit Erinnerungen und Referenzen. In seiner Heimat wird er als "modern day Morrissey" gehandelt. "It´s just natural,
it's the way that humans hear things and we have to compare them to something to understand what they are and fit them into our lives and I think as times go on hopefully this will change."
Den ersten Grundstein dafür hat der Londoner mit seiner ersten EP "Beautiful Words" gelegt, die im Sommer erschienen ist. Vor kurzem ist die Single "Breaking My Phone" herausgekommen. Nächstes Jahr soll das Debütalbum folgen. Wenn er sich für ein Wort entscheiden müsste, das seine Musik beschreibt, würde er "deep" wählen. "It's quite soulful. It has uplifting moments but it's quite bittersweet, it's deep. There are obviously songs that are more tongue in cheek and a bit more "having fun" but then my favourite songs are always the "deep" ones."
Aufgewachsen ist Oscar in einem musikalischen Haushalt. Seine erste musikalische Erinnerung? Am Schoß der Mutter hocken, die Keyboard spielt. (Seine Eltern spielten übrigens in der 80er Jahre New Wave Band The Regents. Wer glaubt die Band habe "Regions" geheißen, wird – wie ich – an der musikalischen Stammbaum-Suche im Internet eher verzweifeln!)
Später, als Oscar alt genug - also groß genug - war, den Klavierhocker von alleine zu erreichen, hat ihm seine Mutter Johann Sebastian Bach-Stücke beigebracht. Die leichten, er war ja erst 6. Später entdeckt er Alicia Keys "Songs in E Minor": "There was someone playing piano but doing it in an interesting pop-way and it wasn’t like Elton John, it was cool!"
Oscar
"Solipsisticists" what?
Der Weg zur Gitarre war kein weiter mehr und eigene Songs schreiben nur noch logisch. Inspiration holt er sich in seinem eigenen Leben, seinem Umfeld. Bei poetischen Blick von innen nach aussen und wieder retour. "I've tried writing like The Kinks or Blur where it's like a fictional character, but it never works for me, it feels false. So it's always from a solipsistic personal point of view. Like only thinking that you exist... I'm exaggerating of course, but it is like that." Angesprochen darauf, dass er mit seinen 23 Jahren jetzt aber sehr schnell wachsen muss, um neue Lieder über neue Erfahrungen zu schreiben, meint Oscar: "I consider myself quite an old soul!"
Anders als im Leben eines Arztes, der halt Arzt ist, wenn er (okay, wenigstens am Papier) Arzt wird, gibt es natürlich keinen Punkt, an dem man sagen kann, jetzt ist man ein "fertiger" Singer/Songwriter. Alles, was der Musiker macht, ist, sich auf einen langen Weg der Selbstfindung aufmachen und das musikalisch dokumentieren. Am Seitenrand stehen Menschen, die einen dabei beobachten. Manche Menschen bleiben stehen und manche drehen um. Likes. Clicks. Studio. Album. Tour. All das. "You're discovering yourself the whole time, you're discovering what you wanna make and how you're feeling. It's just a constant self-discovery which is great, that's what growing up is all about!"
Frustableiter und Optimismus.
In "Breaking My Phone" geht es um das Telefon als Frustableiter, das man nach einem Gespräch mit dem love interest am liebsten kaputt machen möchte. Mit "Forget Me Not" untersucht er die Dynamik - "the power struggle" - in einer Beziehung. Ein ständiges Auf und Ab. Niemals auf einer Wellenlänge. Über die Songsammlung, die sich auf seiner "Beautiful Words"-EP befindet, hat er in den ersten Interviews gemeint "It's about wanting everything to be good!" Geht es um die Sehnsucht? Dass im Leben der Songs alles gut wird? Alles gut bleibt? Um Optimismus? "We all crave simplicity, and really natural things that are hard to find. We live in an age and condition when it's hard to feel peaceful and have a "quiet of mind" and so the songs are that for me. Just a way of finding that peace."
Wenn man Oscar beim Interview zuhört, sitzt einem ein eloquenter, höchst reflektierter und zweifelsfrei talentierter Musiker gegenüber. Liebe, Tiefgang, Witz eben. Wir sprechen darüber, dass, sobald eine Band zugibt, auf einer Kunstschule gewesen zu sein, sich die (britische) Presse auf dieses "art school" Label stürzt wie Fliegen auf einen Luster. Wir sprechen darüber, dass viele seiner neuen Songs in letzter Zeit weder am Klavier oder Gitarre entstanden sind, sondern mit einem Drumsample ihr Eigenleben begonnen haben. Für einen Singer/Songwriter natürlich nicht die schlechteste Sache, seine Arbeit an perkussiven Elementen zu orientieren. „It's the way the words hit you!“ meint er. Beautiful words. Eben.