Erstellt am: 28. 11. 2015 - 16:27 Uhr
Griots, Wassalou und Didadi
In Berlin war in der letzten Woche oft die Rede von verschärften Sicherheitskontrollen bei Konzerten. Veranstalter wurden interviewt und Konzertbesucher gaben zu Protokoll, sie hätten zwar ein "mulmiges Gefühl", aber natürlich werde man weiter auf Konzerte gehen.
Wer sich am vergangenen Sonntag zum Konzert von Nahawa Doumbia im Hau (Hebbeltheater am Ufer) ganz ohne mulmiges Gefühl eingefunden hatte, wurde trotzdem schon vor dem Konzert an die Anschläge in Paris erinnert. Der Konzertveranstalter kam auf die Bühne, um die Band anzusagen und erzählte, wie es den MusikerInnen bislang auf der Europatournee, auf die sie sich alle so sehr gefreut hatten, ergangen war.
Das erste Konzert zum Tourstart in Paris war, wenige Tage nach den Anschlägen, abgesagt worden. Am zweiten Konzertabend in Utrecht saß die Band vor und nach der Show vor dem Fernseher und schaute sich entsetzt auf ntv die Bilder von der Geiselnahme in ihrem Viertel, in Malis Hauptstadt Bamako an. Der dritte Konzertabend war am Sonntag in Berlin.
Und so bat er das Berliner Publikum inständig, ein klein bisschen weniger reserviert als sonst zu sein, und die Band so enthusiastisch wie möglich zu begrüßen. Denn sie sollten glauben, dass diese Europatour trotz allem eine gute Idee war. Und das Berliner Publikum zeigte sich von seiner besten Seite.
Nahawa Doumbia
Nahawa Doumbia ist eine der populärsten Sängerinnen Malis. Sie ist in ihrer Heimat ein Idol, ein Star in Westafrika, ein Geheimtipp in Frankreich. In Berlin ist sie bislang noch nie aufgetreten.
Entdeckt wurde die junge Malierin 1980 bei der "Youth Week" in Bamako, einem Talentwettbewerb mit Künstlern aus allen Regionen des Landes. Von da an ging es mit ihrer Karriere stetig bergauf, es folgten Auftritte mit Künstlern wie Manu Dibango, Toure Kunda oder Miriam Makeba. Die Jahrtausendwende war eine besonders produktive Zeit für sie; es entstanden unter anderem das gefeierte Album "Yaala" sowie ein Crossoverprojekt mit dem französischen DJ und Produzenten Frederic Galliano.
Nahawa Doumbia
2011 veröffentlichte der bekannte amerikanische Blogger und Musikethnologe Brian Shimkovitz Nahawas frühes Tape "La Grande Cantatrice Malienne, Vol. 3" von 1982 auf seinem frisch gegründeten Label Awesome Tapes from Africa. Die Platte wurde weltweit begeistert aufgenommen.
Nahawa Doumbias lange Karriere ist außergewöhnlich, auch, weil ihre Familie nicht zu einem Griot-Clan gehört. Denn Musik ist in Westafrika seit jeher das Metier der Griots. Die Kunst der Griots (und, in geringerer Anzahl, der weiblichen Griottes), bestand Jahrhunderte lang aus einer Einheit aus musikalischem und sprachlichem Vortrag. In ihren Stand hineingeboren, übten sie von frühester Kindheit an das Spiel auf der Kora, dem Balafon oder der N´goni und lernten die zahllosen langen Erzählungen - die Mythen der alten Sudanreiche – auswendig; ebenso die Herrscherlisten und die verschiedenen Gesänge, die auch die alltägliche Lebenswelt zum Inhalt haben konnten.
Sie waren das Gedächtnis einer schriftlosen Gesellschaft. Ihre Wortgewalt und ihr sprachliches Geschick machten sie aber auch zu Streitschlichtern oder Heiratsvermittlern. Sie waren als Lobredner und Poeten gefragt, als Autoritäten anerkannt oder sogar gefürchtet. Andererseits war ihr sozialer Status gering. Ihre Abhängigkeit von einem festen "Patron", der ihnen materielle Sicherheit gab, oder von den von Auftritt zu Auftritt wechselnden Geldgebern wurde auch als Schmarotzertum bewertet.
Noch heute leistet sich ein angesehener Geschäftsmann oder Politiker seinen persönlichen Griot, aber viele Griots finden auch im modernen Musik- und Showbusiness ein Auskommen. Im Senegal z.B. stammen fast alle gegenwärtigen Musiker, Bühnenschauspieler, TV- und Radiomoderatoren aus Griot-Familien. Im ländlichen Raum stellen Hochzeiten die Haupteinnahmequelle dar.
Awesome Tapes from Africa
Aus Mali kommen die großen Popstars Westafrikas, und viele dieser Stars kommen aus der Griot-Tradition. Bevor Krieg und Krise die Schlagzeilen bestimmten, war Mali vor allem für seine Musik bekannt. Mali mag zu den ärmsten Ländern der Welt gehören – seine Musik aber inspiriert westliche Pop-Stars wie einst Indien und Jamaica. Spätestens seit Damon Albarn 2002 mit Musikern des Landes das Album "Mali Music" aufnahm, kommen Soulmusiker aus Brooklyn, Indie-Rocker aus Chicago und britische Elektroniker nach Bamako. Heimische Stars wie Salif Keita und Habib Koité wiederum experimentieren mit westlichen Pop-Stilen. Vieles an der pentatonischen Musik Malis erinnert an die Wurzeln des Blues und stellt eine Verbindung vom Niger zum Mississippi her. Mali hat der globalen Musik ein unermessliches Reservoir an Rhythmen und Melodien zu bieten.
Awesome Tapes from Africa
Eine Besonderheit Malis ist der hohe Anteil an Sängerinnen, die in der Tradition des "Wassalou-Sound" die populäre Musik des Landes prägen. Mittlerweile gilt Wassoulou – eine Region im Süden des Landes - als "Geburtsstätte" für die besten Sängerinnen des Landes und hat brillante Künstlerinnen wie Oumou Sangare, Sali Sidibe oder Dieneba Diakité hervorgebracht. Charakteristisch für den Wassalou – Sound und die Musik Nahawa Doumbias ist "Didadi" - eine Rhythmusstruktur zu der gerne von Jugendlichen bei Zeremonien und Feiern gesungen und getanzt wird.
Aber auch Nahawa Doumbias Themen haben zur großen Popularität der Sängerin bei der jungen Generation geführt. Sie singt über Liebe, gegen Polygamie und Islamismus, für Frauenrechte und über die Situation afrikanischer Flüchtlinge in Europa. In Frankreich wurde sie so zu einem Sprachrohr der westafrikanischen Jugend.
Im Mittelpunkt ihres Auftritts in Berlin stand, wie auch auf ihrer aktuellen CD, der pure Wassalou Sound mit den traditionellen Instrumenten Bala, Kamele Ngoni, akustische Gitarre und Perkussion.
Spektakulär war das Spiel des als "Jimmy Hendrix' Malis" angekündigten Harouna Samake, der die krassesten Melodieläufe auf der N'Goni, der viersaitigen Langhals-Spießlaute spielte. Seine umjubelte Soloeinlage gab er - wie Altmeister Hendrix - auf den Knien, er spielte sein Instrument auch blind, hinter dem Rücken und unter allen möglichen Verrenkungen und stahl so der Sängerin und dem Star des Abends fast die Show.
Gitarrist und Ehemann der Sängerin N'Gou Bagayoko hielt sich dezent im Hintergrund, erheiterte die frankophonen Zuhörer aber mit kurzen Übersetzungen der Songtexte. Wer nicht 100% frankophon ist, verstand in etwa, dass es in dem Lied darum gehe, dass manche Verwandten unangenehm wie ein Flohstich sind, oder dass man nicht neidisch sein soll, wenn die Nachbarn ein Restaurant eröffnen. Die Leute tanzten zwischen den Theatersitzen und manchmal auch auf der Bühne und am Ende verließ man das Konzert in schönster Stimmung. Und auch mit dem Gefühl, dass - so schwierig wie Berlin auch sein mag - es schon toll ist, in einer Stadt zu wohnen, in der man mehrfach die Woche so tolle Konzerte sehen kann.